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Das Licht der Welt

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Geschichte eines Versuches, als Dichter zu leben. Von Felix Braun. — Wien: Herler 1949. Thomas-Morus-Presse. 752 Seiten.

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Geschichte eines Versuches, als Dichter zu leben. Von Felix Braun. — Wien: Herler 1949. Thomas-Morus-Presse. 752 Seiten.

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Auf dem Buchmarkt liegt nun, nach Stefan Zweigs Erinnerungen „Die Welt von geltem", das Lebensbuch eines zweiten lite- arischen Vertreters des „Jungen Wien" auf: ’elix Brauns melancholisches „Licht der „Veit". Von der Thomas-Morus-Presse in .ehr sorgfältiges Gewand gekleidet, atmet lieses Buch Seite für Seite die Lebensluft siner vergangenen Epoche, vergangener Begebnisse, vergangener Dichter. Aber Braun srzählt dies nicht als etwas absolut Vergan- jenes, als etwas zu ihm und von ihm Distan- :iertes, nein; mild blühende, in pastosen rerbstlichen Farben erglänzende Gegenwart st auf jeder Seite ausgebreitet. Zunächst das vlilieu: Der Dichter bescheinigt seine Herkunft aus einer jüdischen Familie, deren Liberalismus erst die persönliche Entwick- ung und Erkenntnis des Dichters in christ- iche Gleise hinüberführt. Die Jugenderleb- lisse des jungen Wieners und — fast möchte nan sagen — typischen jugendlichen Intel- ektuellen der Jahrhundertwende verlaufen vie die jedes Angehörigen dieser Schichten :u jener Zeit. Stefan Zweigs entsprechende Abschnitte können zum Vergleich herange- :ogen werden. Das Typisierende der Erleb- lisse und der Vorfälle des äußeren Lebens vird vor allem in der Schilderung des litera- ischen Milieus der Zeit offenbar. Der besondere Charakter dieses Milieus ist der der sweiten Generation des „Jungen Wien", des- :en erste Generation Hofmannsthal, Bahr, leer-Hoffmann und Schnitzler vertreten. Mit Ausnahme Hofmannsthals, dem Braun einmal n ehrfürchtigem Abstand gegenübersitzt, vird von keinerlei persönlicher Berührung nit diesen Dichtern berichtet. Die litera- ischen Führer der zweiten Generation sind vfax Mell, Stefan Zweig und F. K. Ginzkey, lenen sich noch Felix Salten, Max Fleischer, lenno Geiger und Camillo Hoffmann zuge- ellen. Wer an literar-historischen Gruppie- ungen interessiert ist, mag sich an dieser Jnterscheidung der Geister in Brauns Buch klarer als sonstwo orientieren. Der mannigfachen Annäherungen und Entfernungen des Verfassers an diesen Kreis wird wiederholt lusführlich gedacht. Viel mehr als Bücher sind es Menschen der Literatur, die im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die neist schwierigen persönlichen Beziehungen tu den genannten literarischen Zeitgenossen, so besonders zu Max Mell, sind mit hoher

Das getreue Eheweib. Von Sigrid Und- s e t. Wiener Volksbuchverlag.

Die Kunst Sigrid Undsets umspannt und überbrückt weite Räume. Auf der einen Seite das farbenvolle, stark bewegte, fast leidenschaftlich beschwingte Zeitgemälde der „Lavranstochter“, auf der anderen Seite etwa diese realistische Erzählung aus dem norwegischen Alltag der Gegenwart, die den Leser, der das Buch mit dem Gedanken an die „andere Undset“ aufschlägt, zuerst überrascht, fast befremdet. — Es ist die Geschichte einer nicht unglücklichen, aber ermüdeten Ehe, die der Mann auf der Sudie nach Traum und Glück verläßt, ohne doch von einer wirklich großen Leidenschaft fortgerissen zu sein. Das Leben neben der starken, lebenstüchtigen, sicheren Frau bedrückt ihn, der kindlich-emotionelle Charakter des jungen Mädchens, dem er sich zuwendet, befreit den unsteten und unsicheren Mann. Er gehört einfach irgendwie der „anderen", die von ihm ein Kind erwartet. In den Szenen, in denen sich die Eheleute trennen — der Mann nicht ohne ein wehmütiges Bedauern, die Frau voll starkem und stets vernunftverhaltenem Schmerz , findet man die große Kunst der Undset wieder. Sehr schön, befreit und befreiend, natürlich und voll empfunden ist der Ausklang, in dem die Eheleute sich wiederfinden und das Kind der im Wochenbett .verstorbenen „Geliebten" — man scheut sich fast, einen so vollen Ausdruck zu gebrauchen — an der Ehefrau eine zweite Mutter findet. Diese Ehe, so fühlt man, wird nun keinen Anfechtungen mehr unterliegen, beide Teile sind gereift und geprüft. Versöhnung — wie man zu fühlen glaubt, auch in der Seele der Dichterin, deren eigenes schweres Eheerlebnis man irgendwo durchzuspüren scheint.

Die Gefoppten. Ein fröhliches Buch von Abenteuern und seltsamen Käuzen. Von Hans Jüllig. Randzeichnungen von Hilda Hübel. Olbios-Verlag, Wien.

Die groteske Geschichte vom Geltungskampf zweier New-Yorker Warenhäuser, welche, um der geschäftlichen Flaute zu entgehen, eine bizarre Forschungsexpedition einiger halbverrückter Mitteleuropäer ins tropische Innere Kolumbiens ausrüsten, sie einander ablisten und die „Erlebnisse" der schrulligen Karawane für ihre Sensationsbedürfnisse filmen lassen. Ein toller Kranz von Wildwestabenteuern und Münchhausiaden mit Helden jeder

Delikatesse behandelt. So ist Brauns Werk ein Buch vom alten Wien, stellenweise fast nach Lavendel duftend, stellenweise wie von innerer Musik getragen, zu deren Kunst sich der Dichter ausdrücklich auch in der Poesie bekennt. Mag das Zeitbild nicht sehr breit geraten sein, so erfreuen doch einzelne wirklich lebensvolle Momentaufnahme, wie zum Beispiel der fast komisch erzürnte Ferdinand von Saar oder der junge Rilke, der nach einer Vorlesung aus seinem Rodin-Buch von dem verdutzten Publikum unbedingt zu erfahren begehrt, ob es nun wisse, wer Rodin sei.

Neben dem Vordergrund des Milieus, dessen zeitliche Grenze noch vor dem ersten Weltkrieg den Abschluß der Darstellungen erreicht, tritt der bedeutsamere Hintergrund der Konfession des Dichters. Mögen die Confessiones des Augustinus vielleicht dem Verfasser Vorbild gewesen sein, das Buch ist, ob nun ein Vorbild vorliegt oder nicht, erfüllt von der Selbstbezichtigung, sich dem Leben entzogen zu haben. Braun sieht sein seelisches Schicksal durch das Sternbild des Skorpions determiniert, dessen „Stachel in der Seele' ja den Gegenstand eines 1947 erschienenen Buches des gleichen Dichters bildet. So verschieden die wiederkehrenden Formulierungen dieses Gefühles sind, so treten doch zwei Aussageweisen für ein und dieselbe fühlungslose Lebensferne immer wieder auf. Die eine These bekennt sich dazu, von Gott zu einem Zölibatär des Lebens verurteilt zu sein, nicht so leben zu dürfen, wie andere Menschen leben. Die andere These klingt in die Beschuldigung aus, dem Leben entflohen, Flüchtling überall dort gewesen zu sein, wo Traum Wirklichkeit werden sollte. Wer vermag zu entscheiden, was an so harten Klagen persönliches Teil und was Generationserlebnis zu nennen ist? Schlagen nicht Ibsens „Wenn wir Toten erwachen", Th. Manns „Tonio Kröger" oder Hofmannsthal „

Am Schlüsse fallen Nebel ein: Wolken hängen über der zur Fremde gewordenen Heimatstadt „und mit den Nebeln des Bodens bereiteten sie mir jene Verwandlung, in der die Puppe nicht stark und der Falter mit einem Flügel nur ausflog.“

Art, mit Marktschreiern, betrogenen Betrügern, gejagten Glücksjägern, echten und gestellten „Wilden“. Es ist alles beisammen: Liebe und Gefahr im Urwald, Goldschatzsuche, eine Geisterburg, ein Vulkanausbruch, das Happy-end, kurzum, das ganze Zubehör. Ein feiner Scherz, amüsant geschrieben von einem erfahrenen Mixer auf diesem (dem Groteskfilm verwandten) Gebiet des Buchschaffens, das sich vom Publichumserfolg her versteht und seine Berechtigung seit eh und je von dem Vergnügen ableitet, das es seinen, zumeist jugendlichen Lesern bereitet.

Antigone — Medea — Das Weib Jesebel — Romeo und Jeanette. Von Jean Anouilh. Abendländische Verlagsanstalt, Freiburg- München-Innsbruck.

Der Name Jean Anouilh wird oft mit dem Jean P. Sartres in einem Atemzug genannt. Beide gelten als literarische Exponenten der modernen und mondänen Existentialphilosophie französischer Prägung. Das ist ein Irrtum, zumindest eine Flüchtigkeit. Das Vorwort zu der vorliegenden Auswahl Anouilh- scher Tragödien zieht den schon lange fälligen Trennungsstrich zwischen der Ideenwelt beider Franzosen. Eines kommt aber noch hinzu. J. P. Sartre verficht seine Thesen und Spekulationen unter anderem auch von der Bühne herab. Anouilh hingegen ist ein Mann des Theaters, er ist Dramatiker, mehr noch: ein Dichter. Mit welcher Zurückhaltung gegenüber seiner Ideenwelt man sich dem Werk Anouilhs nähern mag und wohl auch muß, dem Dichter Anouilh darf die gebührende Anerkennung nicht versagt werden.

„Vier Stücke von einst und letzt" liegen vor. Antike Tragödien dem Namen nach, in ihrer Problematik aber reife, überreife Früchte des 20. Jahrhunderts. Eine Welt ohne Gott, eine gottverlassene Welt schreit aus ihnen. „Creator" Mensch steht in einer unhaltbaren Defensive gegen seine Geschöpfe, gegen Familie, Gesellschaft, Staat. Es ist ein ungleicher Kampf. Unwiderruflich ist er dazu verurteilt, zu unterliegen. Will er aber sein Menschentum retten, mag er nicht flach und seicht werden, so gibt es nur einen Ausweg: die Flucht durch den „Notausgang", den Freitod. Sehnsucht, sehr viel Sehnsucht spricht aus vielen herben Worten. Sehnsucht nach echtem Glück, wahrer Liebe und wirklicher Erlösung. Anouilh will den Teufelskreis, in dem die Menschen der Gegenwart hineingeraten sind, sprengen. Er tastet aber —

vielleicht darf man sagen noch — in der Dunkelheit. Er zeigt einen Ausweg, der keiner ist.

Caruso in Sorrent. Roman. Von Frank Thieß. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien.

Es fällt uns schwer, zu glauben, daß der berühmte baltische Dichter Frank Thieß, der Verfasser erregender historischer Romane und hellsichtiger Zeitdeutungen, unter die Unterhaltungsschriftsteller gegangen ist. Freilich wäre es ihm auf diesem Gebiet möglich, im deutschsprachigen Raum einen der ersten Plätze zu behaupten. Aber wir erwarten mehr von ihm als einen „gepflegten Gesellschaftsroman“ und seitenlange Konversation, bei der „bedeutende Gegenstände mit der Fliegenklappe der allgemeinen Meinung totgeschlagen und persönliche Nichtigkeiten mit unverständlichen Gewichten behängt werden". Das Sujet des neuen Romans scheint auf den ersten Blick raffiniert gut gewählt — und erweist sich schließlich doch als unergiebig, weil die Hauptperson nicht ganz zu fesseln vermag; Caruso, auf der Höhe seines Ruhmes in Amerika gefährlich erkrankt, hat sich in die Nähe seiner Heimatstadt zurückgezogen und wartet hier auf seine Genesung, die er bis zum Beginn der Wintersaison an der Metropolitan erhofft. Ein kleiner Hofstaat um Caruso bildet den engeren Kreis, einen weiteren bevölkern alle an seiner Genesung persönlich oder finanziell Interessierten, und schließlich nimmt ganz Sorrent mit Neapel und Umgebung am Schicksal des großen Sohnes teil. Wer ein Musikbuch erwartet, wird enttäuscht, denn Caruso hat ausgesungen, und auch die Stellen, die Reminiszenzen an die Kunst des großen Sängers bringen, sind nicht sehr suggestiv geraten. (Dabei ist Thieß einer der wenigen Autoren, die nicht nur fachkundig, sondern auch eindrucksvoll, ja faszinierend über Musik schreiben können. Seine Puccini-Studie war uns ein Beweis dafür.) So bleiben also: ein buntverschlungenes Intri- guenspiel und eine Fülle von makabren Typen, unter denen die des Grafen Löwenbrink wegen der Ähnlichkeit mit dem Grafen

Hermann Keyserling, den der Autor gut gekannt zu haben scheint, am meisten fesselt. Auch Axel Munthe, der Herr von San Michele, taucht auf, und am Rande geistert die Gestalt von James Joyce vorüber... Diese wenigen, mit scharfem Griffel nach dem Leben gezeichneten Figuren erregen im Leser den Wunsch nach einem Zeit- und Schlüsselroman, für den Thieß wesentliche Voraussetzungen mitbrächte.

Das Wiener Opernhaus 1869 bis 1945. Von Dr. Wilhelm Beetz. Panorama-Verlag, Wien.

In diesem Werk gibt der Autor neben der Baugeschichte des Opernhauses an der Hand eines umfangreichen Aktenmaterials eine genaue Übersicht der Leistungen der seit 1869 tätigen Künstler. Die lange Liste der Gäste, die es sich zur Ehre rechneten, im Wiener Opernhaus aufzutreten, spricht für das Ansehen, welches es in aller Welt genoß. Was aber der Theaterleitung zur besonderen Ehre gereicht, ist, daß nicht nur das klassische Repertoire gepflegt wurde, sondern stets auch die hauptsächlichen Neuheiten aller Länder, selbst in den sorgenreichen Jahren nach 1914 mit der gleichen Sorgfalt und Künstlerschaft zur Aufführung gelangten und das ständige Repertoire das reichhaltigste aller Opernbühnen war. 80 sorgfältig ausgewählte Tafeln gestalten den Band zu einem Standardwerk der Opern- und Musikliteratur, für das wir dem Autor zu großem Dank, auch, für den Ruf Wiens als führende Musikstadt, verpflichtet sind.

Gesetz im Grenzenlosen. Goethes naturwissenschaftliche Schriften. Ausgewählt von P. R. Hofstätte r. Leykam-Verlag, Graz- Wien. 290 Seiten.

Für den ebenso mutigen wie schwierigen Versuch, durch eine Auswahl aus Goethes naturwissenschaftlichen Schriften diese heute so oft vernachlässigte, ja sogar unbekannte und doch so große Liebe dieses großen Geistes dem heutigen Menschen nahezubringen, kann man dem Herausgeber nicht genug dankbar sein. Goethe, der sich selbst als Naturforscher viel höher einschätzte denn als Dichter, war im Geiste seiner Zeit Naturphilosoph. Was dies im besten Sinne heißt, zeigt Hofstätters feine Auswahl, wenn diese auch — das soll kein Vorwurf sein — dem modernen naturwissenschaftlichen Denken stellenweise etwas entgegenkommt. Dieses schön ausgestattete Buch ist wohl eines der wertvollsten und liebevollsten Geschenke des Goethe-Jahres.

Herbarium des Georg Oellinger Anno 1553 zu Nürnberg. 51 Originalaufnahmen und kurze Einführung. Eberhard Lutze, Hans Retz- laff. Akademischer Gemeinschaftsverlag Salzburg.

In der Vorrede zu der alten, reichbebilderten Handschrift wurden „Vile fürtreffliche Conterfeyten großer Theile des Pflantzen- reichs (von dem in selbiger Kunst weit be- rümbten Herrn Apoteker), Kaufmann und Bürger zu Nürnberg, Georg Oellinger, mit erstaunlicher Deutlichkeit der Ausmahlung und mit großen Kosten in dießem Buch zusammen getragen", angekündigt. In einem kleinen Band liegen liebevoll ausgewählte Proben dieser Pflanzendarstellungen vor uns, aus denen die feine Naturbeobachtung und die künstlerische Ausdrucksfähigkeit des humanistischen Gelehrten Oellinger spricht.

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