Da ist ein Hof; ein Hof recht günstiger Lage, Struktur, wirtschaftlicher Verfassung, ein Vater-Mutter-Sohn- Hof. Dennoch sogar dieser mit sehr offenen Fragen und manchmal ausweglosen Problemen. 15 Hektar, halb Acker, halb Grünland, also Wiese und Weide, zum Teil eben, zum Teil auch hängig. Böden recht gut und doch nur mittel, Klima recht günstig und doch nicht vor Unbilden sicher, Marktlage nicht schlecht und dennoch allen ihren Zufällen von Überangebot und Qualitätsfimmel ausgesetzt. Familienverfassung gesund und doch vor Bedrängnissen — Krankheit, Abwanderung — nicht sicher.
7.5 Hektar Acker; früher, als die Familie noch größer und beisammengeblieben war, als Bruder und Schwester ohne viel Fragen lange Jahre beim Bruder mitarbeiteten, um am Ende irgendwo dann auch ein Heimatl zu finden, oder eben blieben, waren 7,5 ha Acker kein Problem: Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Kartoffeln, Rühen, Klee bauen und sonst noch manches mit der Hand säen, pflegen, ernten. Heute haben die zweiten Söhne und Töchter auch auf dem Lande ein sehr entwickeltes Persönlichkeitsbedürfnis für sich entdeckt und bleiben nicht auf dem „Heimatl“; oder daß sie sich heute etwa gar woanders hin als „Knecht“ verdingen? Wo man sich (ja auch nur als „Knecht“, aber mit einem viel besser klingenden Namen) als „Arbeiter“, als „Angestellter“, als kleiner „Beamter“ doch eine Existenz aufbauen kann, die sich der Existenz des den Hof übernehmenden Bauern vergleichen kann.
Woher Maschinen?
Also 7,5 Hektar Acker nur mit vier Händen — Vater, übernehmender Sohn — schaffen, wie macht man das ohne Maschinen? Man kauft Maschinen. Die kann man von der Substanz kaufen oder von den kostendeckenden Preisen. Aber kostendeckende Preise gibt es für die Landwirtschaft nicht, die gibt es angeblich - edrtttrs Wir füf-’die Itidtiitrit’ir:Wifeso •das eigetttlich sö-istP-Mdfcd-zwär immer wieder einmal von irgend jemandem bewiesen, aber so ganz beweiskräftig war das nie. Gibt es aber keine kostendeckenden Preise, dann gäbe es auch keine Maschinen. Daher also Ankauf durch Ausverkauf der Substanz, etwa des Waldes (der dann freilich, anders als die kurzlebigen Maschinen, zehnmal so lange braucht, damit er sich regeneriert, während die Maschine schon nach zehn Jahren der Regeneration bedarf); oder etwa die andere „Substanz“ angreifen, die eigene Arbeitskraft stärker in Anspruch nehmen, Arbeit schinden, mit mehr Arbeit und also billigerer Arbeit die Kostendeckung gewinnen.
7.5 Hektar Wiese und Weide, natürliches Grünland, das nicht anders als zu Futter bzw. Milch, Fleisch, Zuchtvieh verwertet werden kann. Hier ist es nun ähnlich, nur noch schwieriger. Denn für den Acker gibt es immerhin Maschinen, die auch bei Kleinflächen einen Einsatz im Alleinbesitz oder in gemeinschaftlicher Verwendung vertretbar erscheinen lassen. Auf der Wiese hat die Landtechnik vorläufig das Ei des Kolumbus noch lange nicht gefunden. Die von ihr konstruierten Maschinen sind entweder zu teuer für kleine Flächen und verlangen zuviel Zugkraft, die der kleine Hof sich nicht leisten kann, oder sind nur Teil einer Arbeitskette, bei der dann irgendwann doch die Hände fehlen. Und so wird das kostbare Grünfutter eben bis in den späten Abend gemäht, gewendet, ge- reutert, eingefahren, und auch der liebe Sonntag ist dann kein Tag des Herrn mehr, sondern ein Tag des Baraberns und der Ressentiments, wenn drüben auf der Betonpiste die chromblitzenden Straßenkreuzer, aber auch die kleinen „Volkswagen" spazierenfahren.
Aber nun haben wir unsere Maschinen für den Acker, und wir werden unsere Wiesen am Sonntag heimbringen: aber der Acker liegt auf einem Hang, die Wiese gar auf einem Steilhang, und Hänge lassen sich nur in seltenen Fällen mit teuren Schubraupen verschieben. Es entstehen für den auf zwei Schultern ruhenden und mit vier Händen arbeitenden Hoi die „Grenzäcker“ und „Grenzwiesen“; wo manchmal auch dem überzeugtester
„Bauern“ in den Sinn kommen mag, daß man einen so steilen Acker, eine so steile Wiese eben nicht mehr bewirtschaftet. Und dann ist der Hof aber auch kleiner geworden, und kleiner die Möglichkeit, seine Arbeitskraft wirtschaftlich auszunutzen; und die Decke, nach der man sich strecken muß, ist noch kürzer.
Die große Konkurrenz
Österreichs Kulturboden sind in ihrer Bonität neu geschätzt worden, und es gibt bessere und schlechtere Böden. Was nun aber, wenn unsere 15 Hektar Land mindererer Güte sind als das unserer Konkurrenz, des Nachbarn ein paar Kilometer weiter, des Landwirtes des mit besseren Böden ausgestatteten Bundeslandes oder der Landwirtschaft anderer Staaten, die nun einmal dabei mitwirken, wie uns Milch, Butter, Vieh, Getreide bezahlt werden? Soll kein Mensch sagen, daß nicht auch die Industrie und der Handel solchen Konkurrenzen besserer Lage ausgesetzt sind. Aber sie können ausweichen, leichter ausweichen. Können aber Bauer und Landwirt ausweichen. die nun wohl oder übel auf „ihrem Boden“ zu wirtschaften haben und durch Düngung, Sortenwahl, Fruchtfolge, besondere Pflege auszugleichen bemüht sind, was ihnen als schlechter in den Schoß gelegt wurde, um am Ende doch Zweite zu bleiben und vielleicht sogar schließlich „Grenzwirtschaften“ zu werden?
Es wächst die sorgfältig gebaute und mühsam gepflegte Ernte heran.
Aber es droht ihr Dürre; oder ein Übermaß von Niederschlägen läßt sie „auswachsen“ und faulen; es überfallen Schädlinge und fast über Nacht Bakterien und Pilze Blatt und Frucht, und mühsam nur kann man ihrer Herr werden. Haben die Industrie, der Handel ähnlich mit Naturbedrängnissen, um nicht zu sagen Katastrophen zu rechnen? Kennen Industrie und Handel jene ohnmächtige Angst, die Bauer und Landwirt beschleicht, wenn drohende Wolken den Himmel verfinstern, sengende Dürre die eben noch prachtvollen Fluren verschmachten läßt? Ihre Werkstätte liegt nicht unter freiem Himmel, sie kennen das nicht. Aber was viel schlimmer wägt: sie anerkennen es auch nicht!
In der Einsamkeit
Aber alles wäre noch gut und würde von solchen, die guten Willens sind, gemeistert werden: aber vier Hände, zwei Schultern sind auf die Dauer zuwenig. Wenn nun einer von diesen krank wird; was ist, wenn die dritte Säule im Hof, auf der m i t der Hof ruht: die Mutter, ausfällt (richtig ausfällt, denn sie arbeitet wie an einer Front, allein)? Es kommt der Hof in allergrößte Schwierigkeiten. Von einem allein kann die landwirtschaftliche Arbeit nur im Büchl gemacht werden, der „Einmannhof“ hat Seltenheitswert, Aber noch ein anderes: Menschen sind gesellige Wesen. In der Einsamkeit halten es nicht viele aus. Aber unsere Höfe sind bereits vereinsamt. Wo früher einmal viele lebten und einige wenige Höfe schon eine ganze Gemeinde an Leben ausmachten, an gemeinsamer Arbeit, ge
meinsamem Planen und Jahreslauf, an gemeinsamen Feiern, Festen und Bräuchen, da sind jetzt die Häuser leer geworden, es sind nur noch einige Kärrner, die von frühmorgens bis in die Nacht, wochen- und feiertags, nicht mehr einem Beruf nachgehen, sondern „barabern“, wo es den Feierabend nicht mehr gibt, aber auch nicht die Freizeit der Stadt; wo, wenn Freizeit ist, in verlassenen Höfen die Einsamkeit anödet und den seiner nicht Sicheren vertreibt, insbesondere die Jugend verjagt in freundlichere, unterhaltsamere Gefilde, hin zu den städtischen Vergnügungen.
