Politischer Islam - © Foto: iSotck/ CiydemImages

"Extremismus religiös beantworten"

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Der Salafismus- und Deradikalisierungs-Experte Moussa Al-Hassan Diaw versucht, radikalisierten Muslimen mit islamischen Prinzipien beizukommen.

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Der Salafismus- und Deradikalisierungs-Experte Moussa Al-Hassan Diaw versucht, radikalisierten Muslimen mit islamischen Prinzipien beizukommen.

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Der von Moussa Al-Hassan Diaw mitgegründete Verein DERAD arbeitet u. a. in österreichischen Justizanstalten mit radikalisierten Muslimen. Ein Gespräch über islamischen Extremismus und wie man diesen bekämpft. Auch mittels Religion.

DIE FURCHE: Wo sind Salafisten in Österreich am Werk?
Moussa Al-hassan Diaw: Das ist schwer zu sagen, denn die sehr verschiedenen salafistischen Strömungen haben ganz unterschiedliche Zugänge zur Gesellschaft, zum Verständnis der Religion, aber auch zur Politik: Einige sind etwa extrem gegen politische Beteiligung. Über so ein breites Spektrum kann man gar nicht pauschal reden. Gemeinhin denkt man bei Salafismus an die arabische Halbinsel, an lange Bärte und an ein ultraorthodoxes Islam-Verständnis, obwohl dieses eigentlich gar nicht ultraorthodox ist, sondern eine Reformbewegung auf der arabischen Halbinsel war. Man könnte ihn eher vergleichen mit dem Evangelikalismus, der Schriftbezogenheit, einer Abkehr von der Tradition. Man wollte die Tradition, die Orthodoxie und die Verkrustung des Denkens dieser Traditionen abschütteln und zum wahren Kern, zum echten Islamverständnis der ersten drei Generationen zurück.

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DIE FURCHE: In der öffentlichen Diskussion geht es aber vornehmlich um die Gewaltfrage. Setzt der Salafismus explizit auf Gewalt?
Diaw: Wenn, dann gilt das für die politische und die sogenannte dschihadistische Salafiyya. Die haben ein politisches Programm und sagen, dieses kann nur durch die Anwendung von Gewalt erreicht werden. Da gab und gibt es auch in Österreich Vertreter - teilweise sind sie ja inzwischen eingesperrt -, welche diese Ideen vertreten haben, die man auch im Internet finden kann und die sagen: Es muss ein bestimmtes staatliches System errichtet werden, das sich konkret auf religiöse Vorstellungen stützt -etwa das Kalifat, wo dann die Scharia, wie sie diese Salafiyya versteht, auch umgesetzt wird. Sie sagen, der einzige Weg, das zu tun, ist der Kampf. Es sei eine Pflicht, einen Kampf gegen die Feinde Gottes zu führen. Bei diesen Organisationen und ihren Vordenkern sind das eigentlich alle Staaten der Welt, einschließlich der muslimischen.

DIE FURCHE: In den letzten beiden Jahren waren Reisen von Dschihadisten zum Islamischen Staat nach Syrien ein Thema. Ist das immer noch so?
Diaw: Die Reisetätigkeit hat abgenommen. Das wird jetzt besser überwacht. Zu Beginn des Syrienkonflikts sind Leute aus Neugier, weil sie helfen wollten, hingefahren. Durch den sogenannten Islamischen Staat und die Positionierung von extremistischen Gruppen in Syrien als Konfliktparteien hat sich das verändert. Die Behörden in Österreich sind auch aufmerksamer geworden, sie schreiten rigoros ein. Insofern ist eine bessere Überwachung da. Man weiß jetzt auch schneller, wo man eingreifen muss. Man kann sich nicht mehr einfach per Land- oder Luftweg absetzen. Meistens werden die Leute vorher schon beobachtet. Das Problem als solches besteht aber bis heute: Es gibt weiter Vertreter, die diese politisch-ideologischen Vorstellungen verbreiten - auch hier in Wien - und die junge oder nicht mehr ganz so junge Leute mit diesen Ideen anstecken.

DIE FURCHE: Wer ist für diese Ideologie besonders anfällig?
Diaw: In unserer Arbeit sind ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Klientel sehr junge Menschen, die teilweise aus dem kriminellen Milieu kommen, so absurd das klingt. Sie geben zwar vor, die besten Muslime zu sein, haben aber Delikte wie Raub, Einbruch oder Körperverletzung begangen. Auch wir haben eine Studie gemacht, die bis dato noch nicht veröffentlicht worden ist. Ein Drittel der Untersuchten kommt aus einem Milieu das gar nicht muslimisch oder religionsfern war. Häufig sind Leute aus dem Kaukasus dabei. Es gibt aber auch Leute, die ein ganz normales bürgerliches Leben geführt haben, sogar Leute mit Matura oder Hochschulstudium. Der betroffene Personenkreis ist also sehr groß, aber das kriminelle Milieu, ohne Arbeit und mit zu viel Freizeit, das findet man ebenfalls. Gemeinsam ist ihnen, wie sich in unserer Studie und in internationalen Untersuchungen gezeigt hat, immer das subjektive Gefühl, als muslimische Menschen abgelehnt zu werden - auch wenn es ihrer Lebenssituation widerspricht, weil sie etwa als Flüchtlinge anerkannt wurden - sowie der Bezug zu außenpolitischen Konflikten. Gemeinsam ist auch der Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun: Diese Gruppen sind für den Einzelnen sinnstiftend.

DIE FURCHE: Der Sukkus der jüngsten Studie des Islam-Pädagogen Ednan Aslan, die vor allem aus Interviews mit Häftlingen besteht, lautet, die Rolle der Religion in diesem Zusammenhang sei unterbelichtet: In Wirklichkeit sei die Religion das Problem.
Diaw: Wir haben in unserer Studie festgestellt, dass etwa ein Drittel der Leute, mit denen wir gesprochen haben, aus nicht-muslimischen Elternhäusern kommt oder - wenn die Eltern oder ein Elternteil nominell muslimisch sind - Religion gar keine Rolle gespielt hat oder es sogar eine anti-religiöse Haltung gab. Deswegen können wir das so nicht bestätigen, diese Leute dürften dann eigentlich nicht davon betroffen sein. Natürlich gab es auch welche, die aus einem traditionell islamischen Elternhaus kommen. Aber die haben dann eben diese Ideologie angenommen, auch in Ablehnung des religiösen Verständnisses der Eltern. Auffällig ist, dass viele von ihnen ihre eigenen Eltern zu Nichtmuslimen erklärt haben. Denn deren traditionelles Islamverständnis ist aus der Sicht der Islamisten etwas, das nichts mehr mit Islam zu tun hat. Wichtig und richtig ist aber, dass diese politische Ideologie sich auf Religion beruft. Deshalb ist unsere Erfahrung, dass Religion eine Ressource sein kann, einem extremistischen Verständnis zu widersprechen, Alternativen anzubieten und Dinge richtigzustellen.

DIE FURCHE: In der Studie von Professor Aslan heißt es aber, auch in den extremistischen, gewalttätigen Strömungen sei alles aus dem Islam heraus gut begründbar.
Diaw: Gerade die politische Salafiyya sieht sich ja selbst als Oppositionsbewegung zum traditionellen Islam. Wenn es eh das Gleiche ist, dann bräuchten sie ja nicht Opposition zu sein. Wichtig bei der extremistischen politischen Salafiyya ist takfir, was bedeutet, den anderen Muslimen das Muslim-Sein abzusprechen. Typischerweise kommen da besonders junge Leute mit wenig Ahnung über den Islam ihr Selbstverständnis des Muslimseins dadurch, dass sie andere zu Nichtmuslimen erklären. Sie stellen dann in Gesprächen Fragen wie: Ist Erdogan für dich ein Kafir - ein Nichtmuslim - oder ein Muslim? Ist der König von Saudi-Arabien für dich ein Muslim oder ein Nichtmuslim? Theoretisch müssten Erdogan oder der König von Saudi-Arabien ja Helden für diese Leute sein. Sind sie aber nicht, weil deren islamisches Verständnis und Politik - so unterschiedlich das wiederum auch zwischen Saudi-Arabien und der Türkei sein mag - aus ihrer Sicht zum Abfall vom Islam führt. Die These, die Extremisten würden genau das Gleiche wie die traditionellen Muslime sagen, widerspricht der Entwicklung dieser verschiedenen Strömungen, die sich als die wahre, exklusive Gemeinschaft der Muslime verstehen und einen politischen und militärischen Kampf gegen den inneren und den äußeren Feind führen.

