6616481-1955_34_09.jpg
Digital In Arbeit

Randhemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

SELTSAMER HOCHSOMMER IN WIEN! Wahrend das Wetter dem Sommer und den Sommerfreuden alles schuldig bleibt, erhitzen sich die Gemüter im innerpolitischen Streit. Da gibt es nun freilich eine ganze Reihe ernster Fragen, die zeigen, wie sehr unsere junge Demokratie noch zulernen muß, bis sie das Zeugnis der Reife erhalten darf. Die Behandlung nicht nur der Minderheit in der Wiener Landesregierung, sondern auch der Mehrheit der Bevölkerung Wiens durch den Beschluß der Mehrheitsfraktion, die Fahrpreise für die Straßenbahn in exorbitanter Weise zu erhöhen, zeigt, wte hilflos gerade die Arbeiterschaft ihren eigenen Funktionären ausgeliefert ist. Wohl versuchte — zu spät — die Arbeiterkammer einen Einspruch anzumelden, wohl erfuhr man, daß sozialistische Gewerkschaftskreise sehr gegen diese Erhöhung waren, alles aber war umsonst — selbst der verantwortungsbewußte Appell eines sozialistischen Ministers. Diese maßgeblichen Männer im Rathaus ließen sich, leider, so müssen wir vermerken, nicht einmal herbei, ihre neuen Kalkulationen durch ein überparteiliches Gremium von Fachleuten prüfen zu lassen. Die Demokratie wird also, ab Herbst, nicht mehr mit der Straßenbahn fahren, sondern nur noch mit Dienstautos einerseits, privaten Rollern und Rädern anderseits. — Um einigermaßen ein Gleichgewicht herzustellen, sorgt auch die erste Regierungspartei für Erregung, Erhitzung und Gerüchte. Das erste Studium der Vorlage des ASVG durch die Aerztekammern zeigt bereits, daß der Gesetzesver-fasser entgegen den Abmachungen mit den Vertretern der Aerzteschaft den Text der Gesetzesvorlage mehrfach durch „Zusätze“ ins Gegenteil verkehrt hat. Offensichtlich ist der Schutz und Schirm, den die Volkspartei den numerisch schwächeren Gruppen und Bevölkcrungsschichtcn angedeihen läßt, also den Intellektuellen, Aerzten, Lehrern, im Ernstfalle zu gering. Wie sich das politisch im freien Oesterreich auswirken kann, wird die Zukunft zeigen. — Neben diesen ernsten Sorgen stehen einige andere, die wir dem Genre der leichteren Muse zuordnen wollen. Der Sommcrurlaub Dr. Grub er s, des österreichischen Botschafters in Washington, in Wien, wird von in-und ausländischen Kreisen in Verbindung gebracht mit Absichten, die denn doch mit einigem Lächeln verzeichnet werden sollen. „Gruber ante portas“, heißt es da. Der ehemalige Außenminister, dessen Rücktritt noch in Erinnerung ist, bereite sich auf die Machtübernahme im Bundeskanzleramt vor. Als erster Schritt sei die Uebcrnahme des Handelsministeriums Im Herbst gedacht. Interessen bestimmter Wirtschaftskreisc, nicht zuletzt an dem Erdöl des Wiener Beckens und an unseren Wasserkräften, sehen, so sagt man, in Dr. Karl Gruber den geeigneten Mann, sie zunächst im Handelsministerium und später im Bundeskanzleramt auf das beste zu vertreten. Bereits gegen die erstere „Luftveränderung“ gäbe es einiges zu sagen, und die zweite steht wohl “kaum in ernsthaften politischen Kreisen zur Diskussion. So hat also irgendein boshafter Spaßvogel dem österreichischen Botschafter in den Vereinigten Staaten einen Bärendienst erwiesen, als er derartige „Meldungen“ in den für alles aufnahmebereiten Coidoirs ausstreute.

