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Furcht vor einem Blutbad

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„Die religiöse Landschaft in Nigeria ist wie mit Minen gepflastert", schildert Kenneth Enang, Generalvikar der Erzdiözese Abuja im Gespräch mit der FURCHE die brisante Lage im volkreichsten Land Afrikas.

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„Die religiöse Landschaft in Nigeria ist wie mit Minen gepflastert", schildert Kenneth Enang, Generalvikar der Erzdiözese Abuja im Gespräch mit der FURCHE die brisante Lage im volkreichsten Land Afrikas.

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Kenneth Enang ist besorgt um Nigeria: „Man darf den Boden dieser Landschaft nur mit allergrößter Vorsicht betreten, um nicht eine Explosion auszulösen, die Millionen von Menschen das Leben kosten könnte." Islam und Christentum haben beide einen Anteil von rund 45 Prozent der Bevölkerung, nach anderen Quellen gibt es 48 Prozent Moslems und 34 Prozent Christen. Exakte Angaben sind schwierig, da keine verläßlichen Zählungen existieren.

In Nigeria leben über 88 Millionen Menschen (Schätzungen reichen bis 116 Millionen) - das entspricht rund einem Drittel aller Afrikaner südlich der Sahara. Neben den beiden größten Ethnien der Haussa und Yoruba mit je zirka 20 Prozent stellen Ibo, Fu-lani, Kanuri, Ibibio und Tiv die wichtigsten Gruppen der Bevölkerung. Mit 924.000 Quadratkilometern ist Nigeria elfmal so groß wie Österreich. Vor allem die Rolle als Afrikas größter Rohölproduzent verhilft Nigeria neben dem Export von Kakao, Kautschuk, Palmöl, Zinn, Blei und Kohle zu seiner dominierenden Stellung innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten.

Doch seit zwei Jahren sinkt das Wirtschaftswachstum drastisch, die Inflation schnellte auf 40 Prozent. Heuer noch sollen Präsidentschaftswahlen stattfinden, ein Übergangsrat soll den Wechsel von der Militärregierung unter General Ibrahim Ba-bangida zu einer gewählten Zivilregierung ebnen. Zu mangelnden wirtschaftspolitischen Perspektiven der Regierung gesellen sich wachsende soziale Unzufriedenheit und Besorgnis über die unsichere politische Zukunft des Landes - geballter Sprengstoff auch für die religiösen Spannungen zwischen Islam und Christentum.

Auf ihren Handelswegen durch die Wüste brachten Berber im 9. Jahrhundert den Islam nach Nigeria. Die Zeit einer eher friedlichen Verbreitung wurde im 18. und 19. Jahrhundert durch den Ausbruch von Eroberungsfeldzügen beendet. Aus Nordafrika fielen die Krieger der Fulani in den Norden des heutigen Nigeria ein. Dorf um Dorf unterwarfen sie im berühmten Heiligen Krieg von 1803 bis 1831. Heute noch gilt ihr Anführer Usman Dan Fodio, dessen Kalifat Sokoto Nigeria, den Norden Kameruns und Benins sowie Südniger umspannte, vielen als Sinnbild der „guten alten Zeit" des Islam.

Nach ersten erfolglosen Versuchen im 15. und 16. Jahrhundert konnte das Christentum erst Mitte des vorigen Jahrhunderts in Nigeria Fuß fassen und ist heute vor allem im Ostteil des Landes präsent. Bedingt durch die britische Kolonialherrschaft landeten im Jahr 1842 als erste Anglikaner, gefolgt von Methodisten. 1846 kamen katholische Missionare in das feuchtheiße Land am Golf von Guinea. Bis heute erleben die christlichen Kirchen einen starken Zustrom.

Aus prophetischen Bewegungen und durch Abspaltungen von Missionskirchen entstanden unabhängige Kirchen, deren Zahl in ganz Afrika heute auf über 7.000 geschätzt wird. Nicht selten war eine ablehnende Einstellung christlicher Missionare gegenüber den afrikanischen Kulturen ausschlaggebend, die sich nicht nur in der Verurteilung der Polygamie, sondern auch in Verboten von afrikanischer Musik, Tänzen und traditionellen Heilmethoden äußerte. Der Prozeß einer Afrikanisierung des Christentums dauert trotz des Widerstands der Mutterkirchen bis heute an, manche sehen ihn auch als Erneuerungsbewegung. So wird etwa in Ablehnung eines innerhalb westlich orientierter Kirchen kritisierten Individualismus der traditionell afrikanische Geist der Gemeinschaft beschworen, die Konfrontation mit täglichen Problemen geschieht mit der Bibel in der Hand und die Gemeinden vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes.

