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Was ist biologischer Landbau wirklich?

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A uch im Bereich der Landwirtschaft wird über neue „Technologien" debattiert. Verschiedene Begriffe werden in der Debatte erwähnt, ohne daß der Laie damit eine genaue Vorstellung verbindet. In diesem Beitrag werden die verschiedenen Ansätze ausführlich dargestellt

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A uch im Bereich der Landwirtschaft wird über neue „Technologien" debattiert. Verschiedene Begriffe werden in der Debatte erwähnt, ohne daß der Laie damit eine genaue Vorstellung verbindet. In diesem Beitrag werden die verschiedenen Ansätze ausführlich dargestellt

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Die „biologisch-dynamische Wirtschaftsweise" baut auf dem „landwirtschaftlichen Kursus" von Rudolf Steiner aus dem Jahre 1924 auf. Es wird ein geschlossener Betriebskreislauf mit starker Viehhaltung und vielseitiger Fruchtfolge angestrebt. Spezifisch wirkende Präparate (z.B. Hornmist und Hornkiesel) werden angewandt. Die Stellung des Mondes im siderischen Kreislauf wird im Anbau berücksichtigt.

Synthetische Stickstoffdünger, leicht lösliche Phosphate sowie hochprozentige und chlorhaltige Kalisalze sind verboten. Rohphosphate, Gesteinsmehle und Algenkalke sind dagegen erlaubt. Unkraut wird ausschließlich mechanisch-physikalisch bekämpft. Die Anwendung von chemischen Pflanzenbe-handlungsmitteln ist unzulässig. Die Produkte dieser Betriebe werden als „Demeterware" vermarktet.

Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ist nur ein Aspekt der umfassenden Lehre des Begründers der Anthroposophie Steiner. Diese von einer grundsätzlichen Ablehnung des Materialismus getragene sowie aus mystischen und übersinnlichen Erkenntnissen schöpfende Weltanschauung unterscheidet sich von der Denkweise der modernen Naturwissenschaft in grundlegender Weise.

Anhänger dieser Lehre widersetzen sich beispielweise einer auf quantitativen Maßen aufbauenden Beurteilung der Qualität. Demgemäß ist der an-thropophatische Qualitätsbegriff mit den Qualitätskriterien der modernen Naturwissenschaft nicht vergleichbar.

Eine vergleichende Diskussion wird dadurch erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Die Bewertung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise setzt jedenfalls die Kenntnis ihrer weltanschaulichen Basis voraus.

Die „organisch-biologische Wirtschaftsweise" wurde von Hans Müller vor etwa 30 Jahren entwickelt. Hans Peter Rusch lieferte die theoretische Grundlage. Besondere Präparate und kosmische Einflüsse sind hier ohne Bedeutung. Dem Mikrolebcn des Bodens, dem Anbau von Leguminosen und Zwischenfrüchten wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Nach dem „Biotest quot;, einer mikrobiologischen Bodenuntersuchung, wird der Fruchtbarkeitszustand des Bodens beurteilt. Wasserlösliche Mineraldünger dürfen ebensowenig wie chemische Pflanzenbehandlungsmittel angewendet werden. Stickstoff darf nur in organischer Form gedüngt werden.

Der „naturgemäße Landbau quot; (Anog), vor etwa 30 Jahren von Leo Fürst gegründet, unterscheidet sich am wenigsten von allgemein üblichen Produktionsweisen. Mineralische Stickstoffdünger sind in geringem Umfang erlaubt, die Verwendung von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden wird restriktiv und selektiv gehandhabt. Diese Methode beschränkt sich im wesentlichen auf den Obst- und Gemüsebau.

Daneben gibt es - ohne feste Organisationsformen - verschiedene Ubergänge, ohne daß man einer bestimmten Richtung Begriffe wie organischer, ökologischer oder biologischer Landbau allein vorbehalten kann.

