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Bruderlichkeit als Schicksal

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„Wir waren fünf“ ist der Titel eines Familienerinnerungsbuches von Victor Mann, genannt Vico, dem jüngsten der drei Mann-Brüder. Die der Ehe eines Lübecker Patriziers mit einer Südamerikanerin entstammenden drei Mann-Brüder waren keineswegs „einfach“ und bürgerlich, wie sie sich nach außen hin gaben. Da waren bedeutende Binnenspannungen in der Natur jedes einzelnen Mitgliedes der Mann-Familie, die etwas clanartiges hat, und da gab es Gegensätze, Meinungsverschiedenheiten und Antinomien zwischen den Brüdern Heinrich und Thomas, die zum Teil auch öffentlich auf fast spektakuläre Weise ausgetragen wurden.

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„Wir waren fünf“ ist der Titel eines Familienerinnerungsbuches von Victor Mann, genannt Vico, dem jüngsten der drei Mann-Brüder. Die der Ehe eines Lübecker Patriziers mit einer Südamerikanerin entstammenden drei Mann-Brüder waren keineswegs „einfach“ und bürgerlich, wie sie sich nach außen hin gaben. Da waren bedeutende Binnenspannungen in der Natur jedes einzelnen Mitgliedes der Mann-Familie, die etwas clanartiges hat, und da gab es Gegensätze, Meinungsverschiedenheiten und Antinomien zwischen den Brüdern Heinrich und Thomas, die zum Teil auch öffentlich auf fast spektakuläre Weise ausgetragen wurden.

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Heinrich, der ältere, ist 1871 geboren und starb 1951 in Santa Monioa in Kalifornien. Thomas, vier Jahre jünger, starb 1955 in Kilchberg bei Zürich. Beide wurden also runde 80 Jahre alt. Und beide waren Schriftsteller. Gemeinsam sind ihnen das Elternhaus und die zusammen verlebte und verträumte Kindheit in Lübeck — dann, als Heranwachsende, ein gemeinsamer längerer Aufenthalt in Rom und in dem Städtchen Palestrina, dessen Namen für Thomas Mann später so bedeutungsvoll werden sollte. Heinrich hat ein Puppentheater, für das er Stücke erfindet und mit dem Thomas Mann später seinen letzten Buddenbrook, den Meinen Hanno, spielen läßt. Auch im „Bajazzo“ kommt es vor. Dichterische Gestalten ersinnend und bewegend, fühlen sich schon die Heranwachsenden als „Herren der Geschichte“ und beginnen das Illusionäre von Welt und Leben zu empfinden. Hanno wird von seiner schönen exotischen Mutter frühzeitig mit Wagner-Musik infiziert, und/Ähnliches mag auch den beiden Brüdern widerräh'rehi;siMf''Die Tfääfige1' des'1 wirkungssücfatigen Bayreuither Zauberers durchrauschen mehrere Bücher der beiden Mann-Brüder. *

Mythos und Psychologie, die Thomas Mann viele Jahre später in einem Meisteressay als für Wagners Werk bestimmend bezeichnet hat, verbinden sich auch in seinem eigenen Werk. Thomas Mann ist zeit seines Lebens, vor allem in den großen Romanen, ein Geschichten-, Märchen-und Mythenerzähler geblieben. Bei Heinrich liegt der Akzent auf der Fabel, der Aktion, der Tendenz und

— freilich — auch auf dem Psychologischen. Die Lust daran und das Vergnügen am treffend-scharfen Ausdruck, die Ekstase der Artistik

— bei völlig verschiedenem Verhältnis zum Material der Sprache — haben beide Brüder gemeinsam, und sie inkorporieren sie auch ihren frühen Helden: Thomas Mann seinem Tonio Kröger, Heinrich etwa MarioMalvolto in „Pippo Spano“. Beider Helden sind oft Außenseiter, die ihre Umwelt verachten. Doch tun dies Thomas Manns Helden mit Gewissensbissen und mit Sehnsucht nach wohlgeborgener Bürgerlichkeit. Die Heinrichs sind eher hochfahrend und selbstbewußt. Gemeinsame Vorbilder waren: Heines Desillusionierungstechnik und die analvti sehe Akribie der Gon-courts, ferner dAurevilly, Maeterlinck und Bourget. Damals, in Rom, las Thomas Mann Berge russischer und skandinavischer Literatur. Heinrich malte und tendierte schon in jenen frühen Jahren zur westlichen Zivilisation und Literatur, speziell zu Flaubert, Balzac, Hugo, Zola und auch zu D'Annunzio, zu dem Thomas nie ein Verhältnis fand. Später nennt er Heinrichs an diesen Vorbildern entfachte lodernde Prosa „Blasebalgpoesie“. Der Renaissancismus, der Ubermenschenkult und eine Art Borgia-Ästhetizismus, wie man ihn zuweilen bei Heinrich Mann antrifft, Waren Thomas wesensfremd beziehungsweise zu simpel. In diesem Zusammenhang spricht er einmal von „Schönheitsgroßmäuligkeit“ und vom „Pathos neurasthenischer Kraftanbeter“. Er selbst fand in Fontane, Conrad Ferdinand Meyer und Pascal seine Vorbilder, zu welchen ihn „die epische Luft, der faustische Duft, Kreuz, Tod und Gruft“ hinzogen. Das sind nicht nur ästhetische Unterschiede (man braucht nicht unbedingt von Gegensätzen zu sprechen), die tief hinab ins Persönlich-Menschliche reichen.

