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Unsere Landwirtschaft vor neuen Aufgaben

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Das Leben des Landwirts war einst arbeitsreicher und eintöniger als das des Stadtbewohners, dafür aber besaß es eine Sicherheit, die dem Dasein in den Städten versagt blieb. Erst gegen die Jahrhundertwende begannen sich die ersten Anzeichen eines Wandels, eines Zerbröckeins der s'cheren, altgewohnten Basis des Landlebens bemerklich zu machen, als die Maschine auch in die Agrarwirtschaft Eingang fand und überseeische Agrargroßbetriebe, dank ihrer viel niedrigeren Selbstkosten, die kleineren Produzenten in Europa in den Hintergrund zu drängen begannen. Knapp vor dem ersten Weltkrieg drückten sie die europäische Landwirtschaft geradezu an die Wand. Gleichgültig, ob Vieh- oder Körndfbauer,beide waren sie den Großfarmen und Groß-ranchen des Westens nicht gewachsen. Die Zeiten der relativen Sicherheit und Ruhe des Landlebens waren dahin. Der Bauernstand wurde in Schulden verstrickt und schien langsam seinem Untergang entgegenzugehen.

Dieser Aufsaugungsprozeß der alten, autarken Regionalwirtschaften durch eine den ganzen Erdball umspsfrmende Universalwirtschaft wurde durch den, ersten Weltkrieg unterbrochen. Die Bauernschaft Österreichs erhielt dadurch eine Atempause, die es ihr ermöglichte, innerhalb des durch die Kampffronten hermetisch abgesperrten Raumes die Preise für ihre Produkte dur'ch-zuseten, die ihr angemessen erschienen. So war nicht nur eine umfassende Entschuldung des bäuerlichen Besitzes eingeleitet, sondern es konnten auch Rücklagen für Investitionen gebildet werden; in den ersten Nachkriegsjahren war diese Erholung noch merklich, aber sie währte nicht lange ungestört. Die Konkurrenz auf den Weltmärkten drückte die Preise derart, daß die europäische Agrarwirtschaft, von Spezialzweigen abgesehen, schon fast hoffnungslos unrentabel erschien. Wieder begann die bäuerliche Verschuldung. Ein Hof nach dem anderen kam auf die Gant. Wieder bot sich das Bild des aussichtslosen Kampfes des Kleinen gegen den überseeischen Großen, der allein schon durch seine Größe und die aus ihr erwachsenden Rationalisierungsmöglichkeiten übermächtig war. Bis wieder ein Krieg ausbrach. Der zweite Weltkrieg. Das alte Spiel begann sich zu wiederholen. Nochmals war die außereuropäische Konkurrenz durch Kampflinien von einer diesmal noch viel größeren Anzahl europäischer Verbraucher abgesperrt. Wieder bot sich so der Agrarwirtschaft innerhalb dieses Ringes ein Marktmonopol, wenn auch nicht mehr mit einem nahezu freien Preisdiktat, aber doch zu verhältnismäßig günstigen Stoppreisen, die durch so manche Abverkäufe über den Schwarzen Markt, der bald erheblichen Umfang annahm, verbessert wurden.

Auch dieser Krieg ging zu Ende. Die Nachfrage gestaltete sich in diesen ersten Zeiten nach Kriegsende noch unvergleichlich größer und drängender. Der Mangel an Nahrungsmittel war und ist noch viel empfindlicher, die Unterernährung noch viel weiter fortgeschritten; die Absatzaussichten, auch für den österreichischen Landwirt, also fürs erste noch äußerst günstig. Allerdings wohl wieder eben nur fürs erste!

Wieder waren und sind große Eingänge an Geld und Sachwerten in der Landwirtschaft zu verzeichnen. Freilich ist diesmal der Umfang der notwendig gewordenen Aufwendungen viel größer. In einigen Gebieten hat die Bauernschaft durch den Krieg und seine Nachwirkungen ja sehr schwere Verluste erlitten, zumal wenn sie sich ihrer unentbehrlichen Betriebsgüter, Maschinen, Geräte, Saatgut usw. beraubt sieht.

Trotzdem mag auch dieses Geschehen vielleicht nicht ganz ohne günstige Folgen bleiben. Die Entblößung von Inventar zwingt zu Neuinvestitionen, wobei man den Nachdruck unbedingt auf die erste Silbe zu legen hat. An Stelle der alten, verlorenen Inventarien sind neue, in jeder Hinsicht neue, also modernste anzuschaf; f e n. Unter dem Zwang, sich frisch ausstaffieren zu müssen, wird der Hang zum altgewohnten Gerät weit leichter überwunden als in normalen Zeiten.

Durch das kriegsbedmgte Brachliegen vieler Ackerflächen wurde dem nicht bebauten Boden die Rast verschafft, deren er nach sieben Jahren verschärfter Beanspruchung und übertriebener Durchsetzung mit Chemikalien schon dringend bedurfte.

Die Vorbedingungen für den Eintritt unserer Agrarwirtschaft in den Konkurrenzkampf sind somit nicht ohne weiteres als ungünstig zu bezeichnen. Daß die Notwendigkeit, sich den ausländischen Konkurrenten wieder zu stellen, an die Bauernschaft Österreichs herantreten wird, wenn einmal die Übergangszeiten des empfindlichsten Mangels vorüber sein werden, steht außer Frage. So wie in den vergangenen Jahren wird sie wieder nicht in der Lage sein, den Wettbewerb mit den grain factories, der farming industry oder den cattle centres der westlichen Kontinente zu bestehen.

Soll sich nun die Geschichte der N a c h k r i e g s j a h r e um 1920 wiederholen oder haben wir jetzt etwas gelernt? f

In der Durchschnittsmassenware sind die hochmechanisierten Riesenbetriebe der Überseegebiete einfach nicht zu schlagen. Dazu kommt aber diesmal noch ein neues Moment, mit welchen in den zwanziger Jahren noch nicht gerechnet zu werden brauchte: D i e, nahezu unbegrenzte und dazu noch einheitlich gesteuerte Produktionskraft der UdSSR, auf agrarischem Gebiet. Es wäre also nicht ausgeschlossen, daß in späterer Zeit einKonkurrenzkampf zweier Liefergiganten, des westlichen und des östlichen, auf den Weltmärkten einsetzt, 1 grain factory und ranch gegen Sowchos und Kolchos. Zwischen diesen gewaltigen Mühlsteinen würde die vergleichsmäßig schwache Leistungsfähigkeit des Regionalbauern, als welche ja die österreichischen Landwirte anzusehen sind, in kürzester Frist zerrieben und vernichtet werden.

Welcher Ausweg bleibt nun, um trotz allem unserer Bauernschaft eine auskömmliche Existenz zu sichern und damit unserer Republik einen unentbehrlichen Erwerbsstand gesund zu erhalten? Wohl kein anderer als der, den Handwerk und Industrie schon vor Jahren beschritten haben, nämlich die Entwicklung ausgesprochener Geschmackserzeugnisse, die Spezialisierung, wie sie im übrigen schon in anderen kleinen Ländern Buropas im Bereich der Agrarwirtschaft schon seit Jahrzehnten realisiert wurde, wie zum Beispiel in Holland, Dänemark und der Schweiz. Konnten sich doch hochgezüchtete holländische Rinderrassen, dänische Butter und Schweizer Käse Weltabsatz und Weltruf erwerben.

Gerade in diesen Monaten können wir — um nur Beispiele zu nennen — feststellen, daß unser altes österreichisches Doppelnullermehl zum Beispiel geschmacklich dem Weißmehl, das aus dem westlichen Weizen gemahlen ist, fraglos überlegen ist, daß ferner unsere Alpenbutter ohne weiteres der dänischen und schweizerischen an die Seite gestellt werden kann. Ebenso haben sich die Erzeugnisse der österreichischen Rasereien glänzend im Ausland durchgesetzt, den meisten reichsdeutschen Erzeugnissen überlegen. Die österreichischen Erdäpfel sind qualitativ glatt als erstrangig einzuschätzen; denken wir nur an die Juliperle und die „Kipfler“, mit denen das Produkt Deutschlands nicht verglichen werden kann. Dieses ist ausgesprochene Massenware und entwertet durch allzu reichliche Kunstdüngung. Das steirische Mastgeflügel war dem polnischen vorzuziehen. Wir sehen den Weg unserer Landwirtschaft deutlich vorgezeichnet: Entwicklung qualitativ hoch- und höchststehender Produkte in Ackerbau und Viehzucht.

Nur in der direkten Umgebung größerer Orte und Städte, wo der Transport preislich keine Rolle spielt, weil der Bauer seine Produkte direkt zum Verkauf an den Konsum zu stellen vermag, wäre iie Produktion von Massenware, Durchschnittsgetreide usw. aufrechtzuerhalten. Aber auch in solchen Gegenden wird der Spezialanbau, insbesondere von Gemüse und Obst, zu bevorzugen sein, da er bei möglichst weitgehender Verteilung über die Jahreszeiten, eventuell im Verein mit einer Kleinvieh- und Schweinezucht, die letztere unter Verwertung der städtischen Abfälle, eine erhöhte Rentabilität versprechen dürfte als der bisher übliche Durchschnittsbetrieb.

Also Ausnutzung der natürlichen Gegebenheiten, um tunlichst hohe Qualitäten zu erzielen. Beim Acker- und Gemüsebau wird man auf sorgfältige Auswahl der geeignetsten Böden und besten Samensorten sowie darauf zu achten haben, daß die Anreicherung der Böden hauptsächlich auf möglichst natürliche, der Struktur der Böden entsprechende Weise durch Naturdüngung erfolgt und Kunstdünger nur sparsam herangezogen wird, 8a dieser sich geschmacklich bemerkbar macht und mit der Zeit zu einer Degeneration der Pflanzen führt.

Selbstverständlich wird auch die entsprechende Werbekraft aufzubieten sein, um die Verbraucherschaft des In- und insbesondere des Auslandes zum Verständnis der Qualitätsunterschiede anzuleiten.

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