Nach einer Umfrage bei den Fachministerien der Länder der Bundesrepublik Deutschland vom März 1978 wurden über 400 Betriebe mit einer Fläche von rund 9.000 ha nach alternativen Methoden bewirtschaftet. Das sind weniger als 0,1 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche.

Vorsichtigen Schätzungen zufolge dürfte in Österreich ein ähnlicher Prozentsatz alternativ bewirtschaftet werden (da es sich vorwiegend um kleinere Betriebe handelt, sind es etwa 0,4 bis 0,5 % der österreichischen Bauern, die alternativ anbauen; diese Zahlen gelten inklusive der in Umstellung befindlichen Betriebe).

Der Begriff konventioneller Anbau ist recht diffus und entzieht sich einer exakten Begriffsbestimmung. Das Gegensatzpaar „konventioneller" und „biologischer Anbau" wird vielfach so verstanden, daß konventioneller Anbau mit der industriellen Landwirtschaft gleichgesetzt wird. Sie ist folgendermaßen zu kennzeichnen:

• nbsp;Mechanisierung: Seit Kriegsende finden in steigendem Maße Schlepper, Mähdrescher, Melkmaschinen zur Senkung der Gesamtarbeitskosten Verbreitung.

• nbsp;Spezialisierung: Industrielle Produktionsweisen sind auf die Erzielung größtmöglicher Erträge pro Flächeneinheit ausgerichtet. Charakteristisches Merkmal ist das Vorherrschen von Monokulturen mit hochertragreichen Sorten.

• Einsatz ertragsteigender Betriebsmittel: Die konventionelle Landwirtschaft versucht, den sich fortwährend verschärfenden ökonomischen Zwängen durch Ertragsteigerung zu begegnen, die durch Einsatz von Mineraldünger, Herbiziden und Insektiziden gewährleistet wird.

Vom Standpunkt der biologischen Wirtschaftsweise stellt sich die konventionelle Wirtschaft gewissermaßen als „Agrarfabrik" dar.

Da es bei der Diskussion um biologischen und konventionellen Landbau in vielen Fällen um die Feststellung von Qualitätsunterschieden geht, muß an dieser Stelle auf die Vielschichtigkeit des Qualitätsbegriffs ausdrücklich hingewiesen werden.

Bezogen auf die Qualität von Nahrungsmitteln unterscheidet man: sensorische Qualität, ernährungsphysiologische Qualität, hygienische Qualität, Verarbeitungsqualität, Gebrauchsqualität, sowie Qualität im Sinne lebensmittelrechtlicher Normen (Qualitätsklassen).

Während für den industriellen Landwirt die Oberflächenkonsistenz von Gemüsesorten von Bedeutung ist, weil sie darüber entscheidet, ob maschinell geerntet werden kann oder nicht, ist für manche Verarbeiter entscheidend, ob das Gemüse gute Gefriereigenschaften besitzt. Der Ernährungsphysiologe schließlich mißt den Vitamingehalt,während die Hausfrau die schöne rote Farbe kauft.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß diese unterschiedlichen Qualitätskriterien sich insofern gegenseitig ausschließen, als die Erhöhung der Qualität nach einem bestimmten Kriterium häufig die Verringerung der Qualität nach einem anderen Kriterium mit sich bringt.

Definiert man als hygienische Qualität die möglichst weitgehende Freiheit von möglicherweise gesundheitsschädlichen Keimen und als ernährungsphysiologische Qualität eines Produktes den Gehalt an (zum Teil thermolabilen) Vitaminen, wird der Widerspruch klar ersichtlich: Je höher und länger ein Lebensmittel zur Pasteurisierung erhitzt wird, umso stärker sinkt der Vitamingehalt ab, soll keineswegs gesagt werden, daß ein Lebensmittel dadurch minderwertig würde; es geht vielmehr bloß um das Prinzip der gegenläufigen Tendenz mancher Qualitätskriterien.

Auszugeines Artikels von Dr. Stefan M. Gergely, Fachverband der Nahrungs- und Genußmittelindustrie Österreichs aus Agrarische Rundschau 5/80

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