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Deutscher und Weltbürger

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Er, der sich nach eigenen Worten schlecht zum Parteigänger, zum Streiter für eine Sache, schon gar nicht zum Märtyrer eignete, sah sich nahezu ständig zur Parteinahme gezwungen. Immer wieder stand er im Mittelpunkt erbitterter Auseinandersetzungen, von Bewunderern und Hassern umgeben wie kein anderer, Heinrich Heine ausgenommen. Es ging dabei viel seltener um literarische Gegensätze, als vor allem um politische Konflikte. Die Figur des Ausgleichs und der Versöhnung, die er so gern dargestellt hätte, ist Thomas Mann nie gewesen. Wenn er sich auch durch „goethisch-repräsentative Überlieferungselemente“ bestimmt gesehen hat — seinem Wesen entsprach viel eher die ironische Distanz zur Welt, ein elementares Bedürfnis nach Ungebundenheit und Spielerfreiheit, die er nicht ohne Lust an öffentlicher Irritation pflegte. „Auf jeden Fall hat es einen Reiz und Nutzen“, schrieb er, „in Protest und in Ironie gegen seine Umgebung zu leben: das erhöht das Lebensgefühl, man lebt eigentümlicher und selbstbewußter unter diesen Umständen.“

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Er, der sich nach eigenen Worten schlecht zum Parteigänger, zum Streiter für eine Sache, schon gar nicht zum Märtyrer eignete, sah sich nahezu ständig zur Parteinahme gezwungen. Immer wieder stand er im Mittelpunkt erbitterter Auseinandersetzungen, von Bewunderern und Hassern umgeben wie kein anderer, Heinrich Heine ausgenommen. Es ging dabei viel seltener um literarische Gegensätze, als vor allem um politische Konflikte. Die Figur des Ausgleichs und der Versöhnung, die er so gern dargestellt hätte, ist Thomas Mann nie gewesen. Wenn er sich auch durch „goethisch-repräsentative Überlieferungselemente“ bestimmt gesehen hat — seinem Wesen entsprach viel eher die ironische Distanz zur Welt, ein elementares Bedürfnis nach Ungebundenheit und Spielerfreiheit, die er nicht ohne Lust an öffentlicher Irritation pflegte. „Auf jeden Fall hat es einen Reiz und Nutzen“, schrieb er, „in Protest und in Ironie gegen seine Umgebung zu leben: das erhöht das Lebensgefühl, man lebt eigentümlicher und selbstbewußter unter diesen Umständen.“

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Eine der Grundbedingungen seiner künstlerischen Anlage glaubte er in seiner Abstammung zu sehen: der norddeutsch-bürgerliche Vater, Inhaber einer alteingesessenen Getreidefirma und Senator im Rat der Freien Hansestadt Lübeck, die Mutter von exotischem Liebreiz, einer deutsch-brasilianischen Pflanzerfamilie entstammend. Aber der Aufstieg vom Versicherungsvolontär zum gelegentlichen Mitarbeiter an literarischen Blättern, zum Zeitschriftenredakteur, Geschichtenschreiber, Romanautor und schließlich zum weltberühmten Schriftsteller und NobeU Preisträger, war sein persönlicher Erfolg.

Von Anfang an mußte der junge Thomas Mann sein eigenes Künst-lertum gegen die Umwelt all der Senatoren, Konsuln, Großkaufleute behaupten. Das gesamte Frühwerk steht unter der Antithese: Bürgertum — Künstlertum. Dort eine normale, oft lebhafte Intelligenz, die sich. den Dingen, die Gewicht und Farbe haben, den Zahlen und Formeln klar und sicher anzupassen weiß. Hier die von Unruhe Ergriffenen, von Bildern und Träumen Bedrängten, die von den Dingen nicht Besitz ergreifen können, weil sie in sie eingehen und ihr Wesen erkennen. Das Leidenschaftliche, Wilde,

Gewagte bis zum Dämonischen ist Thomas Mann nicht abzusprechen. Es geht, wenn auch gefiltert, durch sein gesamtes Werk: vom ersten No-vellenband Der kleine Herr Friedemann über den Tod in Venedig, den Zauberberg bis zum Doktor Faustus. Aber Mann zeigt auch deutlich, oft selbst mit Grausamkeit, die Schwäche des Künstlers, nennt dessen Anlage und Beruf „eine bedenkliche und verdächtige Sache“, spricht von „moralischer Fragwürdigkeit“ und bekennt, daß nur äußerste Selbstzucht ihn vor dem Sturz in das Abgründige bewahren könne. „Siehst du nun wähl, daß wir Dichter nicht weise noch würdig sein können? Daß wir notwendig in die Irre gehen, notwendig liederlich und Abenteurer des Gefühls bleiben?“ sagt der Schriftsteller Aschenbach im Tod in Venedig. Nicht, daß Thomas Mann die Gefahren des Künstlertums erlebt und erkannt hat, vielmehr, daß er sie überwunden hat, ist das Entscheidende.

