Werbung
Werbung
Werbung

Der literarische Bruderkrieg im Hause Mann - dargestellt von Helmut Koopmann.

Seit seinem Tod am 12. August 1955 haben sich die Forschung und der Boulevard des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann so gründlich bemächtigt, dass weiteres "archivalisches" Gewühle überflüssig schien. Philologisch zergliedert, psychoanalytisch seziert, der Homosexualität überführt, rückte der einst als größter lebender Schriftsteller der Welt Gefeierte allmählich in den Olymp der viel Zitierten und wenig Gelesenen.

Und jetzt kommt ein Germanist und bietet eine neue Sichtweise: Die wichtigste Triebfeder für das gewaltige Werk Thomas Manns sei ein unaufhörliches Anschreiben gegen seinen einst