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Unsicherheit und Unzufriedenheit

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Die unmittelbar Betroffenen dieses nun schon seit Jahren andauernden Zwistes um Kastenreith sind die Bewohner des mittleren Ennstales: Solange keine Entscheidung getroffen wird, stagniert in diesem Gebiet die Wirtschaft, niemand wagt Investitionen, weil er nicht Gefahr laufen will, daß bei einer Entscheidung für Kastenreith dieses Geld in den Wassern des riesigen Stausees landet, der ungefähr der Größe des Wolfgangsees entsprechen würde. Die Unsicherheit führt zur Unzufriedenheit im künstlich geschaffenen Notstandsgebiet — und diese Unzufriedenheit war auch der Anlaß für die neuerliche Aktivität in den beiden Landtagen: Am 8. Juni wurden in Wien,1 in der Grazer Herrengasse und im Portal des Grazer Landhauses Flugzettel verteilt, auf denen die Bürgermeister der oberösterreichischen Gemeinden Weyer-Markt und Weyer-Land im Namen der Ennstaler Bevölkerung eine Entscheidung für das Monsterprojekt Kastenreith förderten. In der Flugschrift hieß es, der Kraftwerkstreit beschleunige den wirtschaftlichen Ruin des Ennstales. Viele Menschen hätten bereits ihre Heimat verlassen müssen, da keine ausreichenden Arbeits- und Wohnmöglichkeiten bestehen, Handel und Gewerbe seien lahmgelegt, und seit Jahren halte die Abwanderung aus dem Notstandsgebiet an. Schließlich wurde auch noch festgestellt, daß durch den Bau von Kastenreith die Situation grundlegend geändert werden könnte, denn „im Zuge von Großkraftwerksbauten entstehen neue Siedlungen, moderne Arbeits- und Wohnstätten“. Das ist die eine Seite des Problems. Auf der anderen steht die unleugbare Tatsache, daß durch den Bau des Großspeichers mit seinem 35 Kilometer langen Stausee die Orte Kleinreifling und Weißenbach überschwemmt würden. Großreifling stünde zur Hälfte unter Wasser und rund 2500 Menschen müßten umgesiedelt werden...

Es nimmt daher nicht wunder, daß die Bauern von Kleinreifling zum Beispiel, die verzweifelt um ihren Besitz kämpfen, gegen das Kastenreith-Projekt sind. In einer Resolution gegen die Hugschriften bekunden sie ihre verständliche Ablehnung:

„Die Bauernschaft von Kleinreifling erhebt vor aller Öffentlichkeit in feierlicher Form Protest gegen die Art und Weise, wie von Unberufenen der plumpe Versuch unternommen wird, die Frage der Entscheidung Kastenreith zu beeinflussen. Wir stellen klar und deutlich fest, daß die Herren Bürgermeister Doktor Wawra und Freudenthaler kein Recht haben, ihre Stimme zu erheben, da sie vom Streit Kastenreiih— Fünf-Stufen-Projekt gar nicht betroffen sind. .. Wir wissen, daß die oberste Wasserrechtsbehörde für das steirische Fiinf-Stufen-Projekt entschied, und wir wissen aber auch, daß Minister Waldbrunner diese Entscheidung ... durch Verweigerung seiner Unterschrift hintertreibt.“ Vor etwa sechs Jahren wurde eine Expertenkommission eingesetzt, die alle Für und Wider genau prüfen sollte. Die Fachleute konnten sich auf keinen einhelligen Lösungsvorschlag einigen; Prof. Dr. Grengg, der Vorsitzende dieser sogenannten Enns-kommission, bemerkt dazu allerdings, es wäre eine „gemeinsame Darstellung der Gesamtergebnisse gelungen, hätte nicht der Vertreter der Ennskraft-werke bei der Schlußredaktion seine Zustimmung zu der Baukostenfestsetzung von Kastenreith (abzüglich der zu erwartenden Rückvergütung für Straßenverbesserung, Hochwasserschut und so weiter aus öffentlicher Hand^ im Betrag von drei Milliarden Schilling widerrufen“.

Dieser „Rückzieher“ hinderte die Exponenten der Ennskraftwerke allerdings nicht, bei den folgenden Auseinandersetzungen wieder auf diese Kalkulationsgrundlage zurückzugreifen.

Jetzt spricht man von 3,37 Milliarden. Aus dem Gutachten des technischen Amtssachverständigen im Widerstreitverfahren, das nach der Sprengung der Expertenkommission eingeleitet wurde, geht allerdings hervor, daß allein für die großen erforderlichen Vorarbeiten (Verlegung der Eisen-Bundesstraße und der Gesäusebahn, Umsiedlungen usw.) 1,5 Milliarden Schilling aufgewendet werden müßten, falls das Projekt Kastenreith tatsächlich verwirklicht wird. Da weder das Handelsministerium noch das Verkehrsministerium Ambitionen zeigen, für diese kostspieligen und zeitraubenden Vorarbeiten Zuschüsse zu gewähren, scheint die von steirischer Seite genannte Summe von rund vier Milliarden Schilling für den Großspeicher nicht übertrieben zu sein. Die Verwirklichung der STEWEAG-Pläne würde sich, wenn zum Fünfstufenprojekt auch noch die vorgesehene Neugestaltung des Mölln-Speichers kommt, auf etwa 2,9 Milliarden Schilling belaufen.

