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Balkanisierung

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„Klaus, seinen Ministern und der ÖVP-Fraktion steht die Hauptarbeit aber im Lande selbst bevor. Zwar erklärt der Kanzler, er befürchte keine politischen Streiks gegen seine Regierung. Wer sich in Österreich umhört, ist dessen jedoch nicht so sicher wie der Regierungschef. Dabei ist das nur eine Vorfrage. Das Kernproblem ist das der ,Roten Polizei'. Wird sie im Notfall dem Kommando ihrer Offiziere, die zu einem beträchtlichen Teil der ÖVP nahestehen, gehorchen? Das weiß noch niemand..

Man muß es zweimal lesen. Das steht schwarz auf weiß in einer angesehenen deutschen Zeitung, im „Handelsblatt“, Düsseldorf, in einem Kommentar im Anschluß an ein Interview mit Bundeskanzler Klaus. Soll man lachen darüber, soll man sich ärgern oder soll man es mit der resignierendėn Feststellung abtun: Sie verstehen uns nicht, sie haben uns nie verstanden. Sie reden über Österreich so, als würde dieses Land in Afrika, in Südamerika oder in Hinterindien liegen. Mit derselben Anmaßung, mit derselben Ignoranz. Soll es wieder einmal krachen in Österreich, wäre wieder einmal ein kleiner Bürgerkrieg fällig?

Aber vielleicht haben wir gar keine Ursache, uns darüber aufzuregen. Sind wir nicht selber daran schuld? Wurde das Klischee von der „Balkanisierung Österreichs“ nicht von Österreichern jahrzehntelang liebevoll gepflegt. Wurde das Wort von der Balkanisierung Österreichs nicht gerade jetzt als Titel einer Darstellung der österreichischen Innenpolitik gewählt? Wenn wir uns selbst so darstellen, kann es uns da wundern, daß uns die anderen und vor allem jene, die überzeugt sind, daß Sie uns kennen, ebenfalls in diesem Bilde sehen, daß sie uns als „Balkan“ einschätzen?

Unfestliches

Da konzertierte im Rahmen der Wiener Festwochen ein Gastorchester. An drei Abenden. Und da traten, während einer Woche, mehrmals zwei berühmte, weltberühmte Geiger auf. Das Orchester kam aus Ostberlin, die Geiger aus der Sowjetunion. Es waren also — für einen Teil der Wiener Kritik — keine gewöhnlichen Künstler. Und ungewöhnlich waren auch die entsprechenden Berichte über ihre Konzerte. Denn neben (und zugleich mit) allerlei lobenden Urteilen las man u. a. von „Helden der Arbeit“, von „Erfüllung des Überplansolls“ usw. Zum Beispiel auch: „Da läuft alles wie am Schnürchen. Wer nicht mittut wird ich will nicht sagen erschossen, aber nach Wien oder anderswo in den berüchtigten Westen darf er nicht mehr.“

Wir sagen offen, daß uns diese Art der „Kritik“ nicht gefällt. Wenn unsere tüchtigen Symphoniker an vier oder fünf Abenden hintereinander das meist umfangreiche Programm der Konzerte im Zyklus „Die große Symphonie“ spielen, so fällt es keinem Menschen ein, sie als Stachano- wisten zu bezeichnen, man hat im Gegenteil Bewunderung für das Orchester, seine Dirigenten und Solisten, wenn es am letzten Abend noch genauso „am Schnürchen“ geht, wie am ersten. Beim Kritiker mischt sich in dieses Gefühl auch ein wenig Mitgefühl, denn er weiß: es gibt leichtere Berufe, als den des Orchestermusikers, von dem man erwartet, daß er stets in Bestform ist.

Und wie denn anders hätten die Musiker spielen sollen? Ein bisserl „leger“ (lies: schlampig), nur ‘ mit halbem Einsatz ihres Könnens? Daß ihre Darbietungen ein wenig anders klangen, als wir es gewohnt sind, darauf sollte man in einer Musikstadt wie Wien vorbereitet sein. Am ehesten war die Berliner Staatskapelle — denn von ihr ist die Rede — als „Typus" (soweit man bei einem Ensemble von einem sol- eben sprechen kann) mit einigen großen hochperfektionierten amerikanischen Orchestern zu vergleichen, etwa dem Boston Symphony Orchestra oder den New Yorker Philharmonikern. — Andere Städte, andere Sitten, andere Musi’. Was gibt es da zu staunen?

Ins blaue Grüne

Wenn der Sommer naht und die Sonne leuchtet, wenn die Straßen voll und die Sehenswürdigkeiten geöffnet sind, dann klimpert in Betriebsrats-, Firmen- und Kameradschaftskassen manches Sümmchen zur Stärkung des „Zusammengehörigkeitsgefühls“, dann planen ambitionierte ehrenamtliche Reiseleiter einen Betriebsausflug. Variante A: Ein See, eine alte Stadt, ein Weinkeller. Variante B: Ein Berg, eine Fabrik, ein Bräustüberl. Variante C: Eine Ausstellung, ein Wasserfall, eine Jausenstation. Musik, Tanz, Freibier je nach Großzügigkeit. Photos für die Werkszeitung oder das Schwarze Brett. Ansprachen unterbleiben. Pflichtstrecke mindestens 400 km.

Seltsame Erfahrung, die von Jahr zu Jahr stärker wird: Der Bedarf an Zusammengehörigkeitsgefühl sinkt. Die Autobusse fahren oft halb leer durch die Lande. Man füllt mit Pensionisten auf. Die Zeiten der „Werksfamilie“ sind vorbei.

Ob das nur mit den Autos der Arbeitnehmer zusammenhängt? Oder damit, daß die Fahrt ins blaue Grüne zuwenig attraktiv ist? Oder mit der Einstellung zum Arbeitsplatz überhaupt?

Schlachtenbummler

„Verwandtenbesuche“, so erfahren wir aus dem Bericht eines Mittagsblattes, werden nur „vorgeschützt“, „kunsthistorische Interessen für die Schönheit der wunderbaren Stadt“ sind „geheuchelt“. „Mit Kind und Kegel pilgerte Karajans treue Gemeinde zu Pfingsten nach Prag.“ (Eine Zwischenfrage: die „Kegel“ kann man ins Konzert mitnehmen, aber wie versorgt man am Abend die Kinderchen?) Ein neuer Typus habe sich herausgebildet, so erfahren wir, der „musikalische Schlachtenbummler“, der seit dem Weggang des Maestro von Wien ständig unterwegs ist: von Mailand nach München, von Prag nach Salzburg. Und um was zu hören? Nicht etwa tschechische Musik mit Prager Orchestern und tschechischen Dirigenten, sondern die „Eroica“ und ein Mozarf- sches Divertimento, gespielt von den Berliner Philharmonikern, in dem der Allegrosatz besonders gut gelang. Das Volkslied, welches ihm zugrunde liegt, heißt ,,D’ Bäure hat d’ Katz verlöre“. Und der läuft sie nun überall nach

Polonophil?

„Im deutschen Bewußtsein ist Polen ein Mühlstein. Jeder vernünftige Deutsche weiß oder ahnt zumindest, was am 1. September 1939 entfesselt wurde. Die Reaktion auf den Antipolonismus der Nazis ist folglich jene teils politische, teils literarische Polonophiliie, die man besonders nach 1956 beobachten konnte. Die Zuneigung der deutschen Polonophilen zu allem Polnischen verfiel dabei in das andere Extrem: Es gab Augenblicke, und es gibt wohl auch heute noch besonders intellektuelle Kreise, die sich an einer völlig undifferenzierten Polenfreund- schaft berauschen. Selbst in Kreisen der Landmannschaften hat man der antipdlnischen Versuchung widerstanden. Sieht man von der notorischen National- und Soldatenzeitung ab, so gibt es in Deutschland kaum jemanden, der etwas gegen die Polen sagt.“

(„Das deutsche Gespenst." Christ und Welt, 20. Mai 1956, Seite 3)

„Wo sich der Markt am Rathaus zur Universität hin öffnet, entstand plötzlich eine Arena der .Glaubenskämpfe1. Es fing damit an, daß sich aus der stummen Kette studentischer Gegendemonstranten am Gebäude der Theologischen Fakultät ein langes weißes Spruchband löste, über die Straße schwebte und einige Meter weit in die Zuhörergruppe eindrang: .Versöhnung geht vor Rechtsanspruch.“ Unruhe kam auf. empörte Rufe sprangen über die Köpfe, Bewegung hin zu den Plaka- ten, die immer zahlreicher herabgetragen wurden. Erst als ein Kriminalbeamter in Zivil dem Chef der kleinen Polizeigruppe befriedigt zunickte: .Photographiert sind sie schon alle“, gab er Befehl: ,Ruck zuck, ’runter mit dem Zeug.“ Doch schon trampelte ächzend ein älterer Mann auf dem zerknüllten Fetzen herum, dessen Beschriftung soeben noch Versöhnung verlangt hatte. Im rauhen Handgemenge mit der nervösen Polizei die auch ohne Knüppel herzhaft zuzuschlagen versteht, fielen Schilder und gelegentlich auch Studenten. Es waren angehende Theologen.“

(Berichte über die Deutschland- Kundgebung des' Bundes der Vertriebenen in Bonn. „Christ und Welt“, 20. Mai 1966, Seite 8)

PS: Auf Seite 3 las man es anders!

Splitter and Späne

„Die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei schließt keineswegs eine fachliche Eignung aus.“

Nat.-Rad; Dr. Josef Gruber (ÖVP)

„Die Partner haben ihre Hüte genommen und sind verschiedene Wege gegangen. Die Demokratie hat diese Möglichkeit vorgesehen, und niemand muß fürchten, daß wir nun vor dem Weg zur Diktatur stehen. Wir haben uns nur allzu lange an den Gedanken gewöhnt, wer gegen die Koalition sei, sei für Kerkermauern.“

Winfried Bruckner in. der „Solidarität

„Man sollte aufhören zu sagen ,Ich regiere dich'! Statt dessen sollte man eher sagen ,Ich diene dir'.“

Kardinal Wyszynskl

„Jeder, der behauptet, er verstehe die Lage in Vietnam, ist schlecht informiert.“

US-Botschafter Cabot Lodge

„Frauen, Elefanten und General de Gaulle vergessen niemals, was man ihnen angetan hat.“

Paul Reynaud

„Sagen wir es einmal ganz offen: Jeder Franzose ist 1940 Pėtainist gewesen und 1944 Gaullist zwei Helden zu gleicher Zeit, was Will man mehr! Der erste für die Niederlage, der zweite für den Sieg.“

„L'Express" zum Verdun-Jubiläum

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