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Hilfeschrei aus Biafra

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„Warum habt Ihr uns verlassen?” heißt es in einem verzweifelten Appell des Klerus aus Biafra an alle Staaten guten Gewissens. „Es ist ein furchtbarer Skandal, daß dank der vereinten Bemühungen der nigerianischen Bundesregierung, Rußlands und seiner osteuropäischen Satelliten und merkwürdigerweise auch des christlichen England selbst eine ganze Nation in Afrika ausgerottet wird und nicht eine einzige Regierung es jemals gewagt hat sich ernstlich damit zu befassen”, heißt es weiter in diesem Appell.

Was spielt sich in diesem durch die nigerianische Regierung und ihre mohammedanischen Komplicen von der Außenwelt abgesonderten Staat ab? Was haben die Menschen in Biafra verbrochen, daß ihr Schicksal so entschieden wird? — Nach all den blutrünstigen, haarsträubenden Nachrichten, die täglich in den Zeitungen, in Radio und Fernsehen Aufsehen erregen, kann kaium behauptet werden, daß man auswärts nicht weiß, was wirklich vor sich geht.

Der Koran hat Durst…

Das Programm der mohammedanischen Haussas in Nigeria ist klar, wie es schon in der „St Pöitner Kirchenzeitung” berichtet wurde: „Dieses christliche Volk, eines der vielversprechendsten in Westafrika, zum Islam zu zwingen.” Dazu die gewaltige Unterstützung Rußlands und der Ostblockstaaten. „Der Koran hat Durst und will zum Meer.” (Biafra liegt nämlich direkt am Atlantischen Ozean.)

Als erstes Verbrechen der Bia- franer sei genannt, daß sie Christen sind. Weiters scheinen die Ibos von Biafra ein Volk zu sein, das für eine Tragödie ausersehen ist Alles scheint gegen sie zu sein. Unter ihren Nachbarn haben ihr Geist, ihr Fleiß und natürlich auch ihre

Fehler ihnen Feinde geschaffen und sie heute weniger zum Ziel des Neides gemacht Deshalb sollen sie entweder gezwungen werden, unter Bedingungen zu leben, die menschlich unmöglich und mit ihrem Gewissen unvereinbar sind, oder systematisch ausgerottet werden. Zu Beginn dieses Jahres hieß es im Radio, der nigerianische Regierungschef habe in seiner Neujahrsrede gesagt er werde bis Ende März dieses Jahres den Krieg gegen Biafra siegreich beenden.

Zum Angriff bereit

Das Geheimnis dieses Planes sind zwei Bataillone der ägyptischer Streitkräfte, die aus 500 Mann und 240 Piloten bestehen; ein Bataillon von 200 Soldaten aus dem Sudan; mehrere russische Jet-Flugzeuge, 3000 Söldner usw. Alle diese Streitkräfte sind für einen Angriff gegen Biafra bereit so belichtet die afrikanische Wochenzeitschrift

„African Weekly Review”, die in London erscheint Und so liest man es auch in der Kathpress vom 16. Februar 1968, daß die nigerianische Regierung — trotz zunehmender Proteste in aller Welt — ihre Hoffnung noch immer auf eine gewaltsame Lösung des Konfliktes zu richten scheint Das amerikanische Nachrichtenmagazin „Time” will sogar von einem Tagesbefehl General Gowons an die nigerianischen Bundestruppen wissen, in dem das Militär angewiesen wird, alle männlichen Bewohner Biafras über fünf Jahre, die in die Hände der Bundestruppen fallen, zu töten.

