Eine Chance für die Vielfalt

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Österreichs Bauern haben eine vielfältige Kulturlandschaft gestaltet. Wie diese entstand, was sie gefährdet und was sie retten könnte.

Der Naturzugang der Bauern war immer extrem vom Notwendigen und Nützlichen geprägt. Im Rahmen der sozialen und politischen Möglichkeiten waren die Bauern extreme Funktionalisten oder Utilitaristen. Das kann auch aus der Konstruktion ihrer Gehöfte, Einrichtungen und Geräte, aus der Organisation ihrer Tätigkeiten abgelesen werden. Soweit ich mich erinnern kann, waren Tiere und Pflanzen immer Nutztiere und Nutzpflanzen. Der respektvolle Umgang mit ihnen war auch von der Dimension des Nützlichen geprägt. Diese Ausrichtung auf das Nützliche bedingte auch, dass die Bauern sich der Modernisierung und der Anwendung von industriellen Prinzipien nur wenig oder kaum widersetzten.

Das hofzentrierte Denken ist ein weiteres und wohl das zentrale Charakteristikum des Bäuerlichen. Es bedingt, dass man das wirtschaftliche Weiterbestehen des Hofes höher bewertet, als persönliche Vorteile, mittelbare materielle Bedürfnisse und individuelle Freiheiten. Das bedeutet auch, dass nur beschränkte Risiken eingegangen werden und das betriebswirtschaftliche Kalkül außer Acht bleibt, um das Bestehen des Hofes zu sichern. Dazu kommt eine starke bis extreme Arbeitsorientierung, die auch dem Erhaltungsziel untergeordnet ist.

Aufs Überleben bedacht

Nachträglich können wir heute feststellen: Dass die Bauern an die natürlichen Voraussetzungen weitgehend angepasste Kulturökosysteme geschaffen, nicht gegen die Naturkräfte gearbeitet und die genetische Vielfalt sogar erhöht haben, war einfach nur das Tun des Notwendigen und Nützlichen.

Man hat Gebäude an möglichst sicheren Orten angelegt und Wege mit dem Gelände gebaut - wie hätte man sie sonst ohne moderne Betonierkunst auch befestigen können? Bis ins 20. Jahrhundert waren die meisten Höfe wirtschaftlich autarke Einheiten, nur beschränkt an die Märkte angebunden - also vorwiegend Subsistenzwirtschaften, sodass Fahrwege nicht von großer Bedeutung waren. Das Normale waren Steige und einfache Karrenwege, denn Vieh hat man getrieben, vieles einfach getragen.

Man hat Bäche zwar händisch geräumt, aber Bachgehölze blieben stehen, weil sie zusammen mit den Steinen die Uferböschungen befestigten. Obwohl man versucht hat, Feuchtwiesen trocken zu legen, war man mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten wenig erfolgreich. Äcker wurden händisch von Steinen geräumt und der Ackerrandstreifen diente als Ablageplatz. Bei sehr steinigen Äckern und Feldern ergaben sich die heute so nützlich und "wunderschön" empfundenen Steinmauern. Feldgehölze blieben manchmal stehen, sei es zur Befestigung oder als Schattenspender für Zugtiere und Menschen. Manchmal pflanzte jemand sogar Obstbäume, damit sich die Menschen während der anstrengenden Feldarbeit bedienen konnten. Was heute als unökonomisch angesehen wird, war damals im Gesamtzusammenhang eben rational und sinnvoll.

Viele Anpassungsschritte

Das vielfältige Ineinander von natürlichen Gegebenheiten und bäuerlicher Kulturleistungen ist also nicht das Ergebnis eines großen Planungsprozesses, sondern von vielen kleinen Anpassungsschritten, um die Ökosysteme zu nutzen. Die dadurch geförderte biologische Vielfalt war eigentlich mehr Zufall als Notwendigkeit.