In der Verfassung Nigerias ist die Religionsfreiheit verankert. Den Worten des Präsidenten General Ibrahim Babangida, daß es keine Bevorzugung einer Religion auf Kosten einer anderen gäbe, steht die Realität wirtschaftlicher und politischer Vorteile für Moslems gegenüber. Laut Kenneth Enang erhalten nicht selten gerade zum Islam konvertierte Christen Regierungsaufträge.

Das Stadtbild von Abuja-seit 1991 statt Lagos neue Hauptstadt - wird von der größten Moschee Westafrikas dominiert, die mit öffentlichen Mitteln und mit Hilfe arabischer Fi-nanciers errichtet wurde. Die Islamische Konferenz Afrikas erklärte 1991 Abuja zum Hauptsitz des Islam in Afrika. Wird Nigeria ein islamischer Staat, dann kippt die religiöse Balance in West- und Zentralafrika nachhaltig zugunsten des Islam. Reichlich fließende Petro-Dollars arabischer Ölscheichs stärken moslemische Fundamentalisten in ihrem Kampf um ein rein islamisches Afrika.

Der tägliche Kleinkrieg islamischer Expansionisten findet sich in Zeitungsartikeln, die vehement Kleidungsvorschriften für Frauen oder eine nach Geschlechtem getrennte Erziehung fordern. In islamischen Buchläden stapeln sich antichristliche Broschüren, die eine afrikanische Überlegenheit des Islam gegenüber einem bloß importierten Christentum postulieren. Neue Organisationen - oft erfüllt von fundamentalistischen Ideen aus dem mittleren Osten - schießen aus dem Boden und sind Signal für eine fortschreitende Radikalisierung islamischen Bewußtseins.

Schon 1982 eskalierten die Spannungen: acht katholische Kirchen brannten nieder, hinter dem Anschlag standen radikale moslemische Studenten. 1987 brannte in Zaire das Priesterseminar der Erzdiözese Kaduna, verzweifelt appellierte Erzbi-schof Peter Yariyok Jatau an die Christen, nicht mit Gewalt zu antworten. Mai 1992: In Zangon-Kataf im moslemisch dominierten Norden erwerben Christen ein Stück Land. Dasselbe Grundstück wird darauf ein zweites Mal an Moslems verkauft, die die Baugenehmigung für eine Moschee erhalten. Wieder fließt Blut, erst nach Hunderten Todesopfern trennt das Militär die Kampfparteien. Über 2.000 Tote allein im letzten Jahr gehen auf das Konto religiöser Auseinandersetzungen.

Verstärkte religiöse Einflußnahme arabischer und pakistanischer Gruppen nährt unter den Christen Nigerias die Angst vor der landesweiten Einführung der Shari' ah, der islamischen Rechtsordnung. Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1960 gab es bisher nur in den nördlichen, fast ausschließlich moslemischen Bundesstaaten eigene Shari-'ah-Gerichtshöfe.

Von radikaler moslemischer Seite heißt es, ohne Shari'ah wäre keine Religionsfreiheit möglich, Politik und Glaube seien untrennbar und nur in einem Shari'ah-Staat verwirklichbar. Die Christen hingegen sehen ihre Freiheit gerade von der Shari'ah bedroht. Für die Christen Nigerias wird es notwendig sein, auf einem Staat nach säkularen Grundsätzen zu bestehen und gleichzeitig klarzumachen, daß dies nicht mit einem Angriff auf den Islam, mit Verwestlichung oder Neokolonialismus gleichzusetzen ist.

„Auch christliche Tugenden wie Geduld und Toleranz können an Grenzen kommen", warnt jedoch Generalvikar Kenneth Enang, der immer noch auf den Dialog zwischen aufgeschlossenen Moslems und Christen setzt, „die in der Auseinandersetzung der Religionen entzündeten Zeitbomben müssen entschärft werden, sonst droht Nigeria ein Schicksal, wie es der Sudan erlebt!"

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