Die UNO schweigt

Das alles sind sichere Zeichen, daß es sich hier um eine Spielregel der Unmenschlichkeit handelt. Selbst aus der Hauptstadt Nigerias, Lagos, wird berichtet daß Ibos spurlos verschwinden. „Wo findet sich ein Ankläger oder gar ein Richter über das Gemetzel an den Ibas in Nigeria?” fragen wir mit der „Presse”, vom 5. Februar 1968. Die Organisation für afrikanische Einheit (OAU) schweigt. Ihre Mitglieder sind Staaten, die selbst Stammesprobleme haben und daran nicht rühren wollen. Die UNO hat geschwiegen unter dem Vorwand, es handle sich um eine interne Angelegenheit Nigerias. Und andere haben hinter formalen Schlag- wörtem wie „Einheit Nigerias” Zuflucht gesucht.

Doch um das Kind beim rechten Namen zu nennen, müßte man sagen, daß dieser Konflikt nicht als interne Angelegenheit bezeichnet werden kann. Denn wie könnten dann russische und tschechische Panzer und Migs, „Techniker” des kommunistischen Blocks, britische Fliegerabwehrgeschütze und ägyptische und südafrikanische Piloten darin verwickelt sein? Wenn diese „interne Angelegenheit” „extern” genug ist, um Rußland und England in einem solchen Ausmaß zu interessieren, daß sie ihre großen Waffenfabriken und Waffenlager der nigerianischen Regierung für den zugegebenermaßen edlen Zweck zur Verfügung stellen, „die nigerianische Einheit zu erhalten”, könnte man nicht Vorschlägen, daß in gleicher Weise einige andere Regierungen genügend interessiert sein könnten und sollten — und sei es nur aus reiner Menschenfreundlichkeit, von christlichen Gefühlen ganz zu schweigen —, um ein Volk wie die Ibos vor der buchstäblichen Ausrottung zu bewahren? Um sich aus dieser drohenden Gefahr zu retten, waren die Ibos gezwungen, die nigerianische Föderation zu verlassen und sich am 30. Mai 1967 als Republik Biafra für unabhängig zu erklären.

Appell an das Weltgewissen

Daher ein neuerlicher Appell an alle Regierungen guten Willens: Sie könnten zumindest ernstlich, und damit wirksam, gegen eine solche einseitige Intervention Englands und Rußlands in diesem Konflikt protestieren. Eine gewaltsame Intervention dieser Art war es, die die ungarische Revolution von 1956 niiederschlug, eine Revolution, deren volkstümlicher Charakter für jedermann offensichtlich war, obwohl niemand einen Finger rührte, um sie zu untersützen. Will die freie Welt wirklich aufs neue untätig Zusehen, während die Geschicke eines Volkes auf ungerechte Weise neu gestaltet werden?

Wir appellieren zugleich an die christliche Welt, denn den Berichten zufolge, die uns erreichen, nimmt der psychologische Effekt aller dieser Tatsachen unter der gesamten christlichen Bevölkerung, am ausgeprägtesten aber unter der christlichen Elite in Biafra, bereits den Umfang einer religiösen Krise an. Sie fragen sich, ob es nicht gefahrloser wäre, zusammen mit den Haussas den Koran lesen zu lernen, als getauft und deshalb ermordet zu werden. Dieses Volk kann die Gleichgültigkeit seiner Mitchristen nicht länger ertragen, während es in einem Kampf auf Leben und Tod hingeschlachtet wird.

„Wenn das Christentum bedeutsame Unterschiede zwischen uns und den Moslems fördert”, so heißt es in jenem Appell des Klerus aus Biafra, „indem es uns gefährliche Ideen wie Fortschritt und soziale Gerechtigkeit bringt und nichtsdestoweniger bereit ist, gleichgültig zuzusehen, wie wir ausgerottet werden, schlagen wir vor, unsere Aufmerksamkeit lieber auf den Koran hinzulenken. Aber wenn das Christentum erine weltumspannende Bruderschaft ist, wenn seine Botschaft eine solche der Gerechtigkeit und Wahrheit, der Hilfe für die Unterdrückten ist, dann soll die Christenheit jetzt ihre Solidarität mit den Ibos zeigen.”

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