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Biafra bleibt eine Realität

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Radio Lagos hat die Einnahme Umuahias gemeldet. Seit Tagen hört man auf Grund der Übersiedlung aus der provisorischen Verwaltungsstadt nicht mehr Radio Biafra...

Inzwischen ist das Treffen der Mitglieder der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) in Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, zu Ende gegangen. Der Zweck dieser Zusammenkunft war es, den zweijährigen Krieg zwischen Nigeria und Biafra zu beenden. Die Verhandlungen wurden am 20. April nach 48stündiger Diskussion ergebnislos abgebrochen.

Sir Louis Mbanefo, Chief Justice in der ehemaligen Föderation Nigerias, beschuldigte die Organisation, Anlaß zu jenem Glauben zu geben, daß die Biafraner zum Tode verurteilt seien und ihnen daher nur in einer Kapitulation eine Gnadenfrist gewährt werden könne. Er appelliert zugleich an die Vereinten Nationen, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutschland oder sogar Großbritannien, falls sie interessiert seien, nun die Initiative zu ergreifen, um diesem unbarmherzigen Massenmorden ein Ende zu setzen.

Darf man wirklich annehmen, daß die Sache um Biafra mehr oder weniger eine verlorene Angelegenheit sei, denn die Afrikaner (soweit sie von der „Organisation für Afrikanische Einheit“ vertreten sind) haben bezeugt, daß Biafra am besten daran sei, wenn es aufgibt. Oder steckt etwas dahinter, daß sie angesichts der Tatsachen dieses Krieges trotzdem die Realität dieses Geschehens nicht wahrhaben wollen?

Jetzt ist der Augenblick der Wahrheit für Afrika. Afrikas politische Einheit beschäftigte sich mit der Tragödie Nigerias. Was für Chancen hat diese Organisation in dieser Angelegenheit?

In Addis Abeba wie in Kampala und Algier kamen alle Verhandlungsversuche zum Stillstand. Jedesmal reagierte Nigeria als Zeichen seines echten Willens mit kräftigen Offensiven, verständlicherweise, da Nigeria durch seine militärische Überlegenheit einen sicheren Stand gewinnen will, um eventuelle diplomatische Hilfe für Biafra als sinnlos und gegenstandslos zu reduzieren. Und so mußte die Organisation für Afrikanische Einheit darauf warten, und zwar auf Bitte Nigerias, auch jetzt eine gewisse Zeitspanne zu gewinnen für „noch einen Schlag“ mehr.

Was sind die Tatsachen — was hätte die OAU (Organisation für Afrikanische Einheit) mit ihrer Vermittlung erreicht?

Das größte Hindernis zur echten Verhandlung waren die ununterbrochenen Kampfhandlungen und Nigerias Offensiven während der Friedensgespräche. Der erste ernsthafte Schritt ist und bleibt ein Waffenembargo für beide Fronten. Um die Wirksamkeit eines solchen Waffenembargos zu sichern, müßte ein internationales Team vorhanden sein, das weitere Waffenlieferungen stoppen kann. Biafra hat sich dazu bereit erklärt. Zugleich wäre ein echter Appell der OAU an die Großmächte hier am Platz, ihre Waffenlieferungen einzustellen. Wie „The Guardian“ berichtet, wird Rußland als der „Größte Elefant“ in diesem Dschungel betrachtet. Aber die Russen in London sagen, daß sie noch nie eingeladen wurden, um bei einem Waffenembargo mitzuwirken.

Mit Ausnahme der vier Staaten, die Biafra diplomatisch anerkennen, steht die OAU auf der Seite Nigerias. Dies basiert auf zwei Irrtümern, zumal sie nur einseitige Information und Berater hat.

Erstens: .Sie ist der Versuchung ausgesetzt, anzunehmen, daß Oberstleutnant Ojukwu eigentlich die Ibos nicht repräsentiert. Diese Behauptung ist unrichtig. Die Menschen in Biafra sind einmütig in ihrer Angst vor den nigerianischen Truppen. Sie sind sich alle darin einig, daß sie kämpfen müssen, um das eine zu gewinnen, was ihnen die nigerianische Regierung nicht gewähren kann, nämlich: die Sicherheit, daß ihr Land von keiner Garnison belegt sein solle. Es hat keinen Sinn, ihnen von dem gütigen Gowon und den rücksichtsvollen Soldaten Nigerias zu erzählen. Sie wissen es selbst besser — denn sie haben es gespürt, und zwar bitter. Abgesehen von zwei großen Massakern, gab und gibt es viele kleinere Grausamkeiten, Bombenangriffe und bis jetzt drei gescheiterte Friedensverhandlungen. Das sind Zeichen mangelnden Willens, einem Volk sein Recht auf Existenz unangetastet zu lassen. Zweitens ist die OAU dem Irrtum ausgesetzt, daß Ojukwu um eine glorreiche Unabhängigkeit kämpft, um später die Ehre zu haben, viele Botschaften in aller Welt eröffnen zu können. Die Wahrheit ist, daß Ojukwu nie ein Sezessionist war, und heute kämpft er mit allen Biafranem nicht um die Ehre einer glorreichen Unabhängigkeit, sondern sie kämpfen einzig und allein um ihre Sicherheit. Wer gibt Biafra die Zusicherung dieser Sicherheit? Wer garantiert zunächst ihren physischen Schutz?

In diesem Stadium wäre die warnende Stimme der Weltorganisation angebracht. Warum bleibt diese Stimme stumm? Die Antwort ist, daß die UNO für einen „Bürgerkrieg“ nicht zuständig ist. Denn für die U-Thant-Mannschaft ist dieser Krieg zwischen Nigeria und Biafra ein inneres Problem Nigerias --ein Bürgerkrieg, in dem die Vereinten Nationen auf Grund ihrer Statuten nicht eingreifen können. Vernichtung eines Volkes ist aber von der Weltorganisation seit 1946 als ein internationales Verbrechen erklärt worden. Im Jahre 1948 verpflichteten sich die UNO-Mitglieder, Völkermord unter Strafe zu stellen. Hat diese Verpflichtung der UNO noch eine geltende Bedeutung auch im Fall Biafra? Oder hat die Integrität eines „Musterstaates“ Nigeria den Vorrang gegenüber dem menschlichen Leben der dem Tode ausgesetzten Biafraner? Zusammengefaßt: Die Sache Biafras ist keine Illusion, sondern eine Realität. Selbst wenn Nigeria durch seine militärische Überlegenheit an Menschen und Material den Erfolg haben sollte, ganz Biafra zu erobern, wäre das Problem nicht gelöst. Die Unabhängigkeit Biafras ist eine Lebensnotwendigkeit.

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