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Biafra kontra Nigeria

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Nahezu jeder fünfte Afrikaner stammt aus Nigeria, das mit 56,3 Millionen Einwohnern volkreicher ist als das runde Dutzend der anderen Staaten Westafrikas oder jeder andere Teil des Kontinents, eingeschlossen das Niltal. Doch seit dem 30. Mai ist die Existenz Nigerias in Frage gestellt, da Oberstleutnant Odumegwu Ojukwu, Militärgouverneur der bisherigen Ost-regioni, diese unter dem Namen einer „Republik Biafra“ als unabhängig von Nigeria erklärte.

Die Sezession der Ostregion, die mit nahezu 14 Millionen Einwohnern nach (dem restlichen) Nigeria, der VAR, Äthiopien, Südafrika und dem Kongo der Bevölkerungsanzahl nach immer noch der sechstgrößte afrikanische Staat wäre, kam nicht überraschend, sondern war durch die Ereignisse des Vorjahres vorgeformt worden. Am 29. Juli 1966 wurden der erste Chef der Militärregierung, Generalmajor John Aguiyi Ironsi — übrigens der Retter des einst im Kongo gefangengenommenen österreichischen Sanitäfekontingents — und rund 200 andere Offiziere aus dem Ibo-Volk ermordet und so die Ermordung des Bundespremierministers Sir Abwbakor Tawawa Balewa und des Parteiführers des bislang herrschenden „Kongresses der Nordvölker“, Sir Ahmadu Bello, die den Ibo angelastet worden war, vergolten.

Letzter Rettungsversuch

Der 32jährige Oberstleutnant Yakubu Gowon, fünfter Sohn eines evangelischen Prädikanten aus dem hamitäschen Angas-Völk und Chef des Stabes unter Ironsi, wäre als

Vertreter einer christlichen Minderheit des Nordens für die Rolle eines Vermittlers zwischen Süden und Norden wohl befähigt gewesen. Das ungeheure Pogrom, das Ende September 1966 über die im Norden ansässigen, zum Teil wohlhabenden und vielfach beneideten Angehörigen des Ibo-Volkes hereinbrach, etwa 30.000 von ihnen das Leben kostete und über eine Million Ibos zur Flucht in die heimatliche Ostregion veran-laßte, bat einen solchen Ausgleich jedoch auch für die Zukunft wenig wahrscheinlich gemacht. Denn wer wollte erwarten, daß die Ibos freiwillig mit den Schlächtern ihrer Landsleute weiter in einem gemeinsamen Staat zusammenleben würden?

Damals, im Oktober 1966 mußten die nigerianischen Bahnen und andere Zweige der öffentlichen Dienste in der Nordregion ihren Betrieb mangels qualifizierten Personals einstellen. Die größte Flücht-lingsbewegung seit der Teilung von Indien und Pakistan oder der Palästinas hat den Norden in seiner Entwicklung zurückgeworfen und gegenwärtig kaum überbrückbaren Haß hinterlassen.

Der letzte Vermittlungsversuch, die Einheit Nigerias zu retten, hatte in Form einer Konferenz Gowons mit den Militärgouvemeuren aller vier Regionen am 4. und 5. Jänner in Aburi in Ghana stattgefunden. Man beschloß gemeinsam, keine Gewalt zur Lösung der Krise zu gebrauchen, doch sollten bis 31. März alle Truppen in ihre jeweiligen Herkunfts-regionen zurückgenommen, eine Entschädigung der Hüchtlinge aus Bundesmitteln beschlossen sein und die Oberste Bundesgewalt an ein Kollegialorgan unter Beteiligung von Vertretern der Ostregion übergehen.

Dann kam der 30. Mai

Ende März war der geforderte Truppenabzug nicht nur nicht erfolgt, sondern dm Gegenteil Westnigeria weithin von nordnigerianischen Truppen besetzt, um einer dortigen, parallelen Entwicklung zuvorzukommen. Nun leitete Ostnigeria die wirtschaftliche Trennung ein: Alle Bundeseinnahmen wurden zugunsten der Landesfinan-zen einbehalten, Bundeseimrichtun-gen, wie Bahn, Post, Rundfunk, Häfen und anderes mehr, in das Eigentum des Landes überführt, die ausländischen Firmen zur Registrierung im Lande aufgefordert. Ostnigeria begründete diese Schritte damit, daß es bisher 35 Prozent der Bundeseinnahmen aufgebracht, aber nur 14 Prozent davon erhalten habe. Die Voraussetzung einer solchen Entwicklungspolitik zugunsten der ärmeren Teile Nigerias sei weggefallen, da sich nicht mehr alle Nigerianer im Lande frei bewegen, niederlassen und einem Erwerb nachgehen könnten; vielmehr habe Ostniigeria beinahe zwei Millionen Flüchtlinge anzusiedeln und zu rehabilitieren. Inzwischen hatten 'auch aus der Westregion zahlreiche Ibos fliehen müssen.

Die Unabhängigkeitserklärung Biafras vom 30. Mai bildete so den Schlußpunkt einer Entwicklung, die durch die unnatürliche, politische Struktur Nigerias herbeigeführt worden ist. Gowon erklärte auch unmittelbar nach der Sezessäons-erklärung Biafras, daß „die bisherige Struktur Nigerias das Haupthindernis für die nationale Stabilität gebildet habe“ und gab eine umfassende Reform bekannt: Die beiden alten südlichen Regionen würden nach ethnischen Gesichtspunkten in je drei, die Nordregionen in sechs neue Regionen geteilt. In der Westregion war diese Dreiteilung bereits in der Vergangenheit, mit der Errichtung der Mittelwestregion, erfolgt und nur die Bundeshauptstadt Lagos erhielt den Status einer eigenen Region. Die Teilung der Ostregion würde, falls sie zur Durchführung gelangt, rund drei Millionen Ndcht-Ibos und zugleich die auf deren Siedlungsgebiete gelegenen Ölfelder und den Ölhafen Bonny der Kontrolle der sezessionistiscben Ifoo entziehen.

Dauernde Trennung?

Vielleicht kann diese Entwicklung wenigstens die Einheit des restlichen Nigerias retten. Zumindest gehört Chief Sir Obafemi Awolowo, der noch Mitte Mai die Sezession auch des Westens für den Fall derjenigen des Ostens angekündigt hatte, der neuen, mehrheitlich aus Zivilisten bestehenden Übergangsregierung, die Gowon am 12. Juli bildete, als Vizepräsident und Finanzminister an, und mit ihm der gleichfalls aus dem Gefängnis befreite Anthony Enahoro.

Zwischen Nigeria und Biafra ist es inzwischen zu Kämpfen gekommen, da Ojukwu die Einrichtungen der ölgesellschaften besetzen ließ und Shell-BP zu einer Anzahlung auf die nigerianischen öleinkünfte von 500 Millionen Schilling zu seinen Gunsten veranlaßte. Es ist schwer vorstellbar, daß der Konflikt tatsächlich nur militärisch entschieden werden kann und die Massendislozierung von weit über einer Million Menschen scheint es vorläufig unwahrscheinlich zu machen, daß es eine andere Lösung als die einer dauernden Trennung geben kann.

Es würde allerdings den .Grundsätzen der Organisiation der Afrikanischen Einheit widersprechen, einer Sezession zuzustimmen.

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