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Nigeria holt Atem

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Nach jüngsten offiziellen Schätzungen hat Nigeria der kürzlich beendete Krieg mit Biafra etwa dreihundert Millionen Pfund gekostet. Nigeria deckte diese gewaltige Ausgabe, ohne im Ausland Anleihen aufnehmen zu müssen, und ist auch heute noch eines der Länder, die nicht mit Auslandsschulden belastet sind. Obwohl durch den Bürgerkrieg und die ihm vorangegangenen Wirren die ausländischen Investitionen abnahmen und sich zu Beginn des Bürgerkrieges fast ein Drittel der Industrie im dichtbevölkerten Gebiet der Sezessionisten befand, ist das Bruttosozialprodukt Nigerias heute größer als im Sommer 1967, als die kriegerischen Auseinandersetzungen begannen. Schon für das kommende Jahr erwartet man eine Zuwachsrate von 15 Prozent. Nigeria ist unter den zehn Ländern der Welt mit größter Erdölgewinnung. Auf Grund seiner Beteiligung an der sich ständig steigernden Erdölgewinnung kann der Staat allein auf diesem Sektor bis zum Jahr 1973 mit der gewaltigen Einnahme von 650 Millionen Pfund, also mehr als dem Doppelten der hohen Kosten des Bürgerkrieges, rechnen. (Das nigerianische Pfund steht im Kurs höher als das englische.) Sogar während des Bürgerkrieges stand die Erdölförderung, auf die es „Biafra“ und seine Hintermänner abgesehen hatten, niemals unter jener der Vorkriegszeit, was den Krieg nicht abkürzte.Ebenso bedeutsam wie die wirtschaftlichen sind auch die Erfolge der Bundesregierung in anderen Bereichen. Viele unvoreingenommene Beobachter bestätigen, daß die Wiedereingliederung der Ibos in den nigerianischen Staatsverband praktisch reibungslos vor sich geht. Die Bundesregierung hat zum Beispiel verfügt, daß alle früheren Beamten Nigerias, die für die Sezessionisten gearbeitet hatten, mit Recht auf Beförderung und Pension ohne jedwede Benachteiligung in den nigerianischen Staatsdienst wiederaufgenommen werden. Sogar in Ministerien und hohen Bundesverwaltungsstellen werden Beamte, die sich auf die Seite Biafras gestellt hatten, wieder eingegliedert. Europäer und Amerikaner in Lagos waren erstaunt, als sie z. B. sehr bald nach der Kapitulation Biafras einen neuen Nachrichtensprecher im nigerianischen Rundfunk hörten, der noch drei Wochen vorher im biafra-nischen Radio die Ibos zum Kampf gegen Nigeria aufgerufen hatte. Kenner der afrikanischen Mentalität bezeichnen solche Erscheinungen keineswegs als Ausdruck einer lediglich opportunistischen Haltung. Auch die Beseitigung der Folgen des Bürgerkrieges in den ehemaligen Kampfgebieten geht rasch vorwärts. Heute gehen wöchentlich mindestens drei Millionen Kilogramm eiweißhaltiger Nahrung in das ehemalige Biafra, und für die an den Folgen der früheren Hungersnot noch immer erkrankten Personen wurden an Ort und Stelle für 60.000 Personen etwa zweihundert Behelfsspitäler eingerichtet.

Nigeria ist nicht nur Erbe einer der bedeutendsten Kulturen des vorkolonialen Afrika, sondern auch mit seinen 50 Millionen Einwohnern das bei weitem fortgeschrittenste Land Schwarzafrikas und somit einer der bedeutendsten Faktoren des Schwarzen Erdteils. Ein erfolgreiches, geeintes Nigeria mit diesem unerwartet großen und schnellen Aufschwung so bald nach einem kostspieligen Bruderkrieg übt auch auf andere Teile Afrikas eine so große Anziehungskraft aus, daß die Tendenz, über Mißgriffe und Fehleinschätzungen der Vergangenheit einfach den Schleier des Stillschweigens zu breiten, verschiedenen außerafrikanischen Kräften sehr teuer zu stehen kommt. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß jetzt unter anderem in der deutschen Bundesrepublik eine zunehmende Anzahl von Persönlichkeiten im westdeutschen Interesse zu einer realistischeren Einstellung zu westafrikanischen Entwicklungstendenzen übergeht. So wurde zum Beispiel kürzlich die große Nigerbrücke bei Onitscha mit Kosten von einer Million Mark als freiwilliger Beitrag der Bundesrepublik zur Beseitigung der Kriegsfolgen in Nigeria wiederhergestellt.

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