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Menschenschläditerei in Biafra

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Am 10. Dezember 1968 jährt sich zum zwanzigsten Male der Tag, an dem die Generalversammlung der Vereinten Nationen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte „als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal“ verkündete. Die Generalversammlung wurde zu diesem Schritt unter anderem durch die folgenden Beweggründe veranlaßt:

• da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet,

• da Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben, und da die Schaffung einer Welt, in der den Menschen Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben der Menschheit verkündet worden ist,

• da es wesentlich ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung als letztem Mittel gezwungen wird,

• da die Völker der Vereinten Nationen in der Satzung ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen bei größerer Freiheit zu fördern —

verkündet die Generalversammlung die allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Wer mit Aufmerksamkeit die Weltgeschehnisse dieses Jahres verfolgt, muß mit aller Entschiedenheit feststellen können, daß die internationale Lage auch in diesem Jahr nicht friedlicher geworden ist. Trotz des Pariser Gesprächs, das schon mehrere Monate andauert, werden die Kriegshandlungen in Vietnam mit unverminderter Grausamkeit fortgesetzt. Die unmenschliche Lage im Südsudan wird in der internationalen Presse totgeschwiegen. In Biafra ist das Jahr 1968 ein Jahr des Elends, ein Jahr der unmenschlichen Grausamkeit, ein Jahr des Todes. Die Geier bezeugen es, denen der menschliche Leichnam zur täglichen Nahrung geworden ist.

Nun möchte man den Sinn jenes Vorhabens der Generalversammlung mit der Erklärung der Menschenrechte wissen. Auch in Biafra leben.. Menschen, und diese Menschen dürften auch das Recht auf Leben und freie Entfaltung haben, ohne

Rücksicht auf religiöse, rassische oder ethnische Zugehörigkeit. Es dürfte auch zu erwarten sein, daß eich das Volk Biafras des Schutzes dieses Rechts erfreuen sollte „ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder irgendeiner anderen Beschränkung seiner Souveränität unterworfen ist“, wie es in der Erklärung heißt. Die Tatsachen sprechen aber eindeutig gegen das Land Biafra. Seine Rechte werden ignoriert

Wer die unnatürliche politische und ethnologische Struktur Nigerias kennt, weiß, daß es früher oder später zu einer Entladung der Spannungen kommen mußte. Die Unabhängigkeitserklärung Biafras am 30. Mai 1967 bildete den Auftakt zu einem der furchtbarsten Kriege unseres Jahrhunderts. Jene Unabhängigkeitserklärung war der einzige Ausweg, um die Sicherheit der Menschen in der damaligen Ostregion zu gewährleisten. Denn der Sturz der rechtmäßigen Regierung, an deren Spitze Generalmajor

Aguiyi Ironsi gestanden war, erfolgte durch eine Meuterei, die von einer Gruppe von Soldaten aus

Nordnigeria organisiert worden war. Das Ergebnis dieser Meuterei war, daß Oberst Yakubu Gowon, der sich später zum General machte, sich zum Staatsoberhaupt erklärt hat. Und so entstand eine neue Regierung in Nigeria, die von den Aufständischen gewählt worden war.

