Die ganze Welt ein Feld?

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Die EU ist den USA im Gentechnik-Streit unterlegen. Begründete Vorbehalte der Europäer wurden in dem Urteil nicht berücksichtigt. Ebensowenig, wie die Biodiversität im Welthandel berücksichtigt wird.

Die USA und ihre Verbündeten Argentinien und Kanada haben also Recht bekommen: Die Welthandelsorganisation (WTO) hat in einem vorläufigen Bericht die EU-Einfuhrbeschränkungen für gentechnisch veränderte Produkte für rechtswidrig erklärt. Und das, obwohl sowohl die vom Schiedsgericht befragten unabhängigen Experten als auch die von den Streitparteien zugezogenen Sachverständigen zu Risikofragen bezüglich Gentechnik-Einsatz reichlich unterschiedliche Bewertungen abgaben.

Alle zufrieden?

Nach einem medialen Schlagabtausch wird nun aber eher allgemeine Zufriedenheit demonstriert:

* Die USA feiern ihren Erfolg öffentlich, ohne zu erwähnen, dass erst kürzlich die US-Prüfbehörde geändert wurde, um offenbar doch gerechtfertigten Sicherheitsbedenken zu entsprechen.

* Die EU-Kommission rekapituliert, dass die Ziele fast erreicht wurden: Strafzölle zu vermeiden sowie zu zeigen, dass ein Embargo nie bestanden habe und nun neues gentechnisch verändertes Saatgut rasch zugelassen wird. Vielleicht bestehen die USA dann ja auch gar nicht mehr auf einer Urteilsverkündung.

* Gentechnik-kritische Länder wie Österreich müssen zwar Maßnahmen zur formalen Aufhebung ihrer Verbote fürchten, aber bei politischer Einigkeit gibt es genügend Mittel wie etwa Vorsorgegesetze, um den Anbau der ungeliebten Pflanzen noch länger hintan zu halten.

* Entwicklungsländer werden sich wegen der unsicheren Absatzbedingungen in Europa bei der Nutzung von gentechnisch veränderten Lebensmittel weiter zurückhalten.

Und das WTO-Gericht hat WTO-Recht gesprochen. Dieser Spruch aber ist tatsächlich Besorgnis erregend: Denn das WTO-Gericht anerkannte zwar viele von der EU beschriebene Gefährdungen, führt aber aus, dass die Angelegenheit in den meisten Fragen nach dem SPS-Abkommen zu entscheiden war. Dieses "Abkommen zu Sanitären und Phytosanitären Maßnahmen" legt fest, dass ein Import von Gütern ausschließlich wegen toxischer oder infektiöser Eigenschaften der Produkte verboten werden kann. Drohen also durch die Einfuhr beispielsweise Seuchen, ist ein Importverbot möglich. Nicht aber aus Gründen indirekter Gesundheitsgefährdung oder gar aus Naturschutz-oder sozioökonomischen Gründe.

Nun zeigt aber die moderne Humanökologie, dass mit kultureller Entwicklung direkte Gesundheitsrisiken wie etwa Infektionen durch Lebensmittel abnehmen, während gleichzeitig indirekte, langfristige und komplexe Gefährdungen zunehmen. Zu solchen indirekten Gefahren zählt etwa die Entwicklung neuer Sorten, die an sich keine direkte Gesundheitsgefährdung besitzen. Eine Verschiebung der landwirtschaftlichen Praxis kann aber beispielsweise höheren Chemikalienseinsatz oder lange Transportwege bewirken. Die Schwierigkeiten, indirekte Risiken, wie Wechselwirkung zwischen Lebensmittelproduktion, Umwelt und menschlicher Gesundheit schlüssig nachzuweisen, sind dabei ebenso bekannt wie deren hohe Gesundheitsrelevanz.

Die Argumentationsstrategie der USA beruhte darauf, dass direkte, einfach nachvollziehbare Sicherheitsbedenken bei Gentechnik-Lebensmitteln selten sind. Europäische Argumente wiesen eher auf zwar wissenschaftlich fundierte, aber indirekte Gefahren hin - und verloren. Das WTO-Gericht ging auf diese Argumente gar nicht erst ein, es urteilte SPS-gemäß.

Indirekt ungesund, was nun?

Die Diskussion um die Unzulänglichkeiten des SPS-Abkommens ebenso alt wie die Diskussion um WTO und Globalisierung an sich. Gelegentliche Änderungsansätze wurden aber sofort im Keim erstickt. Selbst UN-Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Welternährungsorganisation FAO sehen keine andere Möglichkeit, indirekte Gesundheitsgefahren oder umweltrelevante Aspekte in neue Handelsregelungen zur Lebensmittelqualität einzubringen, als zu empfehlen, dass Produktionsbedingungen mitbedacht werden könnten.

