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Fatum oder Schuld?

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Der Maler Richard Seewald ist, wie dieser Roman erweist, auch ein bedeutender Schriftsteller, dem, wie er selbst sagt, „die Schriftstellerei die Trösterin der Malerei“ geworden ist. Denn schreibend gelang es ihm, die Dimension der Zeit in sein Werk einzufügen. Und noch ein anderes Moment macht ihm das Schreiben zur Notwendigkeit. Er. wendet sich gegen die Auffassung, daß uns eine naive Weltbetrachtung erlaubt sei. „Wir haben durch die bittere Reflexion zu gehen, um — vielleicht — am anderen Ende als eine neue Art Naive herauszukommen. Da mit dem Pinsel sich nicht reflektieren läßt, versuchte ich es mit der Feder, und da ich kein Philosoph bin, blieb mir nichts anderes übrig, als — nicht durch bloße Aufzählung, sondern durch .richtige' Zusammenstellung der angeschauten Phänomene Situationen zu schaffen, aus denen die hinter den Phänomenen verborgenen metaphysischen Wahrheiten hervorleuchten, die nach dem lahre Eins nichts sind als die christliche Wahrheit...“

In diesen Worten liegt auch der Schlüssel zu dem hier vorliegenden Roman: der Geschichte eines Mannes, der sein Leben lang die Wirklichkeit verfehlt, nur in seinen Phantasien und Träumen lebt, bis ihm im Tod zum erstenmal die echte Realität begegnet. Mit der makabren, kraftvoll gestalteten Todesszene beginnt das Buch. Und rückblendend erzählt ein Freund die Geschichte des Helden einem zufälligen Zeugen, dem Arzt, der herbeigerufen wird, als die Katastrophe eingetreten ist. Der Freund sieht das Leben des Toussaint Kuh — so heißt der unglückliche Held — als ein unaufhaltsam ablaufendes Fatum — Spielball zwischen unerbittlichem Schicksal und verfluchtem Erbe von Vater und Mutter war es für ihn — und er vergleicht alles menschliche Sein überhaupt den rollenden Billardkugeln, die ihren vorbestimmten Weg nehmen.

Der Arzt aber bringt den Blickpunkt des „nach dem Jahre Eins“ geborenen Betrachters in die Debatte, die christlichen Begriffe von Schuld und Sünde, von persönlicher Entscheidung und Mitverantwortung des Menschen; und er sieht die Schuld des Helden vor allem in seiner Scheu, er selbst zu sein. „Um die Realität geht es. Ihrem Freund gelang es nicht, umhertaumelnd im Reich der Möglichkeiten, zu ihr zu gelangen. Die einzige reale Existenz, in die er augenscheinlich in seinem Leben geriet, war die des Todes. Ein anderer hatte diese Idee für ihn. Er stieß ihn in sie hinein, weil er nicht wollte, daß diese arme Seele ganz verloren ginge... Denn ich bin sicher, daß Ihr Freund den einzigen Ausweg gesucht hat, der ihm seiner Meinung nach geblieben war: den Selbstmord. Ein .Unglücksfall' kam ihm zuvor, ein Zufall. Gott bedient sich häufig des Zufalls als Jagdhund.“

Die angeführten Zitate könnten den Eindruck erwecken, als werde in dem Buch allzuviel reflektiert. Psychologische und weltanschauliche Betrachtungen nehmen zwar einen breiten Raum ein; aber es gibt daneben hinreißende atmosphärische und landschaftliche Schilderungen und eine Verdichtung des Traumreiches, in dem der Held lebt, die geradezu verzaubernd wirkt. Ein außerordentliches Buch also, das uns die vom Hegner-Verlag angekündigte neue Schrift des Autors „Verwandlung der Tiere“ mit Spannung erwarten läßt. Uebrigens ist gleichzeitig auch eine Neuauflage von Seewalds Buch „Giotto, eine Apologie des Klassischen“ erschienen.

Schmerz vor Tag. Ein Gedichtzyklus von Theodor Sapper. U0 Seiten. Margarete-Friedrich-Rohrer-Verlag, Wien-Innsbruck-Wiesbaden. Preis 35 S.