Trotzdem versucht die britische Regierung ihre Waffenlieferungen an Nigeria durch ihre legalistische Haltung zu rechtfertigen, weil sie dadurch eine Commonwealth-Regierung, die sie anerkennt, unterstützt. „Aber diese legalistische Ansicht hat alle ihre Bedeutung, die sie jemals gehabt hat, verloren, denn General Gowon kam illegal zur Macht, nach einem Putsch, in dem 214 Ibo-Offi- ziere in ihren Kasernen ermorde! wurden.“ („The Guardian“, 3. Juni 1968.) Diese Tatsache wurde vor der Weltöffentlichkeit verschwiegen Und dies sowie die Massaker ar über 30.000 Menschen aus der dama ligen Ostregiion und die zwei Millionen Flüchtlinge innerhalb von zwei Monaten waren die Umstände, die echte Hindernisse für ernste Verhandlungen und ein Vorspiel zur Sezession Biafras aus der nigerianischen Föderation bildeten. Daß Biafra zu dieser Sezession durch eine Serie von menschenrechtswidrigen Handlungen, die es hinnehmen mußte, gezwungen wurde, davon redet kein Mensch. Es wird nicht berichtet, daß Oberstleutnant Hassan, der Militärgouverneur von Nord- nigerua, bei der Aburi-Konferenz verlangte, daß die Ostregion aus der nigerianischen Föderation ausschei- den solle. Angesichts all dieser Tatsachen wird Biafra auch noch als Rebell hingestellt, gerade dies aber bedeutet eine völlige Verdrehung der Wirklichkeit. Deshalb sind solche Ausdrücke wie „abtrünnige Ostprovinz“ oder „abgefallene Ostprovinz“ im Zusammenhang mit Biafra falsch und irreführend und daher entschieden abzulehnen. Das muß mit allem Nachdruck festgestellt werden.

„Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.“ (Art. 18 der Erklärurig der Menschenrechte.) Oft genug hat man versucht, in diesem Krieg eine Unterscheidung zu treffen, ob es sich hier um einen Religionskrieg handelt oder nicht. Diese Unterscheidung hat an sich keinen Sinn. Krieg ist Krieg, egal wie man ihn benennen will. Gerade in diesem Krieg zwischen Nigeria uinid Biafra werden nicht wenige Menschen grausam hingeschlachtet, weil es kein Religionskrieg ist. Nichtsdestoweniger muß man bedenken, daß der Moslem Ahmadu Bello, der politische und religiöse Führer der Haussa, vor einigen Jahren einen „Heiligen Krieg“ angekündigt hat. Er sagte damals: „Der Zeitpunkt des Heiligen Krieges ist noch nicht angebrochen, aber jetzt ist die Zeit der geistigen Vorbereitung.“ In diesem Krieg haben alle christlichen Kirchen in Biafra gespürt, daß der Krieg mit Nigeria, in dem die islamischen Haussa die Vorherrschaft haben, nicht ohne Folgen für sie ist. Diese christlichen Gemeinden, ob Einheimische oder Europäer; Katholiken oder Presbyterianer, können alle von den gleichen Erfahrungen berichten, und zwar aus den Jahren, wo sie unter den Haus- sas gewirkt haben. Sie berichten, daß die Kirchen im Norden für die Leute dort stets Fremdkörper gewesen seien. Die Kirchen in Biafra sind keine isolierten Institutionen, denn die Missionare beschränkten ihre Tätigkeit nicht nur auf die Sa- kramentenspendung, sondern errichteten Schulen, Spitäler, Seminare. Insofern diese Einrichtungen von sozialer Bedeutung waren, erhielten sie dafür Subventionen von der Regierung. Als die ägyptischen Piloten, die für die nigerianischen Luft- streitkräfte mit russischen Bombern operieren, diese Kirchen, Schulen und Krankenhäuser zerstörten, feierten das die Nigerianer mit Pomp und Jubel.

„Jeder Mensch“, so heißt es in Art. 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, „hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jenes Staates in den Genuß der für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit un entbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu ge- langen.“ — Seit Anfang dieses Krieges ist eine todbringende See- und Luftblockade von Nigeria gegen Bia fra verhängt worden. Das heißt, während Nigeria mit seinen 42 Millionen Einwohnern in Zusammenarbeit mit der englischen Regierung

— die ihrerseits in einer unheiligen Allianz mit der Sowjetunion steht

— Waffen und Militärberater im Überfluß bekommt, ist Biafra dazu verurteilt, mit selbstgemachten Waffen gegen diese erdrückende Übermacht zu kämpfen. Während man in Nigeria ohne Schwierigkeiten mit Lebensmitteln versorgt ist, darf kein Flugzeug nach Biafra fliegen, um die hungernde Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen — sie werden alle abgeschossen.