Die tatsächliche Industrialisierung der Landwirtschaft in Mitteleuropa, abgesehen von manchen Gutsbetrieben, erfolgte im Eigentlichen erst ab etwa 1950. Sie bedeutete nicht unmittelbare industrielle Organisation, sondern die Anwendung industrieller Prinzipien auf den Bauernhöfen. Gleichzeitig fand eine weitgehende Auflösung der Subsistenz und Ausrichtung der Produktion auf den Markt statt. Industrielle Prinzipien sind:

* Mechanisierung: zuerst Traktoren und dann immer kompliziertere Maschinen.

* Intensivierung: Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, von Hochertragszüchtungen und Spezialfuttermitteln.

* Spezialisierung: Konzentration auf wenige Ackerfrüchte oder eine Nutztierform, bis zur Massentierhaltung.

* Rationalisierung: Einsatz von betriebswirtschaftlichen Kalkülen zur Maximierung des Gewinns pro Produktionseinheit.

Aus der Urproduktion vorwiegend zur Selbstversorgung wurde der Agrar(-industrie)-Komplex. Auch die sozialen Veränderungen für die Bauern waren enorm: Hier sei Kaser und Stocker (1988 "Bäuerliches Leben in der Oststeiermark") zitiert: "Vom traditionellen Bauerntum und den ungeschriebenen Gesetzen blieb nicht viel übrig außer ein paar Erinnerungen. Damit ist auch schon gesagt, dass mit der Landwirtschaft auch die Menschen gewissermaßen industrialisiert worden sind."

Das Ergebnis war ein intensiver Strukturwandel, wobei der Begriff Strukturwandel ein Euphemismus ist. Tatsächlich handelt es sich um ein in den letzten 700 Jahren nie dagewesenes Bauernsterben. Sozialpolitisch wird es nicht so empfunden, weil außerlandwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten einen Übergang ohne außerordentliche soziale Not ermöglichen.

Die Konsequenzen für die Kulturlandschaft und die natürlichen Ökosysteme waren und sind enorm: Allein das übermäßige Verschwinden von Bauernhöfen zeigt schon an, in welchem Ausmaß Feldraine und Ackerrandstreifen verschwunden sind. Dazu kommen Grundzusammenlegungen und Entwässerungen.

Im Rahmen der Flurbereinigung kam es zur Entfernung von Kleingewässern, Flurgehölzen, Steinhaufen und Einzelbäumen. Letztere dienen als Unterschlupf für Reptilien und sind Schutz und Bruträume für Kleinsäuger und Vögel. Ergebnis: Veränderung, Zerstörung und Verlust an Lebensraumvielfalt.

Durch landwirtschaftliche Fahrzeuge (z. B. Mähdrescher) werden nicht nur Pflanzensamen entfernt, sondern auch verschiedenen Tieren nur geringe Überlebenschancen gelassen. Auch die im Boden lebenden Organismen werden vom Geräteeinsatz betroffen. Durch tiefreichendes Pflügen wird beispielsweise die Regenwurmfauna empfindlich dezimiert.

Verarmung der Vielfalt

Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel können unbeabsichtigte Folgen auf indifferente Arten und Nützlinge haben. Indirekt führen diese durch Reduktion der Beutetiere zu zeitweisen Nahrungslücken bei Beutegreifern (z.B. räuberische Insekten, Greifvögel und Fledermäusen). Im Falle der Herbizide kommt es zu einer radikalen Verarmung der Nahrungspflanzenvielfalt für Blütenbesucher und Pflanzenfresser.

Das Frappierende ist, dass es keinen direkten Weg zurück zum ursprünglichen Ineinander von Vielfalt in den Kulturökosystemen mehr gibt, und dass uns außer Förderungen und vereinzelten Ge- und Verboten zur Durchsetzung von Schutzmaßnahmen wenig direkte politische Steuerungsmöglichkeiten bleiben. Wenn noch etwas wirkungsvoll erscheint, so ist es eine allgemeine Bewusstseinsbildung, denn viele der angesprochenen Konsequenzen sind für die Bäuerinnen und Bauern selbst augenfällig.

