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Zerstörer und Erneuerer des Volksstückes

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ödön von Horväth, der heute zu den meistgespielten Dramatikern zählt, hat man bis vor kurzem in den diversen Literaturgeschichten und literarischen Lexika vergeblich gesucht. Der bekannte deutsche Literarhistoriker Paul Fechter führt ihn weder in der Ausgabe von 1941 seiner „Geschichte der deutschen Literatur“ an (was einigermaßen verständlich erscheint) noch aber in der Neuausgabe von 1952 (was unverständlich und unentschuldbar ist). Für Albert Soergel, den Alleswissenden, existiert er nicht. Auch Josef Nadler scheint ihn nicht zu kennen. Weder in seinem Abriß der deutschen Literatur, noch in dem speziell dem österreichischen Schrifttum gewidmeten Buch kommt Horväth vor. Herders großes zweibändiges „Lexikon der Weltliteratur“ von 1960 widmet ihm knapp 20 Zeilen (die auch, um beim Buchstaben H zu bleiben, Josef Hora, Walter Höllerer oder L. D. Holstein zugebilligt werden, während die Beiträge über Hemingway 8, über Hermann Hesse 7 Spalten umfassen). Dabei hat Horväth sehr früh zu schreiben begonnen und wurde 1932 mit dem begehrtesten Dramatikerlorbeer, dem Kleist-Preis, ausgezeichnet ...

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ödön von Horväth, der heute zu den meistgespielten Dramatikern zählt, hat man bis vor kurzem in den diversen Literaturgeschichten und literarischen Lexika vergeblich gesucht. Der bekannte deutsche Literarhistoriker Paul Fechter führt ihn weder in der Ausgabe von 1941 seiner „Geschichte der deutschen Literatur“ an (was einigermaßen verständlich erscheint) noch aber in der Neuausgabe von 1952 (was unverständlich und unentschuldbar ist). Für Albert Soergel, den Alleswissenden, existiert er nicht. Auch Josef Nadler scheint ihn nicht zu kennen. Weder in seinem Abriß der deutschen Literatur, noch in dem speziell dem österreichischen Schrifttum gewidmeten Buch kommt Horväth vor. Herders großes zweibändiges „Lexikon der Weltliteratur“ von 1960 widmet ihm knapp 20 Zeilen (die auch, um beim Buchstaben H zu bleiben, Josef Hora, Walter Höllerer oder L. D. Holstein zugebilligt werden, während die Beiträge über Hemingway 8, über Hermann Hesse 7 Spalten umfassen). Dabei hat Horväth sehr früh zu schreiben begonnen und wurde 1932 mit dem begehrtesten Dramatikerlorbeer, dem Kleist-Preis, ausgezeichnet ...

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ödön von Horväth wurde am 9. Dezember 1901 in Fiume geboren. Der Beruf seines 'Vaters, der Im diplomatischen Dienst tätig war, bedingte häufigen Ortswechsel. Die Jugendjahre, bis zum Äbitur, verbrachte er in Belgrad, Budapest, München und wieder Budapest 1919 kam er zu einem Onkel t^ach Wien, wo er das Abitur machtet Dann ging er nach München, um Germanistik und Philosophie zu studieren. 1924 reiste er nach Paris. Damach hielt er sich meist in Berlin auf, wo fast alle seine Stücke uraufgeführt wurden. Einige hat er im Landhaus seiner Eltern in Mumau geschrieben. Ullstein gab ihm einen Vertrag, der ihm ein relativ freies Leben ermöglichte. Als die große Zeit anbrach, begann auch für Horväth — wie für die meisten seiner Freunde, die ins Exil gingen — ein unruhiges Leben. 1933 reiste er nach Budapest, um seinen ungarischen Paß zu behalten, 1934 begab er sich, zum Studium des Nationalsozialismus, ein letztesmal nach Berlin, 1936 übersiedelte er nach Henndorf bei Salzburg 1938 hielt er sich im Wien auf. Von hier begann seine letzte Reise: über Budapest, Jugoslawien, Triest, Venedig, Mailand, Prag, Zürich und Amsterdam kam er nach Paris. Hier ereilte ihn der Tod: auf den Champs Elysees wurde er am 1. Juni 1938 durch einen herabstürzenden Ast, der ihn am Hinterkopf traf, verletzt und starb unmittelbar darnach. Dieser Tod und alles, was sich rund um Horväths Beerdigung abspielte, hätte von ihm selbst erfunden sein können. Das mag der Interessierte in dem bei Zsolnay erschienenen Erinnerungsbuch von Hertha Pauli nachlesen, die mit Horväth lang befreundet war... Im Zimmer seines Pariser Hotels standen zwei halbgeleerte Gläser mit Rotwein auf dem einen Tisch, auf dem andern lag die erste Seite des Manuskripts von dem eben erst begonnenen Roman „Adieu Europa“.