Einmal fragte er sich, ob er seinen eigentlichen Beitrag nicht bereits mit den 1901 veröffentlichten Buddenbrooks, also im Alter von 25 Jahren, geleistet habe. Ob nicht diesem Buch unter all den anderen „bestimmt sei, zu bleiben. Vielleicht war damit meine .Sendung' erfüllt ...“ Gemeint ist der „gigantische Miniaturismus“, mit dem der physische und moralische Verfall einer Familie beschrieben wurde, der Prozeß einer Entbürgerlichung, der Anerkennung und Kritik nach beiden Seiten verteilt. Der Nüchternheit und Solidarität der Alten steht ein Zuwachs an Differenziertheit und geistig-sinnlicher Verfeinerung bei den Jungen gegenüber. Man hat behauptet, daß der Verfall der Familie Buddenbrook demjenigen der Familie Mann nach dem Tode des Vaters zu vergleichen sei.

Thomas Mann verstand die „bürgerliche Endzeit“, wie er sie nannte, durchaus in wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Sinne. Der Lübecker Familienroman, ein Stück höherer Heimatkunst, wuchs sich durch die Persönlichkeit des Autors, aber auch dank der Gunst des Augenblicks, zum Weltbuch aus. Diese scheinbar so enge, hansestädtische Geschichte eines im höchsten Maße typisch deutschen Schriftstellers wurde plötzlich von Menschen und Lesern in der Welt, die geographisch und soziologisch keinerlei Gemeinschaft mit den Menschen an der Trave aufwiesen, als Darstellung und Sinndeutung auch ihres eigenen, so ganz und gar nicht Lübeckischen Lebenskreises betrachtet. Die Lebensgeschichte der Buddenbrooks hatte die Kraft, ins Weite zu wirken wie kein anderes Romanwerk in unserem Jahrhundert. Es war der Weg des deutschen Romans in die Weltliteratur.

Dabei hatte Thomas Mann gar nicht im Sinn, als er das Buch in Rom begann, das Milieu und die reiche Figurenwelt seiner Heimatstadt zu verherrlichen oder herabzusetzen. Er hatte es gewählt, weil er es am sichersten beherrsehte und weil er, nach eigenem Bekenntnis, die „recht unlübeckischen geistigen Erlebnisse“ einströmen ließ, die seine zwanzig Jahre erschüttert hatten: „den musikalischen Pessimismus Schopenhauers, die Verfallspsychologie Nietzsches“. Der Ruhm Thomas Manns gründete sich vornehmlich auf seine Buddenbrooks, und das so ausschließlich, daß sie noch 1929 (also 28 Jahre nach dem Erscheinen des Romans) in der Begründung der Verleihung des Nobelpreises als einzig repräsentativ für das gesamte Schaffen Thomas Manns genannt werden. (Die Gesamtauflage in deutscher Sprache hatte schon 1930 eine Million überschritten und beträgt über vier Millionen Exemplare.)

Manns Entwicklung wird an der Art und Weise deutlich, wie sich seine Ironie entfaltet und wogegen sie sich wandte. Zuerst war sie Kritik am Bürgertum, Rebellion gegen die Welt, aus der er kam. Zugleich aber war sie mit Achtung für das Bürgertum verbunden. Kunst bedeutete für Mann Kritik — Kritik am Leben, um, dem Vorbild Nietzsches folgend, unerfreuliche Wahrheiten aufzudecken. Ironie war notwendig, aber nicht die romantische, welcher die Welt zerrinnt, sondern die „pädagogische Ironie“, als-deren großen Meister er Goethe sah. 1932, das Jahr der Wende, in dem sich jene Kräfte durchzusetzen begannen, die Deutschlands humanistische Kulturtradition zu zerreißen drohten, war auch das Jahr von Goethes 100. Todestag. Unter den bürgerlichen Festrednern in Weimar im März dieses Jahres war Thomas Mann der einzige, der auch das Zwiespältige in Goethe nicht übersah, sich ihm ehrfurchtsvoll und zugleich ein wenig ironisch näherte. Einen „kerndeutschen Urpatrioten“ nannte er ihn im Gegensatz zu Schiller, dem „Menschheitspatrioten mit dem humanitärrevolutionären Geist“.

Thomas Manns außergewöhnliche Sensibilität gegenüber Zeittendenzen hatten ihn immer wieder gedrängt, „unmittelbare Notgedanken des Lebens“ den Kunstgedanken vorzuziehen. Als Dichter seiner Zeit ist Thomas Mann sowohl als Künstler wie als politischer Publizist von Bedeutung. In entscheidenden Phasen deutscher Geschichte hat er sich oftmals als Wegbereiter, als Mahner und Warner verpflichtet gefühlt. Einige seiner .großen literarischen und historisch-politischen Essays weisen in eine bessere Zukunft des deutschen Volkes und der ganzen Menschheit. Über die „-bürgerliche Demokratie“ hinaus empfahl er einen „sozialen Humanismus“ als Aufgabe des Deutschen — jenseits totalitärer Gewaltlösungen. Seine Essays, Pamphlets und Reden lassen sich ohne Zwang in sein Gesamtwerk einordnen. .