DIE ÖSTERREICHISCHEN BUNDESBAHNEN BEUTZEN UND BETREIBEN auch einige kleinere Auslandsstrecken. Dazu gehört als vielleicht wichtigste die Bahnlinie Feldkirch—Buchs (Staatsgrenze), die vorwiegend über liechtensteinsches Gebiet führt. Dort sind zwei Bahnstationen, nämlich Nendeln und Schaan-Vaduz (die einzige Schuellzugsstation des Fürstentums, in der die OeBB aber nur formhalber ein halbes Schnellzugspaar, also einen einzigen Schnellzug, vormittags um 10.08 Uhr anhalten lassen, aus dem man, wenn man ihn ernsthaft benützen will, wegen der infolge Zollabfertigung im Zuge versperrten Waggons oft genug nicht einmal aussteigen kann, so daß man bis Buchs weiterfahren muß). Außerdem gibt es noch die ziemlich wichtige Haltestelle Schaanwald. Grundlage des Betriebes dieser Bahn auf liechtensteiuschem Hoheitsgebiet iüT eine Konzessionsurkunde nebst einem Vertrag mit Liechtenstein aus dem vorigen Jahrhundert, Hechten-steinischerseits wird seit Jahr und Tag an die OeBB wegen Erstellunng einer modernen Lichtsignalanlage vor abgeschrankten und nicht abgeschrankten OeBB-Bahnübergängen herangetreten, aber ohne Erfolg. Modernisierungen erfolgen jeweils nach dem vorvorletzten Stand der technischen Entwicklung. So kommt es, daß das Oesterreich sicher sehr wohlwollend eingestellte Regierungsorgan „Liechtensteiner Volksblatt“ schreiben konnte: „Der österreichischen Bundesbahn sind in unserem Lande die ältesten Einrichtungen gut genug und die Kosten für Modernisierungen immer zu hoch, obwohl die Einrichtungen aus den eigenen Werkstätten oder aus dem Abbruch in Oesterreich stammen.“ Nun, zu diesen Ladenhütern, die man in Liechtenstein einsetzt, gehören auch die Waggons in den Personenzügen nach Liechtenstein. Nur kurze Zeit nach dem Kriege hatte man schön instand gesetzte Vierachser in diesen Zügen verwendet, dann kamen wieder die uralten Klapperkästen. Für eine gute Fremdenverkehrswerbung der OeBB wäre aber doch gerade auf dieser Auslandsstrecke, die ja nicht gerade in ein Balkanland führt, eine Geste in Form des Einsatzes von Vierachsern auch in Personenzügen von hoher Werbewirksamkeit. Die benachbarte Schweiz denkt da sicher anders.

MIT DER ANTWORT RAKOS1S an die Adresse der „jugoslawischen Genossen und des Genossen Tito“ setzte sich am 8. August ein Streitgespräch (aber immerhin ein Gespräch) fort, dem vielleicht größere Bedeutung beizumessen Ist als manchen der Tischreden, die etwa anläßlich des Belgrad-Besuchs Bulganins und Chruschtschows gewechselt wurden. Damals gab es, zumindest vor der Oeffentlichkeit, viel freundliches Lächeln und Händeschütteln, aber es blieb vieles unausgesprochen. Die Unruhe in den Parteikreisen der Volksdemokratien war groß und sie ist bis heute rächt geringer geworden. Wer hat den streitbaren Marschall von der Insel Brionl wohl autorisiert zu solchen hohen Tönen, aus welchen sich der Wunsch heraushören läßt, in das Geschick der Volksdemokratien durch eine Forderung und Durchsetzung personeller Veränderungen in den Führungsschichten einzugreifen? Tito forderte in seiner Rede in Karlovac am 27. Juli nichts mehr als eine Akzeptierung des Geistes der Belgrader Erklärung seitens der Kommunistenführer Ungarns und der Tschechoslowakei, zu der sich diese freilich anläßlich ihrer Begegnung mit den Russen in Bukarest feierlich bekannt haben. Aber Tito meint, daß sie, insbesondere aber die Ungarn — und damit ist offenbar Rakosi gemeint, der nach 1948 ihn am fleißigsten mit Schimpfworten, wie „Kettenhund der Imperialisten“ und noch ärgeres, bedacht haben soll — auch seither nicht aufhörten, hinter den Kulissen gegen Jugoslawien zu intrigieren. Sie sperrten nach wie vor Menschen ein. die für Freundschaft und Zusammenarbeit mit Jugoslawien sind, und behaupteten, „die Sowjetunion wende nur eine schlaue Taktik an, um die Menschen irrezuführen“. Wie reagierte Rakosi auf den ihm hingeworfenen Handschuh? In einer seiner von früher her gewohnten, mit altbewährten rhetorischen Mitteln Klarheit und Selbstsicherheit sowohl vortäuschenden . als suggerierenden Reden bekannte er sich mit allem Nachdruck zur Freundschaft und Zusammenarbeit mit Jugoslawien, fügte aber — man könnte sagen m i t einem Geniestreich, wenn mau nicht wüßte, daß die Kommunisten für solche logische Purzelbäume das Wort Dialektik anwenden — wörtlich hinzu: „Für uns ist die im Verhältnis zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien entstandene günstige Wendung von. großer Bedeutung, denn in deren Folge wurde es möglich, daß nunmehr auch das ungarisch-jugoslawische Verhältnis sich verbessere und freundschaftlich werde.“ Dieser Satz wurde in den ungarischen Zeitungen gesperrt abgedruckt. Er sagt aus, daß ein ungarischer Staats- und Parteiführer in den vergangenen Jahren nichts anderes tun konnte und noch immer tun kann, als dem Wink aus Moskau. zu parieren. Er sagt es dem glücklicheren Bruder, dem es gelang, aus diesem Satellitenvcrhältnis auszubrechen, fast klärend. Befassen wir uns hier nicht mit der wahren Situation in Ungarn, die es Rakosi kaum gestattet hätte, anders als moskautreu zu handeln. Der zitierte Satz, versteckt zwischen vielen in östlich.? Richtung absolvierten Kotaus nach gewohnter Manier, will allen, die hören und lesen können in Ost und West, zeigen, daß Rakosi uutrr Umständen bereit wäre, den von Tito vorgeze'rh--neten (und seither von ihm etwas revidierten) Weg zu gehen. Tempora mutantur!

