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Kranker „Gigant unter der Sonne“

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Für die Nigerianer ist ihr Staat „der Gigant unter der Sonne“. Der Gigant ist krank und überschuldet. Über dem OPEC-Mit- gliedsland liegen dunkle Krisenschatten.

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Für die Nigerianer ist ihr Staat „der Gigant unter der Sonne“. Der Gigant ist krank und überschuldet. Über dem OPEC-Mit- gliedsland liegen dunkle Krisenschatten.

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Anfang März hat Nigeria beim Pariser Club - auch Österreich, die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland befinden sich unter den Gläubigem — eine Umschuldung von sechs Milliarden Dollar erreicht. Insgesamt liegt die Auslandsverschuldung des mit 112,3 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Staates Schwarzafrikas (FURCHE-Dos- sier 10/1989) heute bei rund 30 Milliarden Dollar, das sind etwa 387 Milliarden Schilling. Nigeria ist damit Afrikas größter Schuldner — ein OPEC-Staat.

Uber dem „Giganten unter der Sonne“ (nigerianische Eigenbezeichnung) liegen dunkle Krisen-

schatten. In den siebziger Jahren geriet mit dem Erdölpreis das gesamte Wirtschaftsgefüge des Landes aus dem Lot.

Bis Mitte der sechziger Jahre brachten Nigerias Agrarexporte (Baumwolle, Erdnüsse, Kakao, Kautschuk, Palmprodukte, Holz) über 60 Prozent der Ausfuhrerlöse ein. Heute kommen rund 95 Prozent der Exporterlöse aus dem Erdölgeschäft — obwohl die Oleinnahmen drastisch gesunken sind.

In den „fetten“ Ölpreisjahren bis 1980 verfügte Nigeria über hohe Einnahmenüberschüsse. Der rasche Reichtum und die Annahme weiterhin steigender Erdölpreise verführte zu riskanten In- vestitionspro j ekten—und zu einer Vernachlässigung der Landwirtschaft, die immerhin auch heute noch die Existenzgrundlage für etwa zwei Drittel der Bevölkerung darstellt.

Die Konzentration auf kapitalintensive Industrieprojekte und Infrastruktur hatte zur Folge, daß trotz hoher Investitionen die Produktion real nur wenig gewachsen ist — im Gegensatz zu den Einkommen freilich. Der Nachfrageüberhang führte einerseits zu einer starken Zunahme der Importe — Nigeria wurde zu einem Hoffnungsmarkt —, andererseits trieb er die Inflationsraten in die Höhe: an 40 Prozent — wie auch zuletzt 1988 wieder — ist man schon gewöhnt.

Eine ganze Reihe schlecht geplanter oder miserabel organisierter Projekte erinnern heute an die Gigantomanie der Ölboom- Jahre: der Bau einer neuen Hauptstadt Abuja in der geographischen Mitte Nigerias gehört ebenso dazu wie das unfertige Kraftwerk Shiroro (FURCHE- Dossier 10/1989) oder das größte und modernste Stahlwerk Schwarzafrikas in Warri — von Deutschen und mit österreichischer Beteiligung (Voest-Alpine) gebaut. Aber für den Betrieb gibt es keine Rohstoffe (Eisenerz) und Betriebsmittel, die importiert werden müßten—um Devisen, die fehlen. Etwa ein Drittel der gesamten Deviseneinnahmen frißt der Schuldendienst, das traurige Erbe „fetter“ Jahre.

Industrieprojekte und Erdölsektor zogen Menschen an: Landflucht, überquellende Städte — und das bei einem Bevölkerungswachstum von 3,4 Prozent. Lagos, 1963 noch eine Stadt mit rund 700.000 Einwohnern, zählt heute

rund 7,5 Millionen, Österreichs Bevölkerung auf einem Fleck.