Die unmenschliche Lage c Flüchtlinge in Biafra schreit zt Himmel. „Während in Biafra jed Tag tausende Kinder verhunger so berichtet eine Wiener Tagesz tung, „lagern in der nigerianisch Hauptstadt Lagos große Mengen Lebensmitteln, die ohne besondi Schwierigkeiten dorthin beförd werden könnten, wo sie dringe benötigt werden. Im Norden Nij rias werden Lebensmittel weggewi fen, weil es zuviel zu essen gibt, u die Bauern können ihre Ernten ni absetzen. Die Lebensmittelpre sind noch nie so niedrig gewese Dies ergibt si h aus einem Beri der zwei britischen Unterhausabj ordneten Nigel Fisher (Konserva ver) und James Johnson (Labe Party), die seit Anfang August Nigeria weilen. Fisher sagte, er entsetzt. Bei einem Besuch in Ik Ekpene hätten er und Johnson 800 Kinder gesehen, die vor Unterernährung mit dem Tode rangen.

Aus Genf wurde gemeldet, daß die Rotkreuzflüge nach Biafra eingestellt wurden, weil vor zwei Tagen (das heißt am 9. August 1968) ein Flugzeug mit Hilfsgütern abgeschossen wurde; das alles, weil Nigeria eine wirtschaftliche Blok- kade über Biafra verhängt hat und weil niemand in der ganzen Welt da ist, um diese unheilige Situation zu ändern. Wo bleibt jenes Recht auf soziale Sicherheit, auf Leben und auf Genuß der für die Würde und freie Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit notwendigen Freiheit?

Was diesen Krieg anbelangt, so steht es fest, daß die einzige Lösung für diese Feindseligkeiten nur international gefunden werden kann. Protestparolen können nicht mehr helfen. Die laut gepriesene Neutralität sollte allmählich ihre Grenze haben, besonders wenn es um die Verletzung von Menschenrechten geht. Biafras Existenz benötigt eine konkrete Geste. Tansania als der mutigste Staat hat es nicht gescheut, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Seine Anerkennung Biafras war das rettende Element für dieses Volk in diesem unnötigen Krieg. Gabon, die Elfenbeinküste und Sambia schlossen sich an. Das menschliche Leben hat Vorrang gegenüber jener territorialen Integrität, die die Nigerianer bewahren wollen, allerdings — wie die BBC einmal meldete — (the Nigerian ¡Slogan for the war: „one Nigeria without the Ibos“ = „ein Nigeria ohne die Ibos“).

Die Anerkennung der Souveränität Biafras bedeutet ein Ja zur Menschenwürde. Denn .der Grundsatz „qui tacet consentire videtur" gilt auch in diesem Fall. So hat man das in Nürnberg und Erlangen sehr gut verstanden, wie aus Frankfurt gemeldet wird: ‘„In der Überzeugung, nicht mehr schweigen zu können, ohne schuldig zu werden“, wollen sich die Einwohner von Nürnberg und Erlangen mit einer Biafra- Petition direkt an den Generalsekretär der UNO, U Thant, wenden und ihn bitten, alles in seiner Macht stehende zu tun, um „diesem Völkermord ein Ende zu bereiten“. Diese Petition wird mit 10.000 Unterschriften von evangelischen und katholischen Christen weitergeleitet. Und mit großen Erwartungen verfolgen wir die große Biafra-Initiative, die der österreichische Außenminister Dr. Waldheim eingeleitet hat. Es ist zu hoffen, daß der österreichische Sonderbotschafter Dr. Breycha- Vauthier in dieser Angelegenheit ein möglichst baldiges Einsehen seitens aller anderen Staaten erreichen kann, daß die Menschen in Biafra auch das Recht auf Leben und Selbstbestimmung haben.

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