PUSAN — die Japaner hießen es Fusan, zu deutsch soviel wie: Topfberg — ließ wieder einmal die heiße Suppe aus dem Topf überfließen, an dem sich die Diplomaten mehr als einmal die Hände verbrannten. Die Unruhen, die von Fusan aus auf die Städte Südkoreas übergriffen und bis an den Sitz der internationalen Waffeustillstandskommission auf der Insel Wolny brandeten-, das ultimative Verlangen der siidkoreanischen Regierung nach dem Abzug der Kommission und nach Berichtigung der Grenze; die Warnungsschüsse der internationalen Militärpolizei; die Wasserwerfer: alles willkommenes Wasser auf die Mühlen derer, die an den zwei Millionen Toten des koreanischen Zweilahrkrieges noch nicht genug haben. Südkorea wirft der Kommission Vor, daß sie von ehemaligen sowjetrussischeu Offizieren durchsetzt sei, daß photographische Aufnahmen zu Spionagezweckeu gemacht werden, und die Propaganda gegen Südkorea zunehme. Außenminister Dulles mußte so deutlich werden, zu sagen, daß eine kriegerische Verwicklung unweigerlich zur Anwendung von Atomwaffen führen würde (dies von einem lande gesagt, das immerhin 25,000 Tote für Korea opferte). Aber Syngmen Rhee, der schon über die Achtzig ist; der Do/cror der Philosophie der Havärd-Universität, der Mann, der in Princeton zu Füßen eines anderen gescheiterten Philosophen-Politikers saß, nämlich Wilsons; Rhee, der vor Jahresfrist ungeschoren in den USA seine Furchtlosigkeit vor einem dritten Weltkrieg von einer Methodistenkanzel herabrief („denn mit uns ist Go'ttl“) — dieser Syng-man Rhee hat allen Grund, selber Propaganda zu treiben und die südkoreanischen Bauern mit Reden zu versorgen. Diese Bauern erfahren so langsam, daß im Norden — Tatsache bleibt Tatsache — 02 Prozent des Ackerlandes an 725 000 Familien verteilt wurde (vor 1938 waren nur 18 Prozent der Bauern Landeigentümer), wogegen in Südkorea die Landreform noch immer auf sich warten läßt. Die Arbeiter aber, die mau gegen die Kommission marschieren ließ, sind ein Teil jenes Jndustrieproletariats, das sich nach dem Abzüge der Japaner und dem Zusammenbruche des Wirtschaftssystems bildete. Svngman Rhee vermochte kaum einen Bruchteil des wirtschaftlichen Aufstieges zwischen 1932 und 194? mit einer Steigerung der Produktion um das Fünfzehnfache in den letzten Jahren zu erreichen. Hier wird Propaganda gemacht — aber nicht von der Waffenstillstands-homm'ssion. die ihren Platz nicht räumen wird. Das John-Hopkins-Institut für internationale Studien in Washington befaßte sich in der letzten Tagung mit Südosfasien. Es wäre besser — und die teit dräuet —, wenn die Welt dem Philosophen in Seoul etwas Weltweisheit beibrächte, ehe wieder geschossen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung