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1859-1959

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Mit größter Genugtuung hat die Handelskammer Steiermark zur Kenntnis genommen, daß in das Staatsbudget 1959 erstmalig ein Betrag von 100 Millionen Schilling für Förderungsmaßnahmen in den „unterentwickelten Gebieten” aufgenommen wurde, von welchem ein bestimmter Anteil auf die Steiermark entfällt. Dementsprechend hat sich die Handelskammer auch angelegen sein lassen, nach gründlichem Gedankenaustausch mit den betreffenden Wirtschaftskreisen, ganz konkrete Vorschläge für die einen maximalen wirtschaftlichen Effekt versprechende Verwendung der in Aussicht gestellten Beträge zu unterbreiten. In diesen Vorschlägen sind auch die oben beispielshalber erwähnten Projekte enthalten, sowie eine Reihe von weiteren Anregungen und Wünschen, von deren Realisierung eine Besserung der Verhältnisse im steirischen Grenzland erwartet werden kann. Im Interesse der gesamten Steiermark und ihrer für ganz Oesterreich nicht gerade unwichtigen wirtschaftlichen Produktion djrf der Hoffnung Auscfruck verliehen werdem daß ‘“‘sich alle diese Wünsche und Projekte in möglichst naher Zukunft verwirklichen lassen.

Schließlich noch ein Wort zu dem gerade in jüngster Zeit stark in Mode gekommenen Problem von industriellen und gewerblichen Neugründungen in den unterentwickelten Grenzgebieten. Die Handelskammer Steiermark ist weit davon entfernt, sich derartigen Vorhaben etwa zu verschließen oder ihnen gar ablehnend gegenüberzustehen, sie vertritt aber auf Grund gemachter Erfahrungen den Standpunkt, daß eine künstliche Verpflanzung von Betrieben sozusagen um jeden Preis allzu leicht den Keim wirtschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten in sich trägt, von Schwierigkeiten, die sich möglicherweise auch auf weitere Wirtschaftssparten nachteilig auswirken könnten. Weit eher ist die Gewährung tatkräftiger Hilfe an Betriebe zu empfehlen, deren Errichtung seinerzeit einem echten wirtschaftlichen Bedürfnis entsprang, den örtlichen Gegebenheiten entsprach und deren organische Weiterentwicklung unbedingt unterstützt werden sollte. Daß sich, sobald tatkräftige Förderungsmaßnahmen ihre ersten Früchte in einer wirtschaftlichen Belebung des Grenzgebietes zeigen, die Notwendigkeit nicht nur von Erweiterungen, sondern ebenso auch 100 Jahre sind vergangen, seit Erzherzog Johann gestorben ist, und 140 Jahre, seit er die k. k. Landwirtschaftsgesellschaft in Steiermark, eine Vorläuferin der heutigen Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft, ins Leben gerufen hat.

An den natürlichen Produktionsbedingungen — Boden, Klima, Geländegestaltung —, aber auch arr der Agrarstruktur hat sich in diesem Zeitraum micht allzuviel geändert. Um ,so ‘mehrf aber hat der Mensch in diesem Jahrhundert formend und gestaltend in das bäuerliche Wirtschaftsleben eingegriffen. Wenn heute einer unserer Vorfahren aus der Zeit um 1850 aufstehen würde, müßten ihm vor allem folgende Errungenschaften, die nur wenigen weitblickenden Männern damals als Wunschträume vorgeschwebt haben mögen, ins Auge fallen:

1 Das weitreichende Wirken des Genosberechtigten Neugründungen ergeben wird, ist sowieso selbstverständlich.

Zum Schluß darf, nach so vielen Worten zur wirtschaftlichen Problematik, auch noch eine ernste Mahnung zur Besinnung ausgesprochen werden: Die wirtschaftliche Notlage des steirischen Grenzlandes und die dadurch bedingte Abwanderung mit allen ihren nachteiligen Folgeerscheinungen stellt nicht nur ein wirtschaftliches Problem von brennendster Aktualität dar, sondern gleichzeitig auch ein Problem der österreichischen Kultur und, wenn man so will, des österreichischen Volkstums, und gerade auf diesem Gebiet gilt es besonders hellhörig zu sein, um nicht eines möglicherweise sehr nahen Tages mit Tatsachen konfrontiert zu werden, die durch etwa verspätete wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen auch nicht mehr aus der Welt geschafft tyerden können. senschaftswesens, das in der Steiermark zur Zeit 529 bäuerliche Genossenschaften und 5 Landesverbände umfaßt. Auf allen Gebieten der Land- und Forstwirtschaft stehen dem Landwirt heute wohlorganisierte Selbsthilfeeinrichtungen in der Produktion, für Absatz und Verwertung der Erzeugnisse, im Warenbezug und im Geld- und Kreditwesen zur Verfügung. i! 2. :Zam, .Unterschied von: den Landwirt schaftägesHlschafe, einem Vėtein mit freiwillig ger Mitgliedschaft, dem die Massenwirkung fehlte, besitzt die steirische Bauernschaft heute ein gesetzlich fundiertes Kammersystem zur Standesvertretung und Förderung, das auf den Grundsätzen der demokratischen Selbstverwaltung und Selbstverantwortung aufgebaut ist und praktisch alle Grundbesitzer umfaßt.

3. Zum wirtschaftlichen Zusammenschluß in den Genossenschaften, den berufsständischen in der Kammerorganisation, trat immer mehr auch die politische Einheit des Bauernstandes. Denn bei den letzten Kammerwahlen im Jahre 1954 hat der Steirische Bauernbund 86 Prozent aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Er stellt seit dem letzten Kriege den Landeshauptmann und den Landtagspräsidenten in der Steiermark.

4. Landwirtschaftswissenschaft und Praxis haben in den letzten hundert Jahren gewaltige Fortschritte gebracht. Sie werden der bäuerlichen Bevölkerung in den Fachschulen und Bildungseinrichtungen des Bundes, Landes und der Kammer vermittelt. Während vor hundert Jahren noch um das Reichsvolksschulgesetz gerungen wurde, steht heuer in der Steiermark die Einführung der bäuerlichen P f l i c h t b e r u f s s c h u l e in ernster Erwägung. Die Anwendung des Mineraldüngers und vor allem die Technik haben die Erzeugungsmöglichkeiten und das Ge-: sicht der Höfe und Dörfer grundlegend geändert.

Alles das hat es vor 100 Jahren noch nicht gegeben. Die Landwirtschaft sKckte nßcjv .HJ den ersten Auswirkungen der Gründendastung, auf die eine liberale Epoche folgte, deren für viele Höfe verhängnisvolle Bedrängnis in langen Jahrzehnten erst die Bereitschaft für den genossenschaftlichen, berufsständischen und politischen Zusammenschluß schaffen mußte. Den entscheidendsten Einfluß auf die Entwicklung der Landwirtschaft zum heutigen Stand hat aber ohne Zweifel die Industrialisierung mit ihren Folgen — Wachstum der nicht bäuerlichen just im gleichen Jahre, in dem die Semmeringbahn ihrer Bestimmung übergeben werden konnte — dies war im Jahre 18 54 — wurde in der Hauptstadt der grünen Steiermark, Graz, das Textilunternehmen Ernest Josseck gegründet, das auch heute noch, geführt von der dritten und vierten Familiengeneration, unter den Namen Josseck & Oblack als „Haus der Stoffe” und Josseck & Schmidt als Tuchversandhaus, Graz, Murgasse 9, besteht und sich als führendes Textilunternehmen Oesterreichs besten Namens und besonderen Rufes erfreuen kann.

Geführt werden in- und ausländische Damen- und Herrenstoffe sowie Futterstoffe aller Art nach Meter und Schneiderzubehörartikel. Das im eigenen Hause befindliche Unternehmen verfügt über weitläufige Verkaufsräume für den Detailverkauf und bietet neben den klassischen Artikeln wie Loden, Steirerkammgarne, schwarze Stoffe für Abendkleidung usw., reichste Auswahl in den jeweilig aktuellen Kammgarnen und sportlichen Stoffen für Anzüge, Sakkos und Hosen, Kostüm- und Kleiderstoffen, Herren- und Damen-M antelstoffen aus der Produktion der leistungsfähigsten in- und ausländischen Fabriken, ein reich sortiertes Lager in Seiden-, Halbseiden und Kunstseidenstoffen, wie in Geweben aus Kunstfasern wie Terylen e, Trevira, Dralon, Nylon usw., in B a u m w o 11- und Zellwollstoffen für vielseitige Verwendungsmöglichkeiten. Es bringt eine in Oesterreich unübertroffene Auswahl an Skikorden. Dem vier Stockwerke umfassenden Unternehmen ist eine eigene Weißwarenabteilung eingegliedert, die alle Sorten Bett-, Tisch- und Haushaltwäsche für privaten Gebrauch, Hotels, Gaststätten und öffentliche Anstalten wie Krankenhäuser usw. in nur erprobten, bestens bewährten Leinen- und Baumwollsorten sowie abgepaßte Bettwäsche führt. Die reichhaltigen, pro Saison zirka 1600 verschiedene Artikel enthaltenden, fast 2000 modernst ausgestatteten Musterkollektionen vermitteln das Geschäft über alle Maßwerkstätten und Modesalons im ganzen österreichischen Raum vom Bodensee bis zur.

Bevölkerung, Neubildung landwirtschaftlicher Märkte, steigende Nachfrage nach Lebensmitteln — ausgeübt. Dieser Prozeß, der heute noch nicht abgeschlossen ist, hat sich in mehrfacher Hinsicht bestimmend und gestaltend auf die Landwirtschaft ausgewirkt:

1. In einer früher ungekannten Steigerung der Produktion. Wenn wir die heutigen Leistungen und Erträge mit der Zeit vergleichen, in der der Sekretär der k. k. Landwirtschaftsgesellschaft, Dr. F. X. H1 u b e c k, „Ein treues Bild des Herzogtumes Steiermark” herausgegeben hat (i860), ergibt sich, daß die durchschnittlichen Hektarerträge bei Weizen seither von 12 auf 22,5, bei Roggen von 11 auf 20,5, bei Gerste von 13,5 auf 21, bei Hafer von 12 auf 18,5 und bei Mais von 24 auf 40 Zentner, also beim Getreide im Durchschnitt um 75 Prozent angestiegen sind. Die Durchschnittsmilchleistung wurde damals auf 1150 Liter pro Kuh und Jahr geschätzt, heute erreicht sie rund 2400 Liter, also mehr als das Doppelte. So kommt es, daß bei wenig veränderter Kuhzahl heute die Marktmilchleistung höher ist als damals die Gesamtmilchproduktion. Auch die Gesamtzahl der Rinder ist heute nur um 4 Prozent höher. Die Rindfleischproduktion wurde aber um 60 Prozent erhöht. Am stärksten hat sich in der Vergleichszelt die Schweinehaltung entwickelt. Die Bestände sind heute um mehr als 50 Prozent größer. Entscheidend ist aber der schnellere Umtrieb. Dr. H1 u b e c k gibt an, daß damals jährlich nur der fünfte Teil der Schweine geschlachtet wurde. Heute wird der Bestand im Durchschnitt in einem Jahr umgesetzt, das heißt, die Jahresproduktion ist fast gleich dem Fleischgewicht der im Dezember gezählten Schweine. Die Schweinefleischerzeugung ist daher um fast 800 Prozent höher als vor 100 Jahren.

2. Der Anteil der bäuerlichen Bevölkerung an der Gesamteinwohnerzahl ist durch die Landflucht, das Wachstum der Städte usw. von etwa 66 Prozent im Jahre 1857 auf 30 Prozent im Jahre 1951 zurückgegangen. Als unmittelbare Folgen sind der Mangel an Arbeitskräften, steigende Löhne und Soziallasten und vor allem die Kosten des ständig anwachsenden Maschinenparkes heute zu den schwierigsten Problemen geworden, die der Landwirt betriebswirtschaftlich zu meistern hat.

3. Im Zuge der gesellschaftlichen Umwandlung wird die Preisbildung für agrarische Produkte in wachsendem Maße nicht mehr so sehr von wirtschaftlichen Gesichtspunkten als von sozialpolitischen Erwägungen beeinflußt.

4. Die Buchführungsergebnisse beweisen, daß ein Mißverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag in der Landwirtschaft besteht. Trotz der Steigerung der Produktion, insbesondere der Arbeits- und Flächenproduktivität durch die Rationalisierung, werden landwirtschaftliches Einkommen und Reinertrag durch diese Preisschere’so geschmälert, daß entweder eine zu geringe Verzinsung des Landgutkapitals oder aber ein vergleichsweise unbefriedigendes Arbeitseinkommen resultieren.

Daher kommt es, daß der bäuerliche Anteil am Volkseinkommen heute nur noch 12 Prozent erreicht, obgleich der bäuerliche Bevölkerungsanteil in Oesterreich noch rund 20 Prozent und an den Berufstätigen 30 Prozent ausmacht. In diesem bedenklichen Ergebnis der Leistungs- und Erfolgsbilanz der Landwirtschaft zeigt sich eindeutig die Problematik einer Entwicklung, die um so ernster beurteilt werden muß, als die Landwirtschaft selbst offensichtlich mit Fleiß und Fortschrittswillen an der Rationalisierung ihrer Betriebe arbeitet und in diesem Bestreben von den Kammern und Genossenschaften wirksam unterstützt wird.

Natürlich müssen bei diesen Erwägungen auch die gestiegenen Lebensansprüche der bäuerlichen Familie — der allgemeinen Entwicklung entsprechend — in Rechnung gezogen werden. Trotzdem aber ist es durchaus fraglich, ob es leichter ist, heute Bauer zu sein als vor hundert Jahren. Da sich die landwirtschaftliche Produktion rascher aufwärtsentwickelt hat als die Bevölkerung, treten heute die Absatzprobleme immer mehr in den Vordergrund und damit die Exportbestrebungen, die auch die steirische Land- und Forstwirtschaft in Qualität und Preis in die europäische Konkurrenz eingliedern.

In der Erkenntnis der wirtschaftlichen Gefährdung der Landwirtschaft durch die fortschreitende Industrialisierung haben die meisten der europäischen Industriestaaten und auch die USA zur Sicherung ihrer bäuerlichen Bevölkerung und ihrer Ernährung weitgehende agrarische Grundgesetze geschaffen, die im wesentlichen eine Uebereinstimmung zwischen Aufwand und Ertrag, also eine gewisse Parität, bei ordentlich wirtschaftenden Betrieben mittlerer Größe und mit durchschnittlichen Produktionsbedingungen anstreben. Auch die österreichische Landwirtschaft kann auf die Dauer auf die endliche Verwirklichung ihrer längst erhobenen Forderung nach einem Landwirtschaftsgesetz nicht verzichten. Sonst sind unsere Bauernhöfe trotz dieser stolzen Bilanz ihrer Selbsthilfe auf die Dauer nicht weniger gefährdet als vor hundert Jahren.

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