Im langwierigen Widerstreitverfahren waren Ende Februar dieses Jahres die Ermittlungen des Sachverhalts abgeschlossen. Der zweite Teil des Verfahrens, das „Parteiengehör“, sollte mit der endgültigen Entscheidung der Obersten Wasserrechtsbehörde abgeschlossen werden. Der Spruch dieser dem Landwirtschaftsministerium unterstehenden Behörde wurde allerdings bis jetzt noch nicht offiziell veröffentlicht. Aus einer Feststellung des Landwirtschaftsministers, die nicht dementiert wurde, geht aber eindeutig hervor, daß die Entscheidung gegen Kastenreith ausgefallen ist: Am 18. Mai erschien eine Delegation steirischer Bürgermeister im Landwirtschaftsministerium. Dipl.-Ing. Hartmann sprach sich eindeutig für den Fünfstufenplan der STEWEAG aus und begründete seinen Entschluß mit folgenden Überlegungen: Die Ennskraftwerke AG hätte noch keinen Finanzierungsplan vorgelegt, die STEWEAG dagegen habe genügend Eigenmittel für den Ausbau der von ihr geplanten Stufen zur Verfügung und sei außerdem einer der billigsten Stromerzeuger in Österreich. Würde aber Großkastenreith gebaut werden, so müßten Auslandskredite zu einem hohen Zinsfuß aufgenommen werden. Eine Tatsache, die Auswirkungen auf den Strompreis haben könnte. An erste Stelle setzt der Landwirtschaftsminister jedoch seine menschlichen Bedenken gegen die notwendigen Umsiedlungen.

Eine Woche vor dem Besuch im Landwirtschaftsministerium hatten die steirischen Bürgermeister auch bei Dipl.-Ing. Waldbrunner vorgesprochen. Der Verkehrsminister bedeutete ihnen jedoch, er habe in dieser Frage nichts zu entscheiden. Eine etwas undurchsichtige Feststellung, denn gerade die Kompetenzkonflikte tragen maßgeblich zur Hinauszögerung einer Lösung bei: Das Landwirtschaftsministerium ist quasi für das Wasser zuständig, das Verkehrsministerium für die aus dem Wasser gewonnene Energie. Das Faktum, daß diese Ministerien von Ministerien verschiedener Couleur geleitet werden, fördert auch nicht die Entwirrung dieses gordischen Knotens.

In der Steiermark trägt man sich übrigens mit dem Gedanken, eine Verfassungsklage einzubringen: Nach dem Kompetenzgesetz aus dem Jahre 1946 muß nämlich bei der Genehmigung größerer Kraftwerksbauten das Einverständnis zwischen Landwirtschaftsminister und Verkehrsminister hergestellt werden. „Diese Bestimmung ist verfassungswidrig“, erläuterte Rechtsexperte Dr. Kaan in der letzten Sitzung des steiermärki-schen Landtages: „Die Bundesverfassung kennt nämlich nur eine persönliche Ministerverantwortlichkeit, und keine Teilung der Verantwortlichkeit auf zwei Ministerien.“

Mit dem Gedanken einer Verfassungsklage haben aber auch schon die Oberösterreicher gespielt: Am 15. November 1958 verabschiedete der steier-märkische Landtag einstimmig eir Gesetz, das schlicht unter „Novellierung der Gemeindeordnung“ lief, ir Wahrheit aber wurde damit den Kastenreith-Projekt eine hochbrisant< Sprengladung mit Zeitzünder unter' gelegt. Dem &#167; 1 der Gemeindeordnunj wurde als Absatz 5 folgender harmlo! klingender Text angefügt: „Künstliche Veränderungen der natürlichen Be ichaffenheit oder der herkömmlichen Nutzung von Grund und Boden, die len Bestand einer Gemeinde so weit ;efährden, daß ein Gebiet von mehr ils einem Quadratkilometer derselben setroffen wird, oder alle Bewohner xler mehr als 300 Personen dieser jemeinde ihre Wohnstätten zu ver-assen haben, bedürfen eines Landesgesetzes.“

In der Debatte über diese Vorlage mirde erklärt, es sei falsch, wenn diese Novelle eine „Lex Kastenreith“ genannt werde, da durch sie nicht ein Einzelfall geregelt werden solle. Was geregelt werde, sei von allgemeiner Gültigkeit und rühre an ein weltweites Problem, weil der Mensch für seinen Lebensraum in der Natur Schutz vor den Technokraten brauche. Trotz dieser „allgemeingültigen“ Fundierung war sich jeder Landtagsabgeordnete darüber im klaren, daß diese Novelle in erster Linie gegen Kastenreith gerichtet war. Die Oberösterreicher reagierten auch ganz richtig mit einem Sturm der Entrüstung, denn durch die „Lex Kastenreith“ kann das Land Steiermark derzeit den Bau des Großspeichers verhindern. Vorsichtshalber wurde auch noch angekündigt, man werde bei einem eventuellen Einspruch des Bundes gegen die Novelle einen Beharrungsbeschluß fassen.

Von den Kastenreith-Propagandisten wird als Hauptargument angeführt, die Steirer verhinderten mit einem ebenso kleinkrämerischen wie blindwütig ver-fochtenen Föderalismus eine großzügige Lösung des Ennsproblems, die zum Wohle des Gesamtstaates nur im Kastenreith-Projekt liegen könne. Man stützt sich dabei vor allem auf die Gutachten von zwei ausländischen Experten: Dipl.-Ing. Blank (Zürich) und Dr. Fuchs (München). Beide waren Mitglieder der gescheiterten Expertenkommission.

Es wurde schon erwähnt, daß die Experten durchaus nicht einhelliger Auffassungen waren; schon in der Frage der repräsentativen Leistungsfähigkeit differierten die errechneten Ergebnisse zwischen 187 Millionen und 351 Millionen Kilowattstunden.

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