Beide sind groß im Imitieren und Integrieren literarischer Vorbilder und • großzügig bei der Benützung biographischer und dokumentarischer Quellen. Heinrichs erster Roman von 1894 heißt „In einer Familie“. Thomas Manns erster großer Wurf sind „Die Buddenbrooks“, ein Familienroman mit kaum kaschierten Abbildern seiner nächsten Verwandten und Bekannten. — Gegen den Vorwurf der Indiskretion und des Plagiats nach der Wirklichkeit werden beide sich später zu wehren haben. Diesen ersten Familienroman wollten beide zunächst gemeinsam schreiben (Thomas Mann: „Wir sind es wert, alle“ und „Ich bin durchdrungen von der Notwendigkeit, daß wir zusammenhalten“). Aber als Thomas Mann etwa 1901 sein zweibändiges Werk abschloß, war Heinrich schon auf dem Weg ins „Schlaraffenland“. Im Unterschied zu des jüngeren Bruders philosophisch befrachteten, vor allem Schopenhauers und Nietzsches Lebensphilosophie verpflichteten Büchern mit ihrer melancholisch-ironischer Grundstimmung, waren Heinrich Manns erste Werke von sehr energischen sozialkritischen Tendenzen beflügelt. Thomas Manns Werke sind immer um einzelne Individuen zentriert und erscheinen als Akte der Selbstbefreiung und der Rechtfertigung. Heinrichs Werk hat zum Gegenstand das Gegenüber, die Gesellschaft, und seine Gestalten sind oft nur Symbole, speziell des von ihm so unerbittlich kritisierten Wilhelminischen Deutschlands: „Professor Unrat“, „Der Untertan“, „Die Armen“, „Der Kopf“.

Heinrich gilt in der Familie als schwierig, wortkarg und hochmütig. Thomas war immer der soziablere. Sein Familiensinn ist sehr stark ausgeprägt, und immer wieder ermahnt er den Bruder, Rücksichten zu nehmen, nicht so schroff abzulehnen. Sowohl den Selbstmord seiner Schwester wie den seines Sohnes hat Thomas Mann'.- als ,,Dsertin“ .empf un. den, als :Desertion vor,, der-Veränt-wortung-und -vor'dem Leben, -mit dem man fertig zu werden hat, vor allem aber als Desertion aus der Familie, als Rücksichtslosigkeit gegen die Zurückgebliebenen. — Als Thomas heiratete, wertet Heinrich dies als Verrat an jener Freiheit, die sie früher als Jünglinge gemeinsam genossen und die seiner Meinung nach Vorbedingung des Künsüer-tums ist. „Du nennst mich gewiß einen feigen Bürger“, schreibt Thomas an den Bruder, „aber Du hast leicht reden. Du bist absolut, ich dagegen habe geruht, mir eine Verfassung zu geben.“ Dem Bruder gegenüber bezieht und verteidigt Thomas wiederholt die Position des Bürgers. Auch Heinrichs Heiraten beziehungsweise Nichtheiraten sind für ihn ein Ärgernis, zumal Heinrich fast ausschließlich Beziehungen zu Schauspielerinnen und Demimondänen hatte, von der Brasilianerin Inez Schmied über Ida Roland und Tilla Durieux bis Trude Hesterberg. Dabei hatte Thomas Mann, der zwar nur mit einer Frau' verlobt war (der Tochter des Mathematikprofessors ■ und Münchner Ordinarius Alfred Pringsheim), die er dann auch heiratete, selbst soviel Libertinage, Komödiantisches und Bohemetum, daß es ein wenig komisch anmutet, wie er, der mit offensichtlicher Sympathie die Lebensgeschichte des Hochstaplers Felix Krull aufgezeichnet hat, immer wieder die bürgerliche Wohlanständigkeit verteidigt.

Zu einer ideologischen - und auch persönlichen Auseinandersetzung kam es während und in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, welcher der unmittelbare Anlaß zum Ausbruch der brüderlichen Feindseligkeiten wurde. Heinrich Mann, der militante Sozialdemokrat, war vom ersten Augenblick an ein erbitterter und aktiver Kriegsgegner, weil er das Regime, welches er für dessen Ausbruch verantwortlich machte, haßte. Thomas Mann, der konservative, bürgerliche, hatte es da schwerer. Demokratie und Sozialismus bedeuteten ihm nicht viel. Zu beiden hat er sich erst in den zwanziger Jahren bekannt, dann aber freilich unbeirrbar an den Ideen der Menschenwürde, der Menschenrechte, eines aufgeklärten Humanismus, Antifaschismus und Antinatio-nalismus festgehalten. Heinrich also ließ 1915 einen Essay über Emile Zola erscheinen, den Thomas Mann als einen persönlichen Angriff empfinden mußte. „Was mich empört“, so notiert Thomas Mann damals in seinem Notizbuch, „was mich anwidert, ist die gefestigte Tugend, die doktrinäre, selbstgerechte und tyrannische Hartsinnigkeit des Zivilisationsliteraten, der verkündigt, daß jedes Talent verkümmern müsse, das sich nicht der Demokratie verschreibt.“ Ein zweibändiges Werk, die mühevollen „Betrachtungen eines Unpolitischen“, in den letzten Kriegsjahren entstanden, war die Antwort an den Bruder und dessen Gesinnungsgenossen. In den folgenden Brietstellen - gipfelt die Auseinandersetzung der beiden Brüder.

München, den 3. Jänner 1918

Lieber Heinrich:

.....daß mein Verhalten im Kriege

.extrem' gewesen sei, ist eine Unwahrheit. Das Deine war es, und zwar bis zur vollständigen Abscheulichkeit. Ich habe aber nicht zwei Jahre lang gelitten und gerungen, meine liebsten Pläne vernachlässigt, mich zum künstlerischen Verstummen verurteilt, mich erforscht, mich verglichen und behauptet, um auf einen Brief hin, der — begreiflicherweise — Triumph atmet, mich nach letzten Argumenten suchend an der Spitze ,einiger Verzweifelter* sieht und schließlich findet, ich brauchte Deiner nicht als eines Feindes zu gedenken — um Dir auf diesen in keiner Zeile von etwas anderem als sittlicher Geborgenheit und Selbstgerechtigkeit diktierten Brief hin schluchzend an die Brust zu sinken, Was hinter mir liegt, war eine Galeerenarbeit; immerhin danke ich ihr das Bewußtsein, daß ich Deiner zelotischen Suade heute weniger hilflos gegenüberstünde, als zu der Zeit, da Du mich bis aufs Blut damit peinigen konntest. Mögest Du und mögen die Deinen mich einen Schmarotzer nennen. Die Wahrheit, meine Wahrheit ist, daß ich keiner bin. Ein großer bürgerlicher Künstler, Adalbert Stifter, sagte in einem Brief: .Meine Bücher sind nicht Dichtungen allein, sondern als sittliche Offenbarungen, als mit strengem Ernste bewahrte menschliche Würde haben sie einen Wert, der länger bleiben wird, als der poetische.' Ich habe ein Recht, ihm das nachzusprechen, und Tausende, denen ich leben half — auch ohne, eine Hand auf dem Herzen und die andere in der Luft, den contrat social zu rezitieren — sehen es, dieses Recht.

Du nicht. Du kannst das Recht und das Ethos meines Lebens nicht sehen, denn Du bist mein Bruder. Warum brauchte niemand, weder Hauptmann noch Dehmel, der sogar die deutschen Pferde besang, noch der präventivkriegerische Harden (dem Du jetzt Huldigungsvisiten machst) die Invektiven des Zola-Artikels auf sich zu beziehen? Warum war er in seiner ganzen reißenden Polemik auf mich eingestellt? Das brüderliche Welterlebnis zwang Dich dazu. Demselben Dehmel, der mir für meinen ersten Kriegsartikel in der .Neuen Rundschau' aus dem Schützengraben Dank und Glückwunsch sandte, kannst Du ... wärmste Sympathie darbieten, und er kann sie annehmen; denn Ihr seid zwar sehr verschiedene Geister, aber Ihr seid nicht brüderliche Geister, und darum könnt Ihr beide leben. — Laß die Tragödie unserer Brüderlichkeit sich vollenden.