Da lebt in Wien ein • Mann, von dem jedermann weiß, daß er ein Dichter ist: Theodor Sapper. Er lebt so, wie uns das Bild des Dichters aus Legenden vorschwebt: arm, zurückgezogen, ernst, liebenswert; er sieht aus wie ein Dichter, er hat viel geschrieben, von dem nur wenig gedruckt wurde. Einmal, kurz nach dem Krieg, eine nun schon sagenhafte Novelle. „Das Kornfeld“, und nun einen Zyklus Gedichte, „Schmerz vor Tag“. Das andere: verstreut'in Zeitschriften oder noch wohlbehütet in der Schublade.

Was er schreibt, sind nicht gängige Sachen, nicht jedermann kann mit ihnen etwas anfangen. Sapper versucht, ein transparentes Zeitgemälde zu geben. Die einzelnen Abschnitte des Bandes heißen: „Vom Sänger und vom Gerechten“, „Vom fernen Klang“, „Vom trügerischen Welt.enfrühling des Jahres 1945“, „Vom Ueberwindergeist in den Widerstandskämpfen“, „Vom innersten Atomgitter“, und geben eine Ahnung dessen, um was es Sapper ging und wie er sich ausdrückt.

Es ist zu begrüßen, daß das Schaffen Theodor Sappers durch die Herausgabe dieses Bandes neue Ermunterung erfahren hat. Es wäre schön, würden auch neue Prosaarbeiten von ihm im Druck erscheinen!

Die literarische Welt. Erinnerungen von Willy Haas. Paul-List-Verlag, München. 315 Seiten. Preis 15.80 DM.

Den Literaturkundigen ist Willy Haas kein Fremder, war er doch von 1925 bis 1933 Herausgeber der „Literarischen Welt“, einer sehr verbreiteten, wenn auch vielfach befehdeten Wochenschrift. Ein solcher Mann hat vieles zu erzählen, und man hört ihm gerne zu, wenn er von seinen Erlebnissen berichtet. 1891 in Prag als Sohn eines Rechtsanwalts geboren, war Haas schon als Student mit Menschen in freundschaftlicher Verbindung, die in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Er studierte an der Prager Karls-Universität und kam durch Vermittlung seines Freundes Werfel zum Kurt-Wolff-Verlag in Leipzig. In Berlin arbeitete er bei der Zeitschrift „Filmkurier“ als Kritiker, kam mit Filmproduzenten in Kontakt und schrieb eine Reihe von Drehbüchern. Damals ging Greta Garbos Stern auf, und Haas prophezeite der jungen Schauspielerin, sie werde der „größte Filmstar der Welt“ werden. Auf Initiative Ernst Rowohlts entstand 1925 die „Literarische Welt“, und Haas wurde mit der anfangs für ihn recht schwierigen Leitung betraut. Als der Nationalsozialismus zur Macht kam, mußte er die Zeitschrift verkaufen, ging nach Prag und wanderte nach dem Einmarsch der Deutschen nach Indien aus. Dort war er jahrelang als Filmautor für indische Filmproduzenten tätig. 1947 kehrte er nach Europa zurück und wurde Mitarbeiter der Hamburger Tageszeitung „Die Welt“.

Haas erzählt nicht streng chronologisch, er greift in seinem Bericht zeitlich manchmal vor oder schaltet Rückblenden ein, er schweift ab und unterbricht häufig die Darstellung durch Reflexionen. Viele Prominente hat er persönlich gut gekannt, und so weiß er viele bezeichnende ernste oder heitere Episoden von ihnen zu erzählen. Da sind vor allem die Freunde aus der Prager Zeit: Werfel, Kafka, Milena Jesenska (Kafkas Freundin) und Ernst Deutsch; da sind Alfred Kerr, Karl Kraus — den er zwar als bedeutenden Satiriker anerkennt, aber als pathologischen Charakter bezeichnet —, ferner Hofmannsthal, Max Reinhardt, Bert Brecht, Walter Hasenclever, Karel Capek, E. R. Curtius, Gerhart Hauptmann und noch viele andere Persönlichkeiten aus der Welt der Literatur, des Theaters und des Films. Ueber Kafka sagt Haas, man könne ihn und sein Werk nur aus der besonderen Atmosphäre Prags verstehen.

Manche Urteile, besonders über das alte Oesterreich, sind wohl anfechtbar, aber es ist doch ein lesenswertes Buch, ein Stück erlebte Literaturgeschichte, sehr lebendig, ohne Pathos und Schönfärberei in eigener Sache geschrieben. Ein „Anhang“ bietet einige interessante Schilderungen der indischen Kultur.

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