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Er zählt zu den ausgewiesenen Experten zum Thema Religion und Gewalt. Seine Analyse der "Geistlichen Anleitung" der 9/11-Attentäter machten Hans G. Kippenberg, 75, einem breiteren Publikum bekannt. Seit seiner Pensionierung ist der Wissenschafter als "Weisheitsprofessor für Vergleichende Religionswissenschaft" an der Jacobs University Bremen tätig.

DIE FURCHE: Sind Religionen generell eher friedfertig oder eher intolerant?

HANS G. KIPPENBERG: Es gibt eine starke Strömung, die sagt: Religionen sind friedfertig, wenn sie nicht manipuliert werden. Doch es gibt auch laute Stimmen, die Religionen ob ihres Gewaltpotenzials verdammen. Religion sei "Gotteswahn", schreibt Richard Dawkins, sie vergifte die Welt, lesen wir bei Christopher Hitchens, sie stehe angesichts von Terror "vor ihrem Ende", erklärt Sam Harris. Beide Strömungen sind nicht plausibel. In allen Religionen finden sich Überlieferungen, die zur Rechtfertigung von Gewalt benutzt werden können. Doch meist schwelen Konflikte schon vorher, und ihr Verlauf entscheidet mit darüber, wann Religionsgemeinschaften sie als Glaubensfrage umdeuten. Man muss also sehr viel genauer differenzieren und sich die Konflikte im Einzelnen ansehen.

DIE FURCHE: Gerade den monotheistischen Religionen wird -auch wegen ihres Wahrheitsanspruches und Missionsauftrages -ein großes Potenzial an Gewalt zugesprochen.

KIPPENBERG: Wir finden in den grundlegenden Texten von Judentum, Christentum und Islam - also der Bibel und dem Koran -Verherrlichungen von Gewalt im Namen Gottes und Berichte vorbildlicher gewalttätiger Handlungen. Sie dienten späteren Generationen in existenzbedrohenden Situationen ihrer Gemeinschaft zur Rechtfertigung eigener Gewalt. Will man die Beziehung von Religion und Gewalt klären, darf man die religiösen Deutungen und Legitimationen nicht vom Konfliktverlauf isolieren. Der methodische Zugang muss von der Analyse des sozialen Konfliktes her erfolgen. Denn jeder Konflikt hat eine eigene Signatur. Ausschlaggebend ist der Moment, in dem Konfliktparteien beginnen, heilsgeschichtliche Aspekte einzubringen.

DIE FURCHE: Eine Ihrer Publikationen trägt den Titel "Gewalt als Gottesdienst. Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung". Darin beschreiben Sie ausgewählte Konflikte. Ein Fall, an dem das Einbringen heilsgeschichtlicher Aspekte beider Konfliktparteien und die Eskalation von Gewalt besonders anschaulich wird, ist der Nahostkonflikt.

KIPPENBERG: Alle Beteiligten -Israel, die Palästinenser und die USA -haben zu bestimmten Zeitpunkten religiöse Deutungsmuster in den Konflikt hineingetragen und damit bestimmte Formen von Gewalt legitimiert. Seit den 1970er-Jahren traten religiöse Zionisten auf, die die Besetzung von Gebieten Palästinas, die einst zum biblischen Land gehört hatten, heilsgeschichtlich deuteten: als Etappe im messianischen Prozess der Rückkehr Israels ins verheißene Land. Sie errichteten ohne Rücksicht auf das Völkerrecht und gegen den Widerstand von Palästinensern in den besetzten Gebieten jüdische Siedlungen. Dabei standen den Siedlern die Berichte über die kriegerische Landnahme unter Leitung Josuas aus dem 5. Buch Moses vor Augen. Und ein weiteres Vorbild für die heilsame Wirkung von Gewalt war immer auch der biblische Pinhas. Als Israeliten bei ihrem Zug aus Ägypten ins verheißene Land begannen, mit heidnischen Frauen anzubandeln, entflammte Gottes Zorn auf sein Volk; er legte sich erst, als Pinhas einen dieser Israeliten erstach.

Zum Lohn dafür schloss Gott mit ihm einen "Friedensbund", der ihm und seinen Nachkommen auf ewig das Priestertum sichere. Auf diese Erzählung haben sich jüdische Aufständische in der Geschichte Israels wiederholt berufen. - Ein ähnlicher Wandel der Definition der Situation und der Begründung von Gewalt vollzog sich auf Seiten der Palästinenser: Bei Ausbruch der Intifada 1987 zum Beispiel gab ihr Sheikh Yassin einen religiösen Rahmen: Die Aufständischen seien Murabitun - eine altehrwürdige Bezeichnung für Kämpfer an den Grenzen des islamischen Reiches -und potenzielle Märtyrer auf dem Wege Gottes. Yassin rief die Islamische Widerstandsbewegung, deren Abkürzung Hamas "Eifer" bedeutet, ins Leben. Die besetzten Gebiete seien islamisches Stiftungsland, das der Prophet den Muslimen bis zum Tag der Auferstehung übertragen hat. Beide Konfliktpartner behaupten also und argumentieren heilsgeschichtlich, dass es "ihr Land" sei.

DIE FURCHE: Sie haben sich auch intensiv mit der "Geistlichen Anleitung" der Attentäter des 11. September 2001 beschäftigt -ein welterschütternder Meilenstein der "Gewalt im Namen Gottes".

KIPPENBERG: Osama Bin Laden legte 1998 dar, dass die Heiligen Stätten in Saudi-Arabien durch die Präsenz amerikanischer Soldaten verunreinigt wären. Dadurch definierte er den Islam insbesondere im Nahen Osten als Religionsgemeinschaft, die angegriffen wird. Das hat es schon in der Frühzeit des Islam gegeben. Eine Art der Antwort darauf ist der Überraschungsangriff. Genau das ist dann auch passiert: die USA erleben völlig überraschend Überfälle auf Botschaften, auf ihre Kriegsschiffe und dann eben auch die 9/11-Anschläge: Eine Gruppe von hochgebildeten, technisch versierten, gut Englisch sprechenden Männern reist aus Hamburg ein. Ein Jahr lang bereiten sie sich vor - auch auf ihr eigenes Sterben! Sie hatten ein "Manual" dabei, ein Handbuch. Und darin ist ganz genau festgelegt, was sie wann zu tun haben; auch wann sie sich rituell reinigen sollen und anderes.

Die Furche: Was war die für Sie wesentlichste Erkenntnis in der Auseinandersetzung mit 9/11? KippenbeRg: Als Religionshistoriker ist man da fast auf vertrautem Terrain. Aber was mich am meisten überrascht hat, ist, dass das überhaupt nicht wahrgenommen wird. Man betrachtet das als Terror, als das metaphysische Böse. Die Reaktion darauf: Wir müssen das ausrotten -mit aller militärischer Macht. Man kann nicht ausschließen, dass Osama Bin Laden diese Reaktion provozieren wollte. Er hat ja Ökonomie studiert und irgendwann gesagt: Unsere Aktion hat 500.000 Dollar gekostet, aber die Reaktion, die darauf gefolgt ist, hat die Amerikaner so und so viele Milliarden gekostet!

Die Furche: Wie schätzen Sie die US-Strategie des "Kampfes gegen den Terror" ein?

Kippenberg: Man kann nicht ausschließen dass die Amerikaner langfristig hereingefallen sind. Denn jetzt haben sie das Pulver verschossen. Im Irak etwa, die aktuelle Situation dort: der Zerfall des alten Staates, die Entstehung dieses islamistischen Staates...

Schon als der Irakkrieg begann, hatten viele eine Ahnung, dass das eine Unternehmung wird, die man nicht wird kontrollieren können. Das erleben wir heute.

Die Furche: War 9/11 ein klassischer Fall von Missbrauch einer Religion?

Kippenberg: Ja natürlich. Es ist die Erkenntnis, dass mit einer bestimmten Aktion von überzeugten Gläubigen ein Schaden angerichtet werden kann, der unvergleichlich viel größer ist als der, den man selber erlitten hat. Da ist eine Rationalität im Spiel. Aber die ist nicht erkannt worden!

Die Furche: Religiös konnotierte Konflikte gibt es zurzeit vor allem im Zusammenhang mit dem Islam.

Kippenberg: Ein ganz wichtiger Faktor, über den man sich im Klaren sein muss, ist die Begründung für Solidarität unter Muslimen. Und die ist anders als im Christentum. Islam ist überall, wo Muslime sind. Diese Auffassung führt nun dazu, dass ganz unterschiedliche Konflikte, in die Muslime involviert sind, immer auch diesen internationalen Aspekt haben. Weil immer Muslime aus anderen Ländern sagen werden, dass sie zu Hilfe eilen -Dschihad. Das ist ihre Glaubensaufgabe. Das Problem ist: Das wird nicht mehr dargestellt. Es heißt immer nur noch: "Terrorismus!" Und diese Darstellungsform hat die Folge, dass der Westen zu militärischen Gegenmaßnahmen greift: Wir müssen sie ausradieren! Schon diese unsinnige Idee von Tony Blair - "We have to eradicate the evil (wir müssen das Böse ausradieren)". Jede Empathie geht da verloren. Sind das wirklich alle Repräsentanten des Bösen?

Die Furche: Religionen sind doch auch Heimat, haben identitätsstiftende Wirkung!

Kippenberg: Ja, aber wenn Staatlichkeit nicht mehr da ist, die allen Teilen der Bevölkerung Schutz und Sicherheit gibt, dann kippt das - sei es am Balkan oder auch im Libanon. Wenn da ein Konflikt entsteht, dann ist die Religionsgemeinschaft der Ort, der Schutz gibt. Und dann finden sich sicher auch junge Männer, die die Aufgabe von Milizen übernehmen. Diese Erscheinung verbreitet sich enorm. Dagegen ist wenig Kraut gewachsen.

Die Furche: Sind Religionen somit eher "Brandbeschleuniger" als ein ausgleichender Faktor?

Kippenberg: Religionen sind -trotz allem - in der Geschichte der Menschheit die stabilisierenden Faktoren gewesen. Mit Recht verbunden, mit vielfältigen Formen der Zivilisierung. Jetzt erleben wir das totale Entgleisen dieses zivilisatorischen Effektes. Aber die Menschen, die in den Krisengebieten leben, sind auch Menschen und wollen eine Zukunft haben. Ich bin davon überzeugt, es könnte dasselbe passieren wie in der Sowjetunion: dass nach einer Reihe von Generationen, die den Kommunismus weitergetragen haben, eine Generation kommt, die sagt: Wir glauben nicht mehr daran, der Preis ist zu hoch. Vielleicht wird man in 100 Jahren zurückschauen und sagen: Es ist gut ausgegangen. Weil die Konflikte und die Gewalt nicht vereinbar waren mit Zukunftshoffnung.

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