In einem Bericht fand die WHO den Mut, weiter zu gehen: Der WHO-Report zu "modern food biotechnology" aus dem Vorjahr verlangt eine integrierte, holistische Prüfung agro-ökologischer, sozio-ökonomischer, lokaler, ja sogar ethischer Aspekte bei der Entwicklung neuer biotechnologischer Produkte. Aufgefallen ist dieses erste Zugeständnis einer UN-Organisation an ganzheitliches Denken noch kaum.

Nutzen nicht global gleich

Der genannte WHO-Report beschreibt auch, dass gewisse Gentechnik-Pflanzen unter speziellen Situationen sinnvoll sein können, unter anderen bedenklich: Langfristige Studien zeigen etwa, dass in einigen Gegenden Chinas die Notwendigkeit zur Nutzung hoher Pestizidmengen gegen starkes Aufkommen von Schädlingen zu Gesundheitsproblemen führte. Der Einsatz schädlingsresistenter Baumwolle konnte dort den Pestizideinsatz senken und die lokale Gesundheitssituation verbessern. In Gegenden mit kaum nennenswertem Aufkommen relevanter Schädlinge, wie etwa in Österreich, wäre der Einsatz schädlingsresistenter Gentechnik-Pflanzen dagegen unsinnig.

Nach einer Analyse der Auswirkungen von Gentechnik in der Lebensmittelproduktion in Entwicklungsländern empfehlen auch die Agro-Ökologen des internationalen Forschungsprojektes "GMO Guidelines Project" die verstärkte Beachtung lokaler Aspekte: Je nach lokalen Charakteristika eines Gebiets sollte die Nutzung von Saatgut von gentechnisch veränderten, konventionellen oder lokalen Sorten oder überhaupt der organische Landbau überlegt werden. Ein bedarfsorientierter Grundsatz, der für viele Technologieentscheidungen gelten sollte.

Aber ist eine derartig differenzierte Vorgangsweise denn möglich, wenn der Markt die Nutzung vieler Produkte bereits global treibt? Wenn neue Hochleistungssorten anstatt traditioneller Sorten global gepusht werden. Wenn genverändertes Saatgut abhängigen Bauern untergeschoben wird? Ist eine differenzierte Entscheidung möglich, wenn WTO-Bestimmungen es nicht erlauben, einzelne Regionen aus agro-ökologischen Gründen von einer Nutzung auszunehmen?

Diese Fragen gelten nicht nur für die Gentechnik. Immer mehr Pflanzen oder Tiere werden etwa durch Handel und Tourismus in Regionen gebraucht, wo sie nicht Teil des natürlichen Ökosystems, fremd und oft gefährlich für Natur oder Mensch sind, etwa durch fremde Allergene. Die umfassendste Untersuchung zum Zustand von Ökosystemen und der Entwicklung von Biodiversität, das von den Vereinten Nationen durchgeführte und kürzlich veröffentlichte Millennium Ecosystem Assessment (MA), warnt eindringlich vor einer Homogenisierung der Biota und damit dem Verlust lokaler Diversität. UN-Organisationen bringen hohe finanzielle Mittel für die Erhaltung der lebensmittelrelevanten Diversität in Biobanken auf, allerdings mit wenig Erfolg.

Verständnislose WTO

Die Diversität der Ökosysteme ist aber Grundlage für deren Dienstleistungen für den Menschen, von der Nahrungsproduktion über die Klimaregulation bis zur Natur als physische und psychische Rekreationsmöglichkeit. Die Gefährdung der lokalen Diversität durch einen globalisierten, regional nicht differenzierbaren Handel ist daher eine ernst zu nehmende Gefahr für Gesundheit und Umwelt. Sollen Vorteile globalisierten Handels nutzbar sein, so bedarf es für die Notwendigkeit regionaler Regulationsmöglichkeiten als Voraussetzung von Biodiversität und Nachhaltigkeit eines wesentlich vertieften Verständnisses. Das WTO-Urteil zeigt aber, dass ein derartiges Verständnis ebenso fern ist wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Nachhaltigkeit.

Der Autor ist Dozent am Institut für Ökologie und Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Er war beteiligt an der zitierten WHO-Studie, dem MA an der Stellungnahme der EU-Kommission zum Gentechnik-Streit.

Zum Thema Biopatente siehe auch Seite 23.

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