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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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IN EINER ZEIT DER ABWERTUNGEN aller Werte, der Devalorisierungen berühmter alter und weniger notabler neuer Währungen verdient eine Tatsache freundliche Beachtung: die stete, langsam, aber strebend vorschreitende Aufwertung des Parlamentarismus in Österreich, gewirkt durch die Parlamentarier selbst. Ein heikelunsicheres Wesen: jede Parlamentsrede,

jede Einzelaktion kann Schaden stiften. Sofort erhebt sich ein Chor nur zu bereiter Stimmen: Da seht, da habt ihr’s wieder: nichts als Zank und Streit, Schimpf und Rauferei. — Der österreichische Nationalrat hat nun schon mehrfach bei großen und ernsten Debatten und Aussprachen in den letzten Sessionen ein Maß von Sach- bezogenheit, Arbeitsemst und demokratischen Ausdrucksformen gezeigt, das Nachahmung und Ausbau verdient. Von sehr verschiedenen Seiten wurde aus diesem Anlaß darauf verwiesen, daß es bei verschiedenen Couleurs einzelne Abgeordnete gibt, die sich dem Abbau der Demokratie (durch Schimpfkanonaden und verwandte Produkte) widmen, andere hingegen mit großer Konsequenz an einer Hebung des Niveaus der Diskussion, des Streitgesprächs arbeiten. Auffallend in dieser Hinsicht war — wir haben es schon einmal betont — die große Rede des Abgeordneten zum Nationalrat, Gschnitzer, in der Starhemberg-Debatte. Es berührt mehr als angenehm, seine Stimme nunmehr auf dem Forum seiner Hauptgegner selbst zu vernehmen. Die „Zukunft“, das Organ der österreichischen Sozialisten für umfassendere Aussprachen großer Probleme, hatte ihn geladen, „zur Neuordnung des Familienrechts“ Stellung zu nehmen; welcher Einladung Prof. Gschnitzer prompt nachkam. Wozu wenig zu sagen ist, außer der Bemerkung: daß alle, die an einer gesunden Entwicklung, an einem Ausbau der Demokratie in Österreich interessiert sind, hoffen wollen, daß dies nicht der erste und letzte Fall politischer Begegnung sein möchte.

ES IST ANZUNEHMEN. DASS MAN IM LAGER DER ZWEITEN REGIERUNGSPARTEI aufmerksam die Presse der sozialistischen Schwesterparteien verfolgt. Bestimmte Kommentare einig er namhafter Organe des europäischen Sozialismus zu der „Affäre Star he mb erg“ und zur Haltung der Sozialistischen Partei Österreichs in dieser Frage wird man daher hier kaum überlesen haben. Auch dann nicht, wenn man an ihnen bestimmt keine reine Freude hatte. Šie unterscheiden sich nämlich wesentlich von dem Beifallsgemurmel, mit dem heute so oft die Schritte von lieben Verwandten in der Politik begleitet werden. Mehr noch: es fehlt nicht an herber Kritik, die die sozialistischen Freunde in Österreich auf die Gefährlichkeit des Weges aufmerksam macht, auf den sie sich durch ein doktrinäres Festhalten an der Kampagne gegen den Beschluß eines hohen Gerichtshofes begeben. Von den üblen Weggenossen ganz zu schweigen. „Es falle schwer, vorauszusagen“, meint zum Beispiel das in Amsterdam erscheinende unabhängige sozialistische Blatt „Parool“ (19. Jänner), „was eine allgemein gemäßigte Regierungspartei wie die SPÖ mit Streiks und Demonstrationen gegen ein rechtsgültiges Urteil unternehmen könnte.“ Und die Leser des Pariser „P o pul atr e“ konnten in der Ausgabe vom 2.13. Februar als Meinung des Österreich-Berichterstatters unter anderem erfahren: „Ich fürchte, daß der Weg, den unsere sozialistischen Freunde eingeschlagen haben, nicht der beste ist..Und schon am 7. Februar meldet dieses Standardblatt, nicht nur des französischen, sondern des europäischen Sozialismus, bereits wieder aus Österreich:

„Die Sozialisten fordern vergeblich einen Appell an die Volksgerechtigkeit. Nichts gibt die Gewißheit, daß eine Volksabstimmung zugunsten unserer österreichischen Freunde ausfallen wird, da das österreichische Volk augenblicklich von anderen Sorgen erfüllt ist und wenig Neigung zeigt, sich wegen einer Vergangenheit zu ereifern, die zwar tragisch und schmerzhaft war, jedoch der jungen Generation unbekannt ist und bei einer Anzahl Erwachsener — absichtlich oder nicht — in Vergessenheit geriet, um nicht die augenblickliche Regierungskoalition zu gefährden.“

Stimmen 0er Vernunft, sozialistische Stimmen. Ihnen wird wohl schwerlich wie allen anderen, die ein Wort zur Besinnung sprachen, der Vorwurf der Voreingenommenheit, der Parteilichkeit und der Verteidigung jenes Mannes im fernen Südamerika gemacht werden können.