Der wachsende Ernährungsbedarf konnte von der kleinbäuerlich strukturierten Landwirtschaft nicht gedeckt werden, womit Nigeria auch bei Nahrungsmitteln von Importen abhängig wurde. Zusätzlich sanken inflationsbedingt die bäuerlichen Einkommen: Weil die Produktion für den Markt unrentabel wurde, beschränkten sich viele Bauern überhaupt auf die Selbstversorgung. Dadurch trudelte auch die Landwirtschaft in eine schwere Strukturkrise.

Warnungen — etwa der Weltbank— änderten nichts, wurden in den Wind geschlagen. So auch 1983.

Erst 1986 — im Jahr zuvor hatte Armeechef Generalmajor Ibrahim Babagida durch einen unblutigen Staatsstreich, den fünften seit der Unabhängigkeit Nigerias im Jahre 1960, die Macht übernommen — begann der schwarzafrikanische Staat mit einer wirtschaftlichen Roßkur. Das Strukturanpassungsprogramm Nigerias, das auch die Unterstützung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank findet,

versucht von der starken Ölabhängigkeit wieder loszukommen und auch als Devisenbringer jene Agrarprodukte langsam erneut ins Geschäft zu bringen, die durch das leichtverdiente Erdölgeld geringgeschätzt worden sind.

Gleichzeitig wurden öffentliche wie private Investitionsprogramme drastisch reduziert, um mit den gesunkenen Deviseneinnahmen halbwegs über die Runden zu kommen. Das führt nicht nur — wie bereits erwähnt — zu grotesken Situationen, daß halbfertige Anlagen nicht fertiggestellt und fertiggestellte nicht in Betrieb gehen können, das hat auch absehbare Folgen für die Außenhandelsbeziehungen mit Nigeria: auch Österreichs Exporteure dürfen in absehbarer Zeit keine größeren Projekte erwarten.

„Es sind sehr harte Zeiten. Wir müssen durch die Schwierigkeiten durch. Es gibt keine Alternative.“ A. S. Mohammed, Generalsekretär des Informationsministeriums, sieht trotzdem weniger die Menschen, mehr die Zahlen der Devisenbilanz.

Für die Nigerianer rächen sich politische Fehler vergangener Jahre bitter: Das Pro-Kopf-Einkommen, das 1979 noch bei 670 Dollar lag, erreichte 1987 knappe 370 Dollar. Die „Financial Times“ rechnete jüngst mit einem weiteren Absinken auf 300 Dollar für 1988.

Der Lebensstandard sank und sinkt rapid. Erst im Februar erhielten die Eisenbahner ihr Jänner-Salär und die Rückstände der November-Dezember-Gehälter 1988. Die Einkommensentwicklung hinkt der Inflation immer weiter nach.

Eine positive Seite können nigerianische Gesprächspartner der Entwicklung trotzdem abgewinnen: Durch Armut und die hohen Lebenshaltungskosten vor allem in übervölkerten Ballungsräumen wurde die Landflucht gestoppt, der Trend hat sich sogar umgekehrt. Das Leben am Land ist wieder attraktiv, weil es dort Menschen heute besser geht.

Die Agrarproduktion ist zuletzt um fünf, die Nahrungsmittelproduktion im guten Regenjahr 1988 sogar um 15 Prozent gestiegen. „Nigeria ist auf dem richtigen Weg, das Programm zeigt Erfolg“, sieht auch ein Weltbank-Vertreter erste Hoffnungsschimmer. Und: „Es wäre nicht überraschend, würde die Wirtschaft um ein bis zwei Prozent wachsen.“ 9,2 Prozent Wachstum waren es — zum Vergleich -1972 vor dem ölboom.

„Exportergebnisse wie in den späten Siebzigern“, gibt sich auch Stefan Pistauer, Österreichs Handelsdelegierter in Lagos, illusionslos, „werden nie wieder kommen. Trotzdem bleibt Nigeria schon von seiner Größe her der bedeutendste Markt Schwarzafrikas.“ Trotz Ineffizienz der staatlichen Bürokratie, trotz schier allgegenwärtiger Korruption, trotz der Unsicherheit, ob unter den schwierigen Rahmenbedingungen Nigeria 1992 die geplante Rückkehr zu einer Zivilregierung auch wirklich gelingt.

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