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QUERSCHNITTE

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Ruhe sanft!

„Ich lieg und besitz.

Laßt micfa schlafen.“ Richard Wagner

An einer Uberempfindlichkeit für Lärm aller Art scheint der Theaterkritiker des kommunistischen „Tagebuch (Folge 20, VII, S. 4) zu leiden. In einer heftig ablehnenden Besprechung der „angeblich christlichen" Tragödie Tony van Eycks „Selig sind die Verfolgten“ im Rahmen des österreichischen Katholikentages, die bei aller Anerkennung des Rechtes zur freien Kritik (in den freien Staaten) nicht eigentlich der Anlaß zu einem antireligiösen Haßausbruch zu sein brauchte, schreibt er, um die Tatsache von unseligen Verfolgungen’ zu widerlegen, wörtlich:

„Während meines Aufenthalts in Krakau wohnte ich in einem Hotel neben dem Krakauer Dom, und täglich weckte mich das Orgelspoel und der Lärm der Gläubigen, die die Frühmesse besuchten.“

Man wünscht dem Verfasser von ganzem Herzen, daß ihn in den kommenden Jahren und Jahrzehnten niemals Unangenehmeres wecke äls Orgelspiel und frommer Gesang. Im anderen Falle, so der Marschtritt’ von Volkshedren und anderen Friedenskämpfern den Schlaf des Befangenen stören würde, möchte er sich vielleicht unbändig nach Bachs und Bruckners, Haydns und Schuberts sanfterer Reveille zurücksehnen.

Zehnte Muse?

Ein talentierter, ernsthafter und strebsamer junger Mann — nicht mehr ganz jung, denn er hat schon vor drei Jahren seinen Doktor gemacht, nachdem der Krieg das Studium unterbrochen hatte — sucht seither vergeblich nach einer angemessenen Beschäftigung. Nach 34 (vier- unddredßig) erfolglosen Ge- und Besuchen wendet er sich, da er sein Diplom in einem musischen Fach erworben hat und nicht ausübender Künstler ist, an die dafür zuständige allerhöchste Behörde. Daß man auch dort keinen Posten für ihn hat, kann er verstehen (denn wir sind ein kleines und armes Land). Aber die Fragen, die ihm da gestellt wurden, und die Empfehlungen, die er bei dieser Gelegenheit empfangen, wollten ihm nicht recht plausibel erscheinen. Vor allem sei, so wurde ihm bedeutet, für die künstlerische Karriere, die er ins Auge gefaßt habe, ein abgeschlossenes juristisches Studium erwünscht. Ferner interessiere man sich nicht so sehr für das Doktorat als für die Lehramtsprüfung, die auch eine bessere Einstufung ermögliche. Und dann wurde ihm noch eine Frage gestellt, die der Leser erraten muß. Und danach war’s also leider nichts..

Ein Spaßvogel könnte hiezu meinen, daß die verlangten zusätzlichen Qualifikationen nicht eigentlich den Kuß der Muße verbürgen. Aber da es sich um einen gar nicht heiteren Fall handelt, legt der vorlaute Spaßvogel sein Gesicht sofort wieder in ernste Falten, doch bleibt er bei seiner Meinung, daß hier etwas nicht stimmt!

Der Europäer

Eines Tages kam aus Australien ein Brief nach Westdeutschland:

, und sonst gefällt es mir hier in Australien recht gut. Mein neueT Chef ist ein patenter Kerl, ein Mann aus dem Volke. Er nennt mich „Europäer". Warum Europäer? wirst Du fragen. Ich will es

Dir kurz eiklären. Als ich am ersten Tag meiner Ankunft in Brisbane mit ihm und seiner Familie bei Tisch saß, führten wir folgendes Gespräch:

Er fragte mich: „Sie kommen also aus Deutschland?"

„Jawohl, aus der amerikanischen Zone.“ „Ah, Sie sind ein Amerikaner?“

„Nein, ich wohnte nur in der amerikanischen Zone, in Bayern.“

„Also, ein Bayer sind Sie?“

„Nein, ich kam erst nach dem Kriege nach Bayern, aus Munkatsdi. Karpato- rußland ist meine Heimat.“

„Jetzt weiß ich’s, ein Russe sind Sie!“ „Nein, es ist so: Als ich geboren wurde, gehörte Kaipatorußland zu Ungarn und.. .

„Also ein Ungar?"

„Nein, 1918 wurde meine Heimat tschechisch "

„Jetzt haben wir’s, ein Tscheche!“

„Nein, 1939 wurde sie wieder ungarisch.“

„Wieder ungarisch! Dann sind sie also endgültig ein .. .

„Nein, nein! Nach dem letzten Kriege wurde meine Heimat wieder kurze Zeit tschechisch „Damned!“

„ und jetzt gehört sie zur Sowjet- Ukraine.“

„Um Gottes willen! Also doch Russe!“ „Nein, ich wurde als Deutscher aus- gesiedelt.“

„Wenn Sie also als Deutscher nach Deutschland kamen, damned, dann sind Sie ein Deutscher!"

„Das habe ich auch gedacht, aber in Deutschland wurde ich als Staatenloser geführt. — Zum besseren Verständnis: ich befand mich gerade in Wien, als Österreich Deutschland wurde ?’

Mein Chef schlug die Hände überm Kopf zusammen: „Jetzt aber Schlußl Für mich sind Sie ein Europäer!" Seit diesem Abend sagt mein Chef „Europäer" zu mir.

Er sagt es immer ein bißchen nachdenklich .. .’

Das „Goldene“

Nur keine Vorurteile, schreibt die deutsche Wochenzeitung „Christ und Welt": wir haben Ortsgruppenleiter und haben Kreisleiter und haben uns sogar schon wieder daran gewöhnt. Zwar sind wir allemal vom Schluckauf bedroht, so wir gezwungen sind, dergleichen Titel- chen in den Mund zu nehmen. Indessen, wir sind guten Willens. Freilich bitten wir die Vorstände der Parteien, gewiß doch Bastionen des demokratischen Gedankens in Deutschland, ein wenig an sich zu halten, was dergleichen Ausflüge in eine noch allzu gegenwärtige Vergangenheit betrifft. Möglich, daß wir mit besonderer Empfindlichkeit bestraft sind, aber ein Schauder flog uns an, als wir vernahmen, daß auf dem Parteitag der Sozialdemokraten zu Dortmund ein Antrag eingereicht wurde, der die Aufforderung enthielt, es möchten vom Parteivorstand Richtlinien für die Verleihung von Parteiabzeichen ausgearbeitet werden. Künftighin sollen die Mitglieder der SPD, je nach Länge der Dienstzeit, von einem einfachen, einem silbernen oder goldenen Plakettchen geschmückt sein.

Wie schön: binnen kurzer Zeit also werden wir im Eisenbahnabteil mit Hochgefühl zur Kenntnis nehmen, daß uns ein alter Kämpfer gegenübersitzt. Nun ist lange Mitgliedschaft in der SPD unter

Umständen eine sehr ehrenvolle Sache. Wir wollen das würdigen. Aber laßt doch das Goldene! Schenkt euren verdienten Parteifreunden irgend etwas anderes, recht Sinniges. Vielleicht eine Zimmertanne, an deren Wachstum symbolisch das Gedeihen des zarten Pflänzleins der deutschen Demokratie zu ersehen wäre. Oder sonst etwas. Es kommt nicht darauf an. Im übrigen: welch ein Glück, daß die CDU erst 1945 gegründet wurde!

Die Taschen-Nachtigall

Die Nachtigall wird immer knapper. Früher muß sie in allen Wäldern reichlich zur Verfügung gestanden haben, denn man kann kaum ein Liebesgedicht, Volks- oder Minnelied aufschlagen, ohne ihr zu begegnen. Von Walther von der Vogelweide bis zu Storm und Agnes Miegel schwirrt die Liebespoesie nur so von Nachtigallen! Es scheint, daß dem großen Angebot ein ebenso großer Bedarf entsprach, die Nachtigall war offensichtlich ein unentbehrliches Attribut des menschlichen Liebeslebens, keine Liebe ohne Nachtigall! Nun wird der Vogel immer knapper. Das macht aber weiter nichts. Wir bedürfen seiner nicht mehr! Tiotiotio sang er bei Aristophanes, denn auch die alten Griechen kannten ihn schon, tan- daradei bei Walther, das waren seine ganzen Künste, welch ein albernes und langweiliges Getön, immer dieselbe Platte seit Tausenden von Jahren! Zum Glück sind wir nicht mehr darauf angewiesen, unser Liebesieben nach dieseT veralteten Stimmungsmusik abzuwickeln, wir haben Besseres.

„Gestern lernte ich es kennen“, schreibt ein Mitarbeiter der „Badischen Zeitung": „Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, ich machte noch einen Spaziergang am Bach entlang. Da begegnet© mir ein Liebespaar. Das Liebespaar wandelte wie im Traum an mir vorüber. Aber was war das? Auf einmal Tanzmusik! Verwirrt sah ich um mich und an den Fassaden der nächsten Häuser empor. Alles war dunkel, die Bewohner unseres kleinen Städtchens schliefen. Endlich begriff ich: die Tanzmusik kam aus der Jackentasche des Verliebten! Dieser Mensch und Liebhaber war der Quell der Tanzmusik, er war im Besitz eines Taschenradios! Schon längst hatte ich mir gesagt, daß es einmal so weit kommen müsse, daß die einsamen Spaziergänger bei Radiomusik durch die Wälder schreiten würden. Ich war darauf gefaßt, aber die vollendete

Tatsache ist doch immer etwas anderes. Nun war es soweit. Eine neue Epoche in den menschlichen Liebesbeziehungen war angebrochen. Der Mensch hatte die Nachtigall in der Tasche, aber eine technisch fortgeschrittene Nachtigall mit gestopften Trompeten in der Brust und rhythmischem Tsch - tsch - tsch in der Kehle!

Des Stromes neue Hüter

In New York findet allwöchentlich eine Radiorätselsendung statt. Zum Schluß der halben Stunde kommt die Tausend-Dollar-

Frage. Die Frage ist nie ganz leicht. Letzte Woche examinierte der Ansager eine Frau Rechtsanwältin. Die Atmosphäre war spannungsgeladen (denn es ging um tausend Dollar!): Welches ist der größte Fluß Frankreichs? — Antwort: „Der

Rhein!" Das Publikum begann zu klatschen: es gönnte der Frau Rechtsanwältin den wohlverdienten Preis. Aber der Ansager winkte ab und korrigierte den kleinen Irrtum. Er mußte es ja wissen, denn — er hatte die richtige Antwort auf einem Zettel vorbereitet

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