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TN der Ausstellung „Das deutsche Buch" und im „Kreis des geistigen Lebens“ sprach und las S t e f a n A n d r e s; im Art-Club fand ein öffentliches Gespräch mit dem Träger des Rene-Schidcele-Preises, Hans Werner Richter, statt. Durch die Aufführung seines Schauspiels „Gottes Utopra" und durch den Abdruck seiner Erzählungen (unter anderem in unserer literarischen Beilage „Der Kry- stall") ist Stefan Andres kein Unbekannter in Wien. Hans Werner Richter ist als Initiator der „Gruppe 47" bekannt und hat eine Reihe junger österreichischer Schriftsteller unter der Führung Hans Weigels nach Hamburg zu einer Arbeitstagung eingeladen. Für alle die genannten Veranstaltungen zeigte das Wiener literarische Publikum ein 6ehr lebhaftes Interesse — und wir freuen uns darüber. Wir freuen uns auch deshalb, weil gerade auch die „Furche" zu einer Zeit, als dies noch nicht so selbstverständlich war, für einen Koniakt mit den positiven Repräsentanten des Geisteslebens aus der neuen deutschen Republik eingetreten ist.

trOR uns liegen die Bestimmungen für ein v künstlerisches Preisausschreiben der Stadt Kapfenberg, die im nächsten Jahre abermals ihre verdienstvollen und höchst nachahmungswürdigen „Tage österreichischer Kultur' abhalten und in ihrem Verlauf einen Entwurf für eine Jugendherberge, Kompositionen für Laienorchester und dramatische Dichtungen mit recht beträchtlichen Preisen auszeichnen will. So weit, so gut; jeder Vernünftige wird sich freuen, daß Kapfenberg weiterhin eine kulturelle Initiative beweist, deren sich größere Städte wahrhaftig nicht zu schämen brauchten. Was dem aufmerksamen Leser der Wettbewerbsbestimmungen jedoch keine reine Freude bereiten wird, sind zwei der gestellten Forderungen: Die Teilnehmer des Wettbewerbs für den Entwurf der Jugendherberge — nur Arbeitsgemeinschaften von je einem Bildhauer, Architekten und Maler sind teilhahmsberechtigt — müssen nachweisen, daß sie Mitglieder der „Berufsverednigung der bildenden Künstler“ sind; man wünschte sich, daß diese Bestimmung fallengelassen wird — ebenso wie jene andere, die bei literarischen Werken gleicher Qualität jenen den Vorzug geben will, „die sich auf die Gegenwart und das Leben der Werktätigen" beziehen. Dieser Wunsch mag verständlich sein, wenn man bedenkt, daß Kapfenberg nun ’ einmal eine Industriestadt ist, die ihre eigenen Sorgen und Probleme auch in der Dichtung gespiegelt wünscht — aber vom Standpunkt des Künstlers aus gesehen ist er unkünstlerisch genug ...

Die Salzburger Festspiele haben ein Nestroy-Stück im Programm, und das ist zweifellos sehr 6chön und gut. Weniger schön und weniger gut für die Aufführung ist, daß der Hauptdarsteller der „Träume von Schale und Kern“ — tatsächlich der beste Spieler von Nestroy-Rollen und fast der einzige seiner Kategorie — seine Mitwirkung jetzt schon abgesagt hat. Herr Meinrad hat nämlich Filmverpflichtungen. Und zwar — das ist des Pudels Kern in diesem kleinen Albtraum von der großen Schauspielermisere — beim „öster- reich“-Film. Auf diese Pointe aber, daß ein staatliches Kulturinstitut dem anderen staatlichen Kulturinstitut einen Schauspieler abspenstig machen kann, auf diese Pointe ist nicht einmal der große Satiriker gekommen. Wäre sie ihm eingefallen: dieses Stück hätte nicht in den Spielplan der Festspiele aufgenommen werden können.

WEI Konzerte des Londoner Philharmonia- Orchesters, die Herbert vonKarajanin Paris dirigierte, standen — nicht etwa unter der Schirmherrschaft einer britischen, österreichischen oder französischen Kulturbehörde, sondern unter der des Maharadscha von Mysore. — In Linz wird beim nächsten Karajan-Konzert — nicht etwa das Publikum nicht applaudieren, sondern eine in der Nähe des Konzertsaales vorbeifahrende Lokomotive nicht pfeifen dürfen. — Sensationen, Novitäten, denen wir freilich lieber in den Programmen des berühmten Dirigenten begegnen würden, der nun auch, das letzte zeitgenössische Werk, das in einem seiner beiden Musikkongreßkonzerte vorgesehen war, gestrichen hat.

CE LTS AME Kunde aus den letzten Tagen: Bei der Vorführung von Lehrfilmen in streng wissenschaftlich-exklusivem Milieu sollen bei besonders realistischen Stellen eines Farbfilms („Penicillin in der Praxis“) einige Teilnehmer — vorwiegend Medizinstudentinnen — von Übelkeit befallen worden sein; zwei von ihnen haben sich bei einem Ohnmachtsanfall sogar Verletzungen zugezogen. Kein Wort des Spottes gegen diese Elevinnen eines harten Berufes. Es ist eher aufrichtige Anteilnahme, wenn wir ihnen, aus der Praxis des Kunstkritikers, den Rat geben, sich an Hand des heutigen normalen Spielfilm- programms für ihren Beruf zu wappnen und zu härten. Mancher Kritiker mußte durch diese Schule gehen und erträgt heute gelassener, was ihn vor Jahren noch glatt umgeworfen hat ... Erst eine gewisse seelische Hornhaut macht uns berufstauglich.

griff also, der dem Testament gemäß überhaupt indiskutabel ist.

Die erforderlichen — 1945 noch —

300.0 Mark sind jedenfalls nicht aufzubringen. Für diesen Zweck nicht.

Mittlerweile verfällt das Haus weiter. Durch das besefaacjįigte Dach dringt Regen ein, beschädigt das Inventar, immer unter dem Motto der „Armut“. Durch die von den umliegenden Hügeln abfließenden Rieselgewässer wird das untere Stockwerk schwammig. Niemand rührt eine Hand. Noch nicht!

Eines Tages aber geht man ans Werk! — Plötzlich und temperamentvoll. Wo das Inventar geblieben ist, konnte nicht festgestellt werden. Und ich mache auch speziell darauf aufmerksam, daß der vorhergegangene Satz kein Mißtrauensvotum beinhaltet. — Man baut. Und zwar baut man — dem letzten Willen des Verstorbenen zum Hohn — das Jugendgästehaus der Stadt Wien, und glaubt wohl noch, damit pfiffig alle Klippen zu umschiffen. Es ist wirklich komisch! — Der Park ist der Öffentlichkeit zugänglich, das alte Haus wird „abgeräumt“. Beides ist voneinander durch ein Gitter getrennt. (Und das Testament?) — Punktum!

Wer nun in dęf Akademie das Bildchen vom ehemaligen Geymüllerschen Hause (dem Nachfolger wieder des allerersten Hauses) gesehen hat, weiß, daß Herr Max Schmidt das Gebäude arg verändert hatte. Vom kunsthistorischen Blickwinkel aus besehen, geriet einiges dazu, was keineswegs „stilecht“ genannt werden konnte. So ein monströses Wappen (das übrigens bei den Abbruch- arbeäten bedauerlicherweise einem gänzlich unschuldigen Arbeiter den Tod brachte), einige Reliefs und die erwähnte Freitreppe. (Die Reliefs behielt man aus unerfindlichen Gründen bei.) — Hier geht es aber keineswegs darum, einen — wenn man so will — liebenswürdigen Kitsch zu entschuldigen, sondern vielmehr anzuschauen, was — nun für einige Millionen Schilling — dagegen eingetauscht worden ist. Es ist jedenfalls sehenswert.

Das Grundstück war in siebenhundert Jahren seiner Geschichte den Wienern zu einem Begriff geworden, ein für die Verträumtheit Pötzleins d o r f s charakteristisches Stüde Boden, dessen Fehler, auch später hinzugefügte Fehler, man mit in Kauf genommen, ja lieben gelernt hatte. Das ist ja bekanntermaßen die schlechteste Liebe nicht. Nun aber kam, nach einem anscheinend systematisch provozierten Verfall, ein Architekt und kehrte ,— nach seinen eigenen Worten — die saubere Grundform hervor. Dem Leser wie auch dem Herrn Baumeister mag überlassen bleiben, sich vorzustellen, was aus manchem x-beliebigen um 1900 herum gebauten oder veränderten Haus werden könnte, wollte man mit technischer, unkünstlerischer Hand die „saubere Grundform“ zum Vorschein bringen ... Wie nun erst hier! Wo die Atmosphäre an all den Säulchen, Putten und Schnörkeln inmitten eines alten Parks haftete...

; Was heute am Rande des Pötzleins- dorfer Parks hinter einem Drahtzaün steht, ist ein Spital, eine Schule, die Post- direktiön einer Kleinstadt. — Es bleibt nun abzuwarten, wie sich das Bundesdenkmalamt dazu stellt, das unter der einen Bedingung einer baulichen Veränderung zustimmte, daß nämlich eine bessere Fassadenlösung gefunden würde.

Den Besuchern des Pötzleinsdorfer Parks sei es anheimgestellt, sich darüber selbst ein Urteil zu bilden.

Dieser „Fleck" aber ist nicht alles! — Unweit von ihm baut eine Bank auf einem etwa fünf Morgen großen Grund einen Wohnhauskomplex. Der herrliche Baumbestand des Grundstücks hat selbstverständlich dran glauben müssen. Den Worten eines sehr hohen Gemeindefunktionärs zufolge sollen dort Arbeiter und Angestellte Wohnung finden, und wer sich dagegen ausspreche, müsse als exklusiv in sozialer Hinsicht eingeschätzt werden ... Diese Drehung der Sache ins Rhetorische jedoch ist keinesfalls exklusiv sondern so offen zynisch wie überhaupt nur möglich.

Vom eigentlichen Thema wird rasch abgelenkt; das aber heißt nicht „Asoziale Einstellung der Pötzleinsdorfer Bürger“, sondern: Durfte der Charakter eines der liebenswürdigsten Vororte der Stadt Wien unter scheinbarer Einhaltung aller Dienstwege und Bestimmungen einer rein spekulativen Erwägung geopfert werden?! — Denn zum Schein aufge lockerte, in Wahrheit eng aneigander- gestellte Wohnhausblocks, die nach den Worten einer baumeisterjichen Autorität wie die Kiįhe auf der Weide herumstehen, können nur so kategorisiert werden: Rücksichtslosigkeit des Geldes gegenüber der Armut (upd die Kultur ist heutzutage sehr arm), Faustreefat des Machthabers gegenüber dem Geiste.

Freilich — an den vollzogenen Tat Sachen kann diese Betrachtung nichts mehr ändern; es sei denn, das umgebautę

Schmidt-Haus fiele dem ausdrücklichen Wunsche des Verstorbenen gemäß dem Stift Klosterneuburg zu. Das aber ist wohl zu bezweifeln! Und selbst dann ... Wer brächte das Geld für einen glücklicheren Umbau auf?! — Nein, nein, man hpt sehr gut gerechnet. Es wird nichts geschehen. Nichts.

Nur dies vielleicht: daß die Öffentlichkeit ermuntert werde, nicht immer nur stillschweigend den Kopf hipzuhalten, wenn die Ohrfeigen fliegeö.

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