Lebe wohl

Thomas.“

„... Nicht Äitäemandefsetzüngeh > wollte ich, nicht einmal auf vier Briefseiten — und mit tiefem Bedauern erfahre ich, daß eine einzige von mir gehörte Meinungsäußerung Dich genötigt hat, zwei Jahre lang Deine Antwort auszuarbeiten... Du hast, nach allem was ich sehe, Deine Bedeutung in meinem Leben unterschätzt, was das natürliche Gefühl betrifft, und überschätzt hinsichtlich der geistigen Beeinflussung. Die letztere, negativ von Gestalt, ist einseitig von Dir erlitten worden, Du mußt diese Wahrheit schon hinnehmen, e3 ist keine bloße Schmähung, wie alle die mehr pathetischen als ethischen Wendungen Deines Briefes. Was mich betrifft, ich empfinde mich als durchaus selbständige Erscheinung, und mein Welterlebnis ist kein brüderliches, sondern eben das meine. Du störst mich nicht... Dein eigenes Ethos, wer sagt Dir, daß ich es verkannt hätte? Ich habe immer um es gewußt, habe es geachtet als subjektives Erlebnis und Dich, stand es im Kunstwerk gestaltet, nicht lange behelligt mit meinem Verdacht gegen seinen Wert für die Menschen. Vermesse aber auch ich mich eines sittlichen Willens — wie erscheint er Dir? Unter dem Bild eines komödiantischen Prahlhansen und glänzenden Machers. Du Armer!... Die Stunde kommt, ich will es hoffen, in der Du Menschen erblickst, nicht Schatten, und dann auch mich.

Heinrich.“

1922 erschienen Thomas Manns „Betrachtungen“ gekürzt, und 1931 tilgte Heinrich Mann die extremen Stellen in seinem Zolä-Essay. Vor allem aber wurde die Aussöhnung möglich durch die Annäherung von Thomas Manns politischem Standpunkt an den seines Bruders, angefangen von der Berliner Ansprache „Von deutscher Republik“ (1922) über den „Appell an die Vernunft“ zu Beginn der dreißiger Jahre bis zu den Radioansprachen „Deutsche Hörer“, die während des zweiten Weltkrieges über die BBC nach Europa ausgestrahlt wurden. Der gemeinsame Feind, der erst den einen — Heinrich natürlich — und einige Jahre später auch den anderen ausbürgerte, führte die Brüder endgültig zueinander. Während Thomas Mann in der amerikanischen Emigration als bekannter und erfolgreicher Schriftsteller aufgenommen wurde, war Heinrichs Start in der neuen Welt schwierig. Obwohl er ununterbrochen schrieb, auch viel Polemisches und Politisches zu den Kriegsereignissen, endete sein Leben In Einsamkeit und Resignation. Daß man sich in Amerika ungleich mehr für Thomas interessierte, kam auch in dessen weitaus besserer materieller Stellung zum Ausdruck. In jenen Jahren hat der Jüngere dem Älteren in wahrhaft brüderlicher Weise geholfen, ganz konkret: durch einen monatlichen Scheck, der Heinrich und seiner Frau eine menschenwürdige Existenz ermöglichte.

Bei allen diesen Auseinandersetzungen darf man die Wertschätzung, die einer für den anderen hegte, nie außer Betracht lassen. Wohl machte Thomas dem Bruder, vielleicht nicht ganz neidlos, wiederholt den Vorwurf des leicht-fertigen, aber viele von Heinrichs Werken bewunderte er aufrichtig, besonders die späteren Bücher „Die Jugend Henri IV“, „Die Vollendung des Königs Henri IV“ und Heinrichs Lebensbericht „Ein Zeitalter wird berichtigt“. — Auch Heinrich fand Worte höchsten Lobes für die großen Werke seines Bruders, aber da diese Urteile von der zeitgenössischen Kritik geteilt werden, brauchen wir sie hier nicht zu wiederholen. Einen der Henri-Romane widmete Heinrich seinem Bruder mit den Worten „Dem einzi, der mir nahe ist“, und in ein anderes Buch schrieb er die Widmung „Meinem großen Bruder Thomas“.

Nach mehreren früheren und sehr fragmentarischen Ausgaben liegt nunmehr der von Hans Wysiing, dem Konservator des Thomas-Mann-Archivs in Zürich, edierte Briefwechsel vollständig vor. (S.-Fischer-Verlag.) Vollständig ist er freilich nur in einem sehr eingeschränkten Sinn: Neben 147 Briefen von Thomas Mann existieren nur 33 sowie einige Brief-enitwürfe von Heinrich, da die bis 1933 an Thomas Mann adressierten Briefe Heinrichs während der NS-Zeit und während des Krieges teilweise verschleppt, teils“ durch Bomben vernichtet worden sind.

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