Weiß die Stadt von diesen Problemen des Landes? Sie hat höchstens ein Achselzucken dafür: Macht es besser, macht es anders, werdet fertig mit euren Problemen, wie auch wir mit unseren — euch ja auch unbekannten Problemen — fertig wurden, fertig werden; wenn eure Höfe zu klein sind, macht sie größer; wenn sie zu steil sind, gebt sie auf, wir brauchen arbeitende Hände genug; wenn eure Böden zu karg sind, laßt das Bebauen sein, auch wir haben Betriebe stillgelegt; wenn euch Unwetter und Seuchen und Schädlinge schrecken, dafür schrecken euch nicht Krieg und Bomben, die uns schon zweimal in einer Generation alles mühsam Ersparte, Aufgebaute genommen haben, während ihr durch Krieg und Besetzung immer noch mit eurem Hab und Gut, mit eurem kostbaren „Heimatl" davongekommen seid. Und wenn ihr euch einsam fühlt auf euren Höfen, dann vereinigt euch eben zu größeren Komplexen — und vergeßt im übrigen nicht, wie wir gepfercht sind in der Asphaltöde unserer Städte, ihr „Herren" in euren vielleicht engen, aber doch euren Bereichen.
Gute Ratschläge
„Landwirtschaft im Zwielicht“: Ihr erzeugt immer mehr und mehr, und wundert euch dann, daß die Produk- tenpreise eher fallen als steigen. Soll die Landwirtschaft weniger erzeugen! (Vor Jahren konnte sie nicht genug .érzéugeriiinnd wird sie, wenn die heute Zwanzigjährigen vierzig geworden sind und die irdische Bevölkerung auf das Doppelte, von etwa 2,5 auf 5 Milliarden gestiegen ist, genug erzeugen?)
Soll der Landwirtschaft, die wie jedes andere Gewerbe von der Mehrleistung steigende Lebensansprüche nur befriedigen kann, soll ihr verwehrt sein, was man der Industrie, dem Arbeiter mit Selbstverständlichkeit zugesteht, ja mit allen Mitteln der Arbeitsbeschaffung, der Konjunkturlenkung, des Exports um jeden Preis erzwingt? Soll Nahrung — noch immer das Kostbarste, das es auf Erden gibt - unerwünscht sein, dafür aber das Mehrerzeugen von Zivilisationstand ins Uferlose gefördert werden?
Die Stadt muß sich zwei Fragen stellen:
• Ist Nahrung auf dieser, hier und gegenwärtig nicht, aber woanders recht sehr und vielleicht bald überall hungernden Erde Tand oder köstliches Gut?
• Gilt gleiches Recht für alle?
„Landwirtschaft im Zwielicht.“ Zu
einem höheren Einkommen könntet ihr Landwirte kommen, wenn ihr ungünstige Lagen aufgäbet, auf größeren, arrondierten Flächen wirtschaftetet. Wozu Bergbauern? Wozu Landwirtschaft in Grenzlagen? Weg mit den kleinen Höfen! (Der größte Teil unserer Landwirtschaft, 85 Prozent, sind Familienbetriebe und 40 Prozent dei Höfe sind Bergbauernhöfe.)
Es geht hier nicht darum, für die, die man also opfern will, ein gutes Wort einzulegen. Es geht vielmehr um die Zukunft von uns allen. Man kann unsere Berge entvölkern, man kan Grenzlagen aufforsten oder veröde lassen, man kann das Land als Großfarm oder Kolchose (der Unterschied ist in der Praxis leider nicht groß) bewirtschaften, wenn einem abendländische Lebensinhalte, Landschaft, Bodenkultur, Persönlichkeit nichts bedeuten: wenn einen nicht Grauen überfällt vor einem „1984“ Orwells. Wem abei klar ist, daß es unsere Aufgabe ist zwischen den ungelösten Problemer der in eine Revolution hineingestoßenen Landwirtschaft und dem „1984" einen Weg zu finden, der wird dieser Weg suchen als Weg für beide: füi Land und Stadt.