Es geht auch darum, den Lebensraum und Arbeitsplatz "Bauernhof" zu erhalten, sei es durch arbeitskraftbezogene Direktzahlungen oder indem man Möglichkeiten für einkommensstarke Erwerbskombinationen im ländlichen Raum anbietet. Dabei sollte man im Auge behalten, dass sich die Lebensentwürfe junger Bäuerinnen und Bauern wie in der übrigen Gesellschaft laufend ändern. (Zum Beispiel: Dass man ein Leben mit relativ einsamer Handmahd im Sommer auf der Bergmahd verbringt, muss nicht unbedingt das Ziel eines jungen Hofübernehmers sein. Vielleicht fallen uns in Zukunft andere Möglichkeiten ein: Mähtrupps vielleicht?)

Wettbewerbsunfähig

Als Folge ihrer Industrialisierung haben große Teile der Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten (Berg- und strukturschwache Gebiete) aber auch ihre quantitative Produktionsfunktion eingebüßt. Den Bauern selbst wird ihre beschränkte Wettbewerbsfähigkeit bereits bewusst. Nachdem aber die Gesellschaft ein Offenhalten der Landschaft und die Erhaltung der Vielfalt der Kulturökosysteme unter Beibehaltung "traditioneller" Agrarproduktion wünscht, soll eine Neudefinition der Landwirtschaft nicht nur von außen als "Landschaftspfleger" versucht werden, sondern auch eine neue Eigendefinition der Bäuerinnen und Bauern selbst.

Auffallend ist, dass ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Zusammenhang mit der Informationsgesellschaft neue Ideen in der Industrieentwicklung und damit auch in der Landwirtschaft Einzug halten: Qualitäts- und Konsumentenorientierung, Ökologie, Direktvermarktung, Biolandbau und Tiergerechtigkeit rücken ins Zentrum des öffentlichen Diskurses. Die wesentliche "Make-Massage" heute lässt sich unter dem Slogan zusammenfassen: "Erzähl eine gute (und wahre) Geschichte für die Konsumenten."

Einige solcher guten Geschichten in Bezug auf die Landwirtschaft sind: Ökolandbau, Gentechnikfreiheit, Umweltschutz, Nachhaltigkeit, handwerkliches Bemühen um gute und natürliche Nahrungsmittel, Erhaltung der Biologischen Vielfalt.

Vor acht Jahren habe ich in einem Buchbeitrag über die Zukunft der Bauern folgende These vertreten: "Der biologische Landbau wird in Zukunft vermehrt durch professionelles, auf die großen Handelsstrukturen ausgerichtetes Management gekennzeichnet sein und läuft dadurch Gefahr, sein ökologisches und soziales Unschuldsimage zu verlieren." Dies gilt auch heute noch.

Mit Zukunftschance für die Bauern meine ich nicht nur, dass der Biologische Landbau ein "Marktrenner" ist oder positive Umweltwirkungen auch für die Biodiversität entfaltet. Vielmehr können sich über den Biologischen Landbau die Bauern wieder eigenständig ihre natürliche Umwelt aneignen und zu einer vielfältigen Landwirtschaft kommen, die auch gesellschaftlich wertgeschätzt wird.

So sei beispielsweise auf Innovationen hingewiesen, die in und um den biologischen Landbau stattgefunden haben: die Wiederbelebung einer eigenständigen Zuchtarbeit, die Erhaltung pflanzen- und tiergenetischer Ressourcen, neue Formen der Bildungsarbeit bis hin zu Bauern beraten Bauern, Direktvermarktung mit Rückwirkungen auf die Vielfalt an den Bauernhöfen, ein vielfältiger Ackerbau.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bundesanstalt für Bergbauernfragen in Wien.

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