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Nigerianisches Selbstverständnis

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„Der Krieg am Niger“, sagte soeben ein nigerianischer Intellektueller von hohem Format, „hat uns gelehrt, zwischen unseren wahren Freunden und Feinden einen scharfen Trennungsstrich zu ziehen.“ Zu den letztgenannten rechnet er jene, die, mehr als offene Feinde, „hinter den Kulissen“ die Zerreißung Nigerias begünstigten, während er „offene und ehrliche Feinde“ viel günstiger beurteilt. Die ungünstigste Beurteilung durch viele Afrikaner — nicht nur in Nigeria — erfährt heute Frankreich, dem sie die verschiedensten Machinationen zur Ingangsetzung des Bürgerkrieges vorwerfen, ebenso wie eine planmäßige Verlängerung der Feindseligkeiten, „welche Hunderttausenden von Afrikanern das Leben gekostet haben“.

Die Fehlspekulation auf eine erfolgreiche Sezession Biafras erweist sich heute als empfindliches Verlustgeschäft. Es wurden hohe Anzahlungen auf Schürfrechte wertvoller Bodenschätze im potentiell überaus reichen Gebiet der Sezessio-nisten diesen zur Verfügung gestellt, die den für die Kriegsführung der Sezessionisten nötigen Devisenbestand aufgefüllt haben. Und zu diesen Verlusten kommt noch der nunmehrige Prestigeverlust der an diesem Geschäft beteiligten außerafrikanischen Kräfte. Allerdings hat Paris Biafra niemals anerkannt und offiziell von diesen Geschäften und Waffenlieferungen „nichts gewußt“.

Freunde und Feinde

Die französischen Investitionen in Nigeria werden auf ungefähr fünf Prozent der Investitionen außerafrikanischer Länder in Nigeria geschätzt. Es scheint, daß die nigerianische Bundesregierung nicht wünscht, französische Firmen in Nigeria wegen der Haltung ihrer Regierung und geldkräftiger französischer Spekulanten und Waffenlieferanten im Bürgerkrieg in Nigeria zu benachteiligen, da Lagos offenbar an der Fortdauer guter Handelsbeziehungen zu allen Ländern interessiert ist.

Als Länder, die sich im Bürgerkrieg als Feinde Nigerias erwiesen haben, betrachten maßgebende Nigerianer außer Frankreich auch Portugal, Rhodesien und die Südafrikanische Union. Israel bleibt meist aus der

Liste der nigeriafeindlichen Länder ausgeklammert, da es nach Ansicht nicht weniger Nigerianer zwar Biafra einigenmaßen geholfen hat, aber aufrichtig genug wair, dies offen und ehrlich zuzugeben. Aus verschiedenen Gründen, zum Teil wegen der in Lissabon befürchteten Rückwirkung einer durch die Besiegung Biafras hervorgerufenen Stärkung Nigerias auf die Bevölkerung der portugiesischen Gebiete in Afrika, hatte Portugal „hinter den Kulissen“ die Sezessionisten wirksam unterstützt. Nach Berichten aus Lagos wurden dort vier Zentren für die Unterstützung sezessionisti-scher Bestrebungen in Nigeria geschaffen oder zumindest geduldet. So wurden portugiesische Piloten mit einem Monatsgehalt von 200 Pfund Sterling und zusätzlichen Prämien von 140 Pfund Sterling für jeden Feindflug für den militärischen Einsatz für Biafra angeworben. Auch gegen Südafrika werden Vorwürfe erhoben.

Ihre vorsichtige Haltung im Bürgerkrieg in Nigeria war den Sowjets offenbar von Nutzen. Betreffs Westdeutschlands glauben gute Afrikakenner, daß, obwohl sich vor allem in den früheren Stadien des Bürgerkrieges manche Privatleute und karitative Organisationen auf die Seite Biafras gestellt hatten, eine kluge und realistische Afrikapolitik nunmehr zu einer beiderseits nützlichen Verbesserung der Beziehungen zwischen Nigeria und der Bundesrepublik führen könne. Und was England anbelangt, so habe es trotz mancher bei der riesengroßen Problematik unvermeidlichen Reibungsflächen in Nigeria sehr viele Freunde behalten, und es sei bezeichnend, daß man in Lagos nach dem Zusammenbruch Biafras zuerst die britische humanitäre Hilfe angefordert habe.

Alles in allem scheint sich nach der Beendigung des Bürgerkrieges eine neue Atmosphäre abzuzeichnen, die in diesen Tagen der nigerianische Professor Izanda wie folgt gekennzeichnet hat: „Vor dem Bürgerkrieg am Niger war es vielen Nigerianern möglich, entweder eine prowestliche oder proöstliche Haltung einzunehmen. Von jetzt an wird die nigerianische Außenpolitik mehr als je zuvor für Nigeria und für Afrika sein.“

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