6592304-1952_34_07.jpg
Digital In Arbeit

VON NEUEN BÜCHERN

19451960198020002020

Der Wendepunkt. Ein Lebenshericht. Von Klaus Mann. S.-Fischer-Verlag. SSI Seiten

19451960198020002020

Der Wendepunkt. Ein Lebenshericht. Von Klaus Mann. S.-Fischer-Verlag. SSI Seiten

Werbung
Werbung
Werbung

In eiper Tagebuęheintragųng vom 10. August 1941 heißt es: „Ich bin müde aller literarischen Klischees und Tricks. Ięį bip milde aller Maß- ken, aller Verstellungskünste. Ist es die Kunst selbst, derer ich müde bin? Ich will nicht mehr lügen, ith will nicht mehr spielen. Ich will b.ekeuüen. — Die ernste Stunde — das ist che Stunde' der Konfession." Und dann am nächsten Tpg fragt sich der Schreibende, oh das, was, er da unter dem Einfluß einer Depression und der betäubenden New-Yqrker Hitze Ungeschrieben hatte, noch gültig 6ei, und „nüchtere“ ügt er hinzu: „Jedes ehrliche, genaue Zeugnis Zählt und hat Gewicht. Warum sollte meines wertlos sein? Was für eine Geschichte ist es denn, die ich ZU erzählen habe? Die Geschichte eine Intellektuellen zwischen zwei Weltkriegen, eine Manges also, der die entscheidenden Lebensjahre in einem sozialen Und geistigen Yakuum verhringen mußte: innig -Į- aber erfolglos — darum bemüht, den Anschluß üh irgendeine Gerneinscßaft zu finden, sich irgendeiner Ordnung einzufügep: immer schweifend, immer ruhelos, beunruhigt, Umgetrįeben. immer anf der Suche ...“

Die Zeit, aus der diese Aufzeichnung Stammt, Ist die aufgewühlteste im Leben von Klaus Mann. Der leidenschaftliche Pazifist entschließt sich, akfiv am Krieg gegen Hitler tedzunehraen. Nun wartet er auf 6eine Einberufung. Inzwischen bereitet er die Herausgabe der ąktivistisęh-literarischen Zeitschrift ; „Decisipn"-„Die Entscheidung“ vor (so hieß der endgültige Titel, nachdem „SolL- darity“ und „Zero Hour“ verworfen waren). Hier finden 6ich auch die einzigen Theologica, Meditationen über das Sprachproblem und über die vielen Selbstmorde im Verwandten- gnd Bekanntenkreis: Hier war vielleicht ein „Turning Point“. Aber der Schicksalsweg des JSjährjgen war/ nicht mehr afilzußalten. — Was er in eigen letzten Jahren sah, war 60, daß df Gefühl des Taedium vitae und der ,Todeswunsch“, der sich frühzeitig meldete, immer mehr verstärkt wurden und ihn schließlich zgm Selbstmord trieben. So erhält dieser Lebensbericht, der zuerst 1942 in englischer Sprache erschienen ist und kurz vor seinem Ende vom Verfasser übersetzt, erweitert und fortgetührt wurde, die Bedeutung eines letzten Wortes.

Da allerletzte Wort Klaus Mann6, das uns mitgeteilt wird, ist ein langer Brief an einen jungen Deutschen: „Ich prophezeie, daß wir um 1965 eine Welt haben werden, die 6ehr viel schlechter 6eig wird als die heutige — Oder entschieden besser. E6 gibt ngr noęh die universale Ordnung oder das universale Chaos, nichts dazwischen. Das Entweder-Oder, zų dem Kierkegaard uns auf religiöser Ebene Verpflichtet — nun konfrontiert es uns auch in de? politisch-epzialen Sphäre ... Bewährt ich unsere Generation, so hätten wir noch lange nicht das Paradies auf Erden. Aber der historische Prozeß dürfte weitergehen, mit neuen Krisen, neuen Wendepunkten... Ruhe gihf e nicht, bis zum Schluß. Und dann? Auch am Schluß steht noch ein Fragezeichen.“

Dies Fragezeichen steht auch über dem ganzen Leben von Klaus Mann und über vielen einzelnen seiner Phasen und Aspekten. Mit Ausnahme des Politischen. Denn Klaus Mann war — etwa 6eit seinem 17. Lebensjahr — nicht nur ein überaus betriebsamer und fleißiger Literat, sondern vor allem ein politisch denkender Mensch, der sich in bezug auf die Entwicklung Deutschlands und das Schicksal Europas keinen Illusionen hingegeben hat. Der aggresive Ton, den er und seine Schwester Erika in der „Pfeffermühle' zu diesem Thema angeschlagen haben, mag manchen damals ßchrill in die Ohren geklungen haben. Aber bald darauf wurde all das Wirklichkeit, wogegen sich ihre beißende Satire richtete .— Vielleicht ist es nützlich, unter diesem Gesichtspunkt das verwirrende Mosaik dieses Lebensberichts zu betrachten...

Da ist zunächst das kinderreiche Elternhaus in Mßnchen: der berühmte Vater, genannt der „Zauherer“, schwierig, immer in seine Arbeit versponnen und mit zerstreuter Aufmerksamkeit und hochgezogenen Brauen das Treiben um ihn her beobachtend, das von der unermüdlichen, allesumsorgenden Mutter, mit Humolr gelenkt wird. (Beide werden als die „Greise bezeichnet.) Uber ihnen thronen die Eltern der Frau, die beiden „zähen Alten“, die Pringsheims, genannt die Urgreise. Dem unzertrennlichen Geschwisterpaar Klaus und Erika, diesen beiden „schrecklichen Dichter- Kindern“, die die Welt zwischen Prag und Ne,w York unsicher machten, folgen die beiden „Kleinen“: der Historiker Gola und Monika, an difi 6ich bald die beiden „Winzigen“ an- schlieįen: Michael, der. bekannte Bratschist, und Elisabeth. Innerhalb und außerhalb des Elternhauses lebte man in größter Freiheit, in jeder Hinsicht („Wir konnten nicht von einer sittlichen Norm abweichen; es gab keine!“ fest6te))ungen dieser Ąrt liebt Klaus M nn zu gęnęralįę.ięjen und für seine ganze Generation zu treffen- Hieriü irftę er). Kaum der Schule entwachsen, tritt Klaus Mann ins lite rarische Leben, schreibend, reisend, berichtend, vortragend. Mit Erika unternimmt er 1927/28 üher New York, Japan und Rußand Jie berühmt gewordene abenteuerliche Weltreise. Vorher und nachher macht er Bekanntschaft oder schließt Freundschaft mit allem, was damals im liberalen Lager Europas im Kulturleben tätig war oder die Feder fühlte. (Die Namen der in dem Buch erwähnten Personen füllen vierzehn Registerspalten!) Die beiden ind überall dabei; im Prag Benesęh , in Moskau, in Spanien während de Bürgerkrieges, bei der Europahewegung- Dann verdüstert sich der Horizont. Hitler kommt au die Macht, den er kurz vorher — Unmengen von Erdbeertörtchen essend — in der Cąrltpn-Tee- stube in München gesehen hat. Die ganze Familie Mann wird ausgehürgert; aber mau erträgt es mit Fassung. Noch ist nichts verloren, üherall trifft man Bekannte in Europa, kann sich mit Seinesgleichen zusammensefzem „Welch geselliges Exil! Welch animierte Verbannung!“ Das Resultat dieses ersten Zusammenschlusses ist die Emigrantenzeitschrift „Die Sammlung“, die Klaus Mann in dem von Fritz Landshoff gegründeten Querido-Verlag in Amsterdam fierausgiht. Nach Deutschland kann man nicht mehr, aber vorläufig noch nach Österreich, vor allem nach Salzburg. Nach Wien zieht es ihn nicht, fienn „das reaktionär-klerikale Schuschnigg-Regime hatte keinerlei Sympathie für antifaschistische Kleinkunstbühnen, übrigens auch nicht für antifaschistische Zeitschriften: Meine .Sammlung’ war im ultramontanen Österreich ebenso unerwünscht wie Erikas .Peffermühle’ “. (Hier irrte der Autor: Es gab damals in Wien eine ganze Reihe „antifaschistischer Kleinkunstbühnen“, rmd „Die Sammlung“ kaufte der Verfasser dieses Referats Heft für Heft in einer bekannten Wiener Ringbuchhandlung.) Erst nach der Befreiung, als Klaus Mann mit den Amerikanern auf dem Weg nach München über Innsbruck und Salzburg kommt,

muß er ein Urteil revidieren. Inmitten der ärgsten Nachkriegsverwirrung amtiert — als provisorischer Chef einer provisorischen Verwaltungsbehörde— in Innsbruck ein gewisser Dr. Karl Gruher mit humorvoller Gelassenheit und ruhiger Autorität. Da staunte Klaus Mann! („Er gefällt mir, dieser Mann Gruher. Man sollte gar nicht denken, daß er zur katholisch-konservativen Partei gehört- Sęhen die Klerikalen peuerding so aus, von sehnig hohęm Wuchs VW(f hraungebranpter Miene, sportlich, lustfg, zugleich verwegen upd zivilisiert? Das wäre eine angenehme Novität!“) Solche „Novitäten“ hat sich Klaus Mann während seines Wiedersehens mft der aUeg Heimat leijer oft entgehen lassen- Und was er zuerst sah, W4T in der Tat wenig erfreulich: das zerstörte Elternhaus in Mųndrep, in (fern zuletzt ein „Lebenshorn“ untergebracht war; efep gefppgepep Hermann Gering; schließlich die Wiederhegegnung mit „alten Freunden“ Wie Emil Jangings gnd Richard Strauß. (Diese Seitep gehören zu den peinlichsten fies ganzen Buches; aber das liegt weniger am Chronisten, al am Objekt der Reportage.)

Zum Schluß noch ein Wort über dg Verhältnis zürn Vater. K'äüs Mann hatte weder als Mansch noch al Schriftsteller einen „Ödipuskomplex“. Taktvolle, vielleicht ąllzri große Zprückhalfung auf der einen und Verehrung auf der anderen Seife schufen eine Distanz, die jede Reibung unmöglich machte. Freilich wurde für den Jüngeren — unvermeidliches Schicksal! — die anfängliche Förderung als Sohn des berühmten deutschen Schriftsteller .und Nobelpreisträgers 6pąter zum Verhängnis, da man seine literarische Leistung an der des Vaters maß. Doch hat er auch einige schriftstellerische Qualitäten von zu Hause mitbekommen; die scharfe Beobachtungsgabe! die 6pitze, bei der Zeichnung von Porträts °ff fast tödlich treffende Feder. Und ein untrügliches Gefühl dafpr, worüber man spricht und worüber man schweigt. Eine Unterscheidungsgabe, die in einem Lebensbericht besonders schätzenswert ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung