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Lebensmittel in Zukunft aus der Genküche?

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Nun ist es auch in Österreich soweit. Geht es nach den Befürwortern der Gentechnologie, sollen noch 1996 die ersten Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen in Österreich stattfinden. Bisher war Österreich sowas wie eine Insel der Seligen. In anderen EU-Ländern und vor allem in den USA wurden schon zahlreiche Gentech-Experimente genehmigt. Nun geht es aber auch hierzulande zur Sache. Die Forscher drängen aus ihren Labors in die freie Natur.

Das Forschungszentrum Seibersdorfmachte den Anfang. Bereits Ende 1995 reichte es einen Antrag zur Freisetzung einer gentechnisch manipulierten Erdäpfelsorte ein. Den Kartoffeln wurde ein Gen einer Seidenmotte eingebaut, um sie widerstandsfähiger gegen Fäulniserkrankungen zu machen. Nur zu Forschungszwecken, wird betont. Während die Gen-Forscher in der Öffentlichkeit hauptsächlich damit argumentieren, daß mit dem Versuch vor allem Sicherheitsforschung betrieben werden soll, finden sich im Freisetzungsanträg der Seibersdorfer nur vage diesbezügliche Hinweise.

Die im österreichischen Gentechnikgesetz vorgesehenen Möglichkeiten der Beteiligung der Öffentlichkeit sind äußerst dürftig. Zwar darf jeder Bürger seine Bedenken in Form einer Einwendung an das Gesundheitsministerium kundtun, unmittelbare Rechtswirkungen sind daraus aber keine ableitbar.

Obwohl die Auflegungsfrist sehr kurzfristig bekanntgegeben wurde und nur drei Wochen andauerte, landeten bis F>nde Februar bei Gesundheitsministerin Christa Krammer mehr als 7.000 Einwendungen gegen das umstrittene Gen-Experiment.

Letzten Freitag wurden die Gen-Kritiker ins Gesundheitsministerium zur öffentlichen Anhörung geladen. Rund 400 Einwender sind erschienen und wurden vom zuständigen Sektionschef Ernst Bobek zu diesem „denkwürdigen Tag" begrüßt.

Doch bereits nach einer knappen Stunde war der Spuk vorbei. Mehr als zwei Drittel der Anwesenden, darunter Vertreter von zahlreichen Um-weltorganisationen und Bauernverbänden, zog nach einer knappen Stunde geschlossen aus dem Verhandlungssaal aus. Ihrer Meinung nach handelte es sich beim Verfahren um eine „Farce". Für Bürger aus den Bundesländern sei es praktisch unmöglich gewesen, die Seibersdorf-Unterlagen einzusehen, da sie nur einige Stunden pro Tag aufgelegt wurden, aber nicht kopiert werden durften und auch nicht verschickt wurden.

Als grober Verfahrensmangel kann aber auch die Tatsache angesehen werden, daß die Unterlagen derart mangelhaft waren, daß selbst das Gesundheitsministerium Belege für die darin angeführten Behauptungen anforderte. Diese „Nachreichungen" wurden aber der Öffentlichkeit vorenthalten, weshalb ein Neustart des Verfahrens gefordert wurde.

Die neue Gentechnik-Sprecherin der Grünen, Madeleine Petrovic, kritisierte zudem die unvereinbare Doppelrolle des Gesundheitsministeriums beim vorliegenden Antrag. Denn einerseits müsse es als zuständige Behörde über die Zulassung entscheiden, andererseits finanziert das Ministerium das Projekt in Millionenhöhe. Dort scheinen aber die vorgebrachten Vorwürfe wie an einer Gummiwand abzuprallen. Das Verfahren soll trotzdem durchgezogen werden, in den nächsten Wochen wird eine Entscheidung erwartet.

Inzwischen beginnt aber für zwei weitere Freisetzungsanträge die Wendungsfrist zu laufen. Diesmal geht es freilich um kommerzielle Experimente. Eine Tochter der „Agra-na" will eine amylosefreie Industriekartoffel freisetzen, die Firma „T. B. Agrartechnik" eine herbizidresistente Maissorte. Hinter letztgenanntem Antrag steckt eigentlich ein Produkt einer Tochterfirma des Chemieriesen Hoechst.

Der Mais ist gegen das Hoechst-Pflanzengift „Basta" immun, was fürs Geschäft natürlich nicht abträglich erscheint. Umweltschützer und Biobauern sehen hingegen diesen Antrag als den problematischsten an.

Ines Janssen vom Österreichischen Ökologie-Institut: „Das ist der vollkommen falsche Ansatz, um die Probleme der Landwirtschaft zu lösen." Die „Arge Biolandbau", die Dachorganisation der 23.000 österreichischen Biobauern, fürchtet, daß dadurch die Ökologisierungsbestrebun-gen in der österreichischen Landwirtschaft wieder zunichte gemacht werden könnten.

Ein großer Markt scheint Österreich für die Gen-Industrie ohnehin nicht zu sein. Mehr als zwei Drittel aller Österreicherinnen und Österreicher lehnen den Einsatz von Gentechnik zur Herstellung von Lebensmitteln ab, nur sechs Prozent geben an, selbst Gen-Food kaufen zu wollen, während drei Viertel für eine verpflichtende Kennzeichnung eintreten.

Diese Ergebnisse gehen aus einer aktuellen Gallup-Umfrage hervor, die die Umweltschutzorganisation Global 2000 vor kurzem präsentierte. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch verständlich, weshalb sich so massive Widerstände gegen eine umfassende Kennzeichnungspflicht bilden.

Auf EU-Ebene wird schon seit einigen Jahren über eine Verordnung diskutiert, die „neuartige Lebensmittel" regeln soll. Im Oktober 1995 beschloß der EU-Ministerrat einen „Gemeinsamen Standpunkt des Rats" -gegen die Stimmen Österreichs, Deutschlands, Dänemarks und Schwedens.

Würde die Novel-Food-Verord-nung so in Kraft treten, hätte dies für Österreich massive Auswirkungen. Denn dann müßte Gen-Nahrung nur in Ausnahmefällen als solche gekennzeichnet werden, beispielsweise bei Fischen, denen ein Anti-Frost-Gen eingepflanzt wurde. Bei Filets dieser Fische würde es dann schon wieder anders aussehen, denn da diese keine „Organismen" (mehr) sind, fallen sie auch nicht unter die Kenn-zeichnungspflicht.

Am 13. März 1996 ist nun das Europäische Parlament in Straßburg am Wort. Stimmt eine Mehrheit aller Parlamentarier einer Reihe von Änderungen zu, muß über die Novel-Food-Verordnung nochmals diskutiert werden. „Die Abstimmung ist eine der wichtigsten Grundsatzentscheidungen zur Gentechnik überhaupt", meinen europaweit Umwelt-und Konsumenteninitiativen. Sie hoffen auf eine rege Beteiligung an der entscheidenden Sitzung.

Denn nur wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten gegen den katastrophalen Entwurf des EU-Ministerrates stimmt, werden eine verpflichtende Kennzeichnung sowie verschärfte Zulassungsbedingungen realistisch. Die Genetikerin Ulli Sima hält den 13. März für die 21 österreichischen Europa-Abgeordneten deshalb auch für einen Pflichttermin. „Ich hätte angesichts der sehr kritischen Haltung der Österreicherinnen) zur Gentechnik kein Verständnis dafür, wenn jemand die Abstimmung schwänzt oder gar dagegen stimmen würde."

Der Autor ist

Mitarbeiter von Global 2000

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