Auch er war den unabänderlichen Gesetzen der geistigen Wandlung unterworfen. Im Herbst 1914 ließ er sich zunächst von der allgemeinen Kriegshysterie mitreißen. Damals haben alle deutschen, ja alle europäischen Schriftsteller, mit Ausnahme von einem halben Dutzend Unbeirrbarer, im Aufbruchsfieber mitdeliriert — darunter Rilke, Musil, Döblin, Stefan Zweig und andere. Thomas Mann verfaßte Gedanken im Kriege, die Antwort auf eine Rundfrage: An die Redaktion des Svenska Dagbladet, Stockholm, beides dann vereint in dem Erbaungs-bändchen Friedrich und die Große Koalition. Für Mann war es ein „grundanständiger, ja feierlicher Volkskrieg“, in dem das kaiserliche Deutschland zunächst einmal das neutrale Belgien überfiel. Mann forderte „vollen Einsatz aller Grundkräfte des Leibes und der Seele“ als „Ausdruck der Zucht und Ehre“, fühlte sich so erleichtert beim „Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so übersatt hatte“ und so fort. Im Oktober 1918 erschienen die Betrachtungen eines Unpolitischen“ (600 Seiten), gedacht als Gegenentwurf und nationaldeutsche Korrektur zu Heinrich Manns jakobinischem Zola-Essay (30 Seiten), diesem „glänzenden Machwerk“ (Thomas Mann). Die „Betrachtungen“ priesen das monarchische Deutschland und bekannten, „daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals werde lieben können“. Die Wirkung des Buches spiegelte sich in den zwanzig Auflagen wider. Der Konservativismus der „Betrachtungen“ wurde von Mann im Grunde niemals verleugnet, wenn er sich auch bald von den anfechtbarsten Angriffen und Ausführungen zunehmend distanzierte.

Je mehr er in den folgenden Jahren Demokratie mit Humanität gleichsetzte, desto mehr geriet er in persönliche und geistige Nähe zur politischen Repräsentanz der bürgerlichen Demokratie Weimars. Seine Essays und Reden wandten sich jetzt immer kritischer gegen die Strömungen der Zeit und der herannahenden Barbarei. In exemplarischer Weise führte Thomas Mann damals vor, wie man der als Staat in einem Vakuum lebenden Weimarer Republik geistig und moralisch Unterstützung hätte leisten können;^-

Wie er es später zu halten gedachte, ist in dem berühmten Neu-iahrsbrief von 1937 an den Dekan der philosophischen Fakultät zu Bonn nachzulesen, der ihm das 1919 (nach Erscheinen der „Betrachtungen“) verliehene Ehrendoktorat aberkannt (hatte. Thomas Mann sprach durch jenen „Zufallsadressaten“ zur Welt, wenn er erklärte: „Ich bin weit eher zum Repräsentanten geboren als zum Märtyrer, weit eher dazu, ein wenig höhere Heiterkeit in die Welt zu tragen, als den Kampf, den Haß zu nähren. Höchst Falsches mußte geschehen, damit sich mein Leben so falsch, so unnatürlich gestaltete. Ich suchte es aufzuhalten nach meinen schwachen Kräften, dies grauenhaft Falsche — und eben dadurch bereitete ich mir das Los, das ich nun lernen muß, mit meiner ihm eigentlich fremden Natur zu vereinigen.“

1949 empfing er in Frankfurt den Goethe-Preis. Es war sein erster Besuch in Deutschland nach dem Kriege. 1950 hielt der 75jährige in Chicago einen Vortrag „Meine Zeit“, der das Weltbild des Dichters in seiner Einheit von Humanität und Politik umriß. „Meine Zeit — sie war wechselvoll, aber mein Leben in ihr ist eine Einheit nach so vielen Büchern, die ich aus meinem Leben gemacht.“ Im Mai 1955 hielt er in Stuttgart eine Rede „Versuch über Schiller, seinem Andenken in Liebe gewidmet“, eine wunderbare Botschaft überzeitlicher Humanität, deren letzte Sätze wie sein geistiges Testament an das deutsche Volk klangen — gesprochen im Schatten des nahen Todes.

Leben, Schaffen und Denken, auch das politische Denken mit seinen gelegentlich verzerrten, aber im wesentlichen klaren Weltperspektiven müssen als ein Ganzes betrachtet werden. Thomas Mann hat einer bedrückten und verworrenen Welt in einem wahren Fest des Erzählens Heiterkeit und Harmonie schenken wollen — beides freilich aus der Un-ergründlichikeit des Dichters zu verstehen, der tief in die Widersprüche des Lebens geblickt hatte, von Anbeginn an.

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