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An der Bruchlinie zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden Afrikas entstehen immer wieder Konflikte.

„Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung auf, und streite mit ihnen auf die beste Art. Wahrlich, dein Herr weiß am besten, wer von Seinem Wege abgeirrt ist; und Er kennt jene am besten, die rechtgeleitet sind“, heißt es im Koran an einer jener Stellen, die als Grundlagen für die islamische Mission interpretiert werden. Im Neuen Testament liest sich das durchaus ähnlich, wenn Jesus sagt: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

Sowohl der christliche Missionsbefehl als auch der im Koran grundgelegte Aufruf zum Islam (Da’wa), lassen kaum Zweifel offen. Beide Weltreligionen richten sich unmissverständlich an alle Menschen, beanspruchen allgemeine Gültigkeit. Dass diese aber nicht von beiden gleichzeitig erreicht werden kann, wird von vielen als Grund für eine Vielzahl von Konflikten gesehen, die die Welt im 21. Jahrhundert plagen. Vor allem in Bezug auf Afrika, den einzigen Kontinent, auf dem sich noch keine der sogenannten Weltreligionen eine Vormachtstellung erarbeiten konnte, scheint der berühmte Samuel Huntington mit seiner These vom „Clash of Civilizations“ recht zu behalten. Zumindest oberflächlich prallen an der Bruchlinie zwischen dem islamisch dominierten Norden Afrikas und dem christlich dominierten Südens die Zivilisationen, oder eben Religionen, aufeinander, was für gewalttätige Auseinandersetzungen sorgt. Einer tiefergreifenden Analyse hält dieser oberflächliche Befund allerdings kaum stand.

Massaker als Rache für Massaker

Nigeria ist wohl in letzter Zeit das bekannteste Beispiel für diese Konflikte, bei denen die Religionen als Auslöser vorgeschoben und Missionsbemühungen im Hinterkopf automatisch mitgedacht werden. Wie zum Beispiel im vergangenen März, als das zentralafrikanische Land erneut durch ein blutiges Massaker in Europa Schlagzeilen machte: 500 Angehörige einer hauptsächlich christlichen Volksgruppe wurden in einer Nacht- und-Nebel-Aktion ermordet – ein Racheakt für einen früheren Vorfall, bei dem 300 Muslime getötet wurden. Doch geraten hier wirklich aggressive Missionare auf beiden Seiten aneinander, die sich um potenzielle neue Schäfchen streiten? Sind hier wirklich die angeblich unvereinbaren Weltbilder von Islam und Christentum Ursache für Blut und Tod?

Matthias Basedau glaubt das nicht. Der Afrika-Experte des Leibnitz-Instituts für Globale und Regionale Studien in Hamburg leitet seit 2008 eine Studie zum Thema „Religion und Bürgerkrieg: Zur Ambivalenz religiöser Faktoren im subsaharischen Afrika.“ Von religiösen Konflikten ist seiner Meinung nach in Afrika nur in den seltensten Fällen auszugehen, von einem missionarisch motivierten erst recht nicht. „Das ist ein politisch und ökonomisch motivierter Konflikt zwischen ethnischen Gruppen, die verschiedenen Religionen angehören. Die Religionsfrage verschärft zwar den Konflikt, ist aber nicht der Auslöser“, erklärte Basedau in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung nach den jüngsten Morden in Nigeria. „Es geht nicht um religiöse Bekehrung, sondern vielmehr um Verteilungskämpfe, etwa bei Landrechten. Wobei der Konflikt politisch ausgeschlachtet und angeheizt wird.“

Was oberflächlich also als christlich-muslimischer Konflikt durchaus im Sinne Huntingtons interpretiert werden kann, ist bei genauerer Betrachtung ein Konflikt zwischen Bevölkerungsgruppen, der seine eigene Geschichte und Dynamik hat und kaum global gesehen werden kann. Im Fall Nigeria kommt zu den von Basedau angesprochenen Verteilungskämpfen das Motiv der Rache hinzu, das sich über Jahre hinweg immer weiter hochgeschaukelt hat zu einer regelrechten Spirale der Gewalt. Von einem Konflikt zwischen den „Zivilisationen“ des Islam und des Christentum kann dementsprechend keine Rede sein.

Zweifel am „Kampf um Afrika“

Gibt es ihn also überhaupt, den „Kampf um Afrika“, dessen Bild sich durch die vielen Medienberichte über Gewalt zwischen Muslimen und Christen förmlich aufdrängt? Auch eine Studie des Pew Research Center aus Washington unter dem Titel „Islam and Christianity in Sub-Saharan Africa“ liefert Material, das Zweifel an dieser These unterstützt. Zwar verzeichnen beide Weltreligionen in Afrika seit Jahrzehnten Zuwächse, allerdings ist die Übertrittsrate untereinander eher gering. In den 19 überprüften Ländern liegen die Unterschiede zwischen „christlich aufgewachsen“ und „jetzt christlich“ bzw. „muslimisch aufgewachsen“ und „jetzt muslimisch“ zwischen null und fünf Prozent, wobei Uganda das einzige Land ist, in dem es eine nennenswerte Korrelation zwischen einem Zuwachs auf der einen und einem Rückgang auf der anderen Seite gibt. Abgesehen davon, so die Studie, lägen die wirklich großen Expansionsbewegungen auf beiden Seiten schon einige Zeit zurück (siehe Daten und Fakten unten) und größere Zuwächse seien heute hauptsächlich auf das generelle Bevölkerungswachstum zurückzuführen.

Traditionelle Religionen als Opfer

Probleme wie Arbeitslosigkeit und Kriminalität würden überdies von den meisten der 25.000 Befragten größer eingeschätzt als religiöse Konflikte, die zudem fast immer mit ethnischen Konflikten einhergehen und kaum isoliert auftreten. Die Opfer des Eindringens von Christentum und Islam in Afrika sind indes eindeutig die traditionellen afrikanischen Religionen, die zusehends verdrängt wurden und teilweise nur noch in synkretistischen Religionsformen weiter bestehen, also in einzelnen mythischen oder kultischen Elementen, die in die neue Religion, sei es Christentum oder Islam, einfließen.

Neben dieser Verdrängung der afrikanischen Religionen gibt auf religiöser Ebene in Afrika vor allem die Tendenz zum Fundamentalismus Grund zur Sorge. Wenn auch die vielen Konflikte, die Afrika zu Beginn des dritten Jahrtausends prägen, nicht ursächlich religiöser Natur sind, so begünstigen doch die bedenklichen fundamentalistischen Strömungen innerhalb der Religionen deren Instrumentalisierung. Der Konflikt in Nigeria könnte, wenn seine Ursachen auch anderswo liegen, kaum religiös aufgeladen werden, wenn gemäßigte religiöse Kräfte am Werk wären. Das ist aber weder in Nigeria noch in den meisten anderen subsaharischen Ländern der Fall: Sowohl auf christlicher als auch auf muslimischer Seite sind fundamentalistische Strömungen auf dem Vormarsch.

Die Studie des Pew Research Institute belegt das: In der überwältigenden Mehrheit der überprüften Länder hängen zwischen 70 und 90 Prozent einer wörtlichen Auslegung der jeweiligen religiösen Schriften an, kaum überraschend liegt Nigeria hier mit 87 Prozent bei den Christen und 90 Prozent bei den Muslimen im Spitzenfeld. Im Durchschnitt der 19 Länder glauben 61 Prozent der Christen daran, dass Jesus noch zu ihrer Lebenszeit wiederkehren wird, während 52 Prozent der Muslime noch vor ihrem Tod die Rückkehr des Kalifats erwarten. Die immer wiederkehrenden westlichen Medienberichte über Exorzismen bei sogenannten „Hexenkindern“ oder über drakonische Strafen durch die wörtliche Interpretation der Scharia sind weitere Indizien für die Stärke fundamentalistischer Gruppierungen in Afrika. Derartige Praktiken und Ansichten sind symptomatisch für ein Glaubensverständnis, das aus seinem Selbstverständnis heraus zur Intoleranz neigt und damit Konflikte, auch wenn sie auf andere Gründe zurückgehen, begünstigt.

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