DIE FORDERUNG NACH KLARHEIT UND ÜBERSICHTLICHKEIT DER GESETZE, seit Jahren eines der dringlichsten Anliegen des österreichischen Staatsbürgers, wurde zuletzt von einem unserer angesehensten Juristen, Senatspräsident Dr. Heinrich Klang, in einem Vortrag am 5. Dezember 1951 in der Wiener Juristischen Gesellschaft in besonders eindrucksvoller Form erhoben. Als ob man ein Schulbeispiel dafür demonstrieren wollte, wie man es nicht machen solle, gebar der grüne beziehungsweiße rote Tisch kürzlich einen „Entwurf zu einer Novelle des Wiener Kinogesetzes 1935 in der Fassung von 1930, LGBl. für Wien Nr. 29, mit den Abänderungen vom 29. März 1935, GBl. der Stadt Wien Nr. 20, und vom 13. Mai 1937, GBl. der Stadt Wien Nr. 19“, „mit Erläuterungen hiezu“ sowie den „Entwurf einer Neuverlautbarung dieies Gesetzes unter Einschluß der geplanten Novelle“. Wo man ihn packt, eckt dieser „Entwurf“ an: an Gesetzen, Verordnungen und letztgerichtlichen Entscheidungen, an Art. VI und VII des Staatsgrundgesetzes (Freiheit der Erwerbstätigkeit, Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz), an mindestens zwei Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes, an Gewerbeordnung und „Rückstellung“ und zu guter Letzt auch an Paragraphen des ABGB. Bei aller Unklarheit ist nur eines klar, die Absicht, hinter dem Gestrüpp von Verdunklungen und Widersprüchen die tiefere Absicht des Gesetzgebers zu verbergen: den letzten Rest des schwerringenden privaten Kinobesitzes in Wien binnen wenigen Jahren durch schikanöse Bestimmungen über die Verleihung und Erneuerung (oder eben: Nicht-Erneuerung) von Konzessionen auf kaltem Wege abiwwürgen und dem erstaunlich gut funktionierenden Verdauungsorgan der vieldiskutierten „Kinobetriebs - AG“ (KIBA) zu überantworten. Während Niederösterreich, Burgenland, Tirol, Vorarlberg und Salzburg zum Teil schon seit längerer Zeit die unbefristete Konzession, Steiermark und Kärnten als Übergangslösung wenigstens eine Konzessionslaufzeit von zehn Jahren eingeführt haben, will Wien im Gegenteil noch die „Konzessionsdauer beschränken“ (§ 1, P. 4), und zwar auf einen Zeitraum von 1 bis 3 Jahren, in dem sich jede notwendige und natürliche Betriebsinvestition, wie es jedem Gewerbetreibenden ohne weiteres einleuchtet, unmöglich amortisieren läj3t. Eine umstrittene und, wie man hört, noch dazu unbeabsichtigte (!) Neufassung der Bestimmungen über den Besuch von Jugendlichen krönt den Entwurf, der als unrühmliche „Lex Kiba“ in die Geschichte der österreichischen Nachkriegsgesetzgebung eingehen wird, als untauglicher Versuch allerdings und niemals in Gesetzeskraft erwachsen: das wenigstens darf doch wohl von späterer höherer Einsicht erwartet werden!

DIE RÖMISCHEN BESPRECHUNGEN zwischen italienischen, griechischen und türkischen Staatsmännern erweisen, daß Italien im Begriffe ist, seine natürliche Position im Mittelmeer wiederzugewinnen. Schrittweise verdrängen die geographischen und politischen Tatsachen die mißliche Konjektur, in der sich das Land am Ende des zweiten Weltkrieges befunden hat. Rom ist heute der westliche Pfeiler einer militärisch wichtigen Brücke, die sich über Athen nach Ankara spannt und die tragfähig wurde, sobald Griechenland und die Türkei, ihren alten Hader hintansetzend, sich auf ihre gemeinsame Gefährdung besannen. Und es galt da wirklich eine lange Rechnung auszulöschen, von den blutigen Gespenstern der griechischen Befreiungskriege, über Kreta und Thessalien, über den ersten Balkankrieg hinweg zu den kleinasiatischen Schlachtfeldern, auf denen Atatürk-Kemal Pascha den Traum von einem zweiten byzantinischen Reich vernichtet hatte. Darauf folgte noch die erste große und gewaltsame „Umsiedlung“ der Neuzeit: Millionen altansässige Griechen und Türken wurden von Kleinasien nach Europa, von Europa nach Kleinasien gebracht. Das alles wurde von den griechischen und türkischen Staatsmännern in den Lethe versenkt, damit nicht beide Staaten eines Tages am Ufer des Styx stehen müssen. Eine „Erbfeindschaft“ im Osten wurde begraben, während um jene im Westen noch gestritten wird. Als sie bereinigt war, führte der Weg über Rom nach Rom — wiederum trotz Mussolinis Überfall auf Griechenland. Der personellen und organisatorischen Fragen, die vor einer effektiven Zusammenarbeit der drei Staaten zu lösen sein werden, sind noch viele. Wird es vor allem gelingen, die Landverbindung über Jugoslawien dem System einzubauen oder zumindestens wohlwollend dienstbar zu machen? Die Anzeichen sind nicht ungünstig. Und es scheint, daß die Sprache der Tatsachen am Mittelmeer besser gehört wird als zwischen Seihe und Rhein.

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