DIE FURCHE: Gibt es eine Möglichkeit, religiös gegen diese Strömungen anzugehen?
Diaw: Selbstverständlich auch, aber nicht nur. Wir versuchen, alternative Erzählungen und Gegenerzählungen zu platzieren. Der bekannteste Fall ist wahrscheinlich der des Oliver N., der als 17-jähriger IS-Heimkehrer 2015 zu einer Haftstrafe verurteilt wurde

DIE FURCHE: und der selbst keinen Migrationshintergrund vorweist, zum Islam konvertiert ist und sich radikalisiert hat.
Diaw: Der hat mit uns dieses Programm weg vom Extremismus durchlaufen. Er selber kann schildern, dass gerade die Auseinandersetzung über religiöse Inhalte mit uns im Vergleich zu dem, was er vorher gehört hat, dazu führte, dass er ein anderes Bild bekommen hat. Denn in dieser Ideologie heißt es, man muss alles ablehnen, was nicht von Allah an Gesetzen da ist. Das würde auch den Staat Österreich betreffen. Das Gegenargument von uns ist, dass es - religiös gesehen - aber die Verpflichtung gibt, Verträge einzuhalten, auch mit Nichtmuslimen. Diese Verträge sind zum Beispiel Staatsbürgerschaft, Aufenthaltsgenehmigung, Visum und dergleichen mehr. Das ist eine muslimische Verpflichtung. Doch die Extremisten sagen genau das Gegenteil, nämlich dass du dich erst einmal von diesem Staat abwenden musst, damit dein Eingottglaube gültig ist: Wenn du die Gesetze des Staates Österreich akzeptierst, dann akzeptierst du, dass nicht Gott der Gesetzgeber ist, sondern die Menschen. Und das sei Götzendienst - das ist deren Logik. Man kann aber auch aus der orthodoxen islamischen Tradition heraus gegen Menschen, die auf die skizzierte Weise religiös argumentieren, antworten.

DIE FURCHE: Beziehen Sie da auch Ebenen des persönlichen Zusammenlebens ein?
Diaw: Ja, etwa bei der Argumentation, bei der wir auf die Koran-Sure 5, Vers 5 hinweisen, nach der es erlaubt ist, die Frauen aus dem Volk der Schrift -Juden und Christen - zu heiraten oder auch das von ihnen geschächtete Fleisch zu essen. Das heißt, Gott höchstpersönlich hat erklärt, dass die Ehe mit Christinnen und Jüdinnen erlaubt ist. Soll ich dann meine eigene Ehefrau täglich hassen? Soll ich dann meine Schwiegereltern hassen? Das ist die religiöse Argumentation, die wir benutzen.

DIE FURCHE: Aber Sie werden nicht nur mit religiösen Argumenten arbeiten können.
Diaw: Natürlich. Wir stellen etwa geschichtliche Ereignisse dar, weil sie sich oft auf außenpolitische Konflikte beziehen. Wir zeigen auf, wie sich diese Konflikte entwickelt haben und fragen: Ist es wirklich so, dass nicht-muslimische Mächte die Muslime angegriffen haben? Oder gab es innermuslimische Konflikte, wo Nichtmuslime als Bündnispartner herangezogen worden sind? Oft tauchen auch Dolchstoßlegenden auf. Geschichtskenntnisse sind also sehr wichtig, auch aus der Frühzeit des Islams. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir politische Bildung betreiben. Wir schauen die Realität von heute an und was es eigentlich heißt, Bürger in einem Staat zu sein, der politische und bürgerliche Sicherheit bietet. Wir fragen dann auch: Wie ist es um diese Sicherheiten an anderen Orten der Welt bestellt? Wo haben denn Familien Sicherheit gefunden? Hast du nicht auch, selbst wenn du in Haft bist, Sicherheit? Steht dir nicht ein Rechtsanwalt zu, der dir vielleicht sogar bezahlt wird? Es sind verschiedene Aspekte, die wir benutzen: politische Bildung, Geschichte, aber auch religiöse Argumentation.

(Mitarbeit: Ines Garherr)

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