In einem Interview, das anläßlich der Verleihung des Kleist-Preises der Bayerische Rundfunk mit Horväth machte, hat er wichtige Erläuterungen zu seinem Werk gegeben, insbesondere zu seinen Theaterstücken, Sein Gesprächspartner war der ehemalige Schulfreund Willi Gronauer. Das überarbeitete Manuskript zu diesem Gespräch liegt, wie der gesamte Nachlaß des Dichters, im Horväth-Archiv der Akademie der Künste in Berlin. Dorthin gab es der Bruder des Dichters, Lajos von Horväth, der in Wien als Maler und Graphiker lebte, den viele gekannt haben und der auch in Wien gestorben ist. . In diesem Interview bezeichnet sich Horväth, in dessen Adern ungarisches, tschechisches und kroatisches Blut floß, als „eine typisch österreichische Angelegenheit“. Sein« Muttersprache freilich war die deutsche, und zwar sprach er ein gemütliches, mehr bayerisch als österreichisch gefärbtes Idiom. Es ist die Sprache seiner Bühnengestalten. Sehr unpathetisch beschreibt HorvÄth, was ihn zur „Erkenntnis seiner dichterischen Mission“ gebracht habe: Er sei immer schon gern ins Theater gegangen, hat allerlei erlebt, widersprach gern, fast dauernd, fühlte den Drang, das, was man so sieht, aufzuschreiben, er wußte, daß man keine

Konzessionen machen darf, und es war ihm immer schon gleichgültig, was die Leute über ihn geredet haben.

1929 sagte er: „Ich glaube, daß ein wirklicher Dramatiker kein Wort ohne Tendenz schreiben kann. Es kommt nur darauf an, ob sie ihm bewußt wird oder nicht. Allerdings lehne ich die didaktische Schwarzweißzeichnung auch im sozialen Drama ab.“ Was Horväth schreiben wollte, waren — wenn wir uns in diesem kurzen Essay auf sein Theater beschränken — Volksstücke. Freilich kein« im alten Stil. Er will heutige Menschen auf die Bühne stellen. Und wer das will, müsse, so meint Horväth, der völligen Zersetzung des Dialekts durch den Bildungsjargon Rechnung tragen. „Mit vollem Bewußtsein zerstöre ich das alte Volksstück“, sagte Horväth 1932, „formal und ethisch, und versuche als dramatischer Chronist die, neue Form des Volksstückes zu finden.“

Zu seinen Gestalten und ihren' Handlungen verhält sich Horväth skeptisch. Diese merkwürdige Synthese von Ernst und Ironie, die Horväths Sprache charakterisiert, herrscht auch im Verhältnis des Autors zu seinen Figuren. Er wollte gern wissen, wie diese gefielen, besonder« diejenigen der „Geschichten aus dem Wienerwald“. „San's net tierisch?“ fragte er freundlich und ein wenig stolz. Die gleiche Frage stellte er auch, als die Nationalsozialisten von Wien Besitz ergriffen. Aber da wurde es «mst, für 4hn und seine Dichterkollegen. „Mein liebster Freund“, so schrieb er 1938 an Franz Theodor Csokor, „für-uns, für Dich, gibt es jetzt nur eines: weiterarbeiten, ja sich nicht durch die lauten Weltereignisse stören lassen. Unsereiner muß nun immer egozentrischer werden, damit man immer weniger egoistisch wird.“

ödön von Horväth war ein ungewöhnlich fleißiger Schriftsteller. Di« jetzt vom Suhrkamp-Verla© veranstaltete Gesamtausgabe in vier Bänden wird erstmalig sein ganzes Werk vorlegen. Es hat einen Umfang und eine Vielfalt, die auch der Horväth-Kenmer nur zu ahnen vermochte.

In der Mischung von Besessenheit und Distanz seinem Werk gegenüber erweist sich Horväth als ein echter Dichter. Seine Freunde wissen davon zu berichten: von den vielen Verab-abredungen, die er nicht einhielt, weil ihm plötzlich etwas anderes durch den Kopf gegangen war... von den unerwarteten Fragen, die er plötzlich stellen konnte: „Bin ich denn so dämonisch? — „Liebst Du mich eigenitllch immer noch?“ — „Was ist eigentlich ein Antisemit? Macht es ihm Freude oder hat er nur Angst?“ Während einer Bahnfahrt hatte er einmal von einem Mord gelesen und sich so in die Situation eingefühlt, daß er 'gleich bei der nächsten Station ausstieg, um sich der Polizei als Täter zu stellen. Man hat ihn ausgelacht, denn er war nie am Tatort gewesen...

Horväth war groß, zuletzt 1,84 Meter, und neigte zur Fülle. Das wird viele erstaunen, die seinen kleinen, fast zierlichen Bruder gekannt haben, dem er jedoch physiognomisch sehr ähnlich war. Viele Frauen waren von ihm fasziniert, er hat sie höher geschätzt, als die Männer (das sieht man in fast allen seinen Stük-ken), aber sie blieben für ihn, wie Csokor einmal sagte, Tangentenerlebnisse. — „Dies ist eine Braut von mir“, so konnte er gelegentlich seinen Freunden eine junge Dame vorstellen ...

Die letzten schweren Fragen, auch religiöse, haben ihn beschäftigt, seit er selbständig zu denken anfing. So die nach Gottes Güte oder Strenge. Es war in Henndorf im Jahre 1937'. Horväth ging mit Carl Zuekmaver an einem Bauernhof vorbei, dessen Bewohner durch eine Reih« grausamer Schicksalsschläge fast vernichtet worden waren. Ein Kind fragte: „Warum läßt Gott zu, daß diesen braven Leuten alles das passiert — und so viele Schlechte und Böse laufen herum und bleiben ungestraft. Und warum sagt man dann, daß Gott gut Ist?“ Horväth antwortete: „Man kann nicht wissen, was Gott mit den Menschen vorhat“. Das ist auch die einzige Antwort, die wir uns angesichts des so frühen und tragischen Todes ödön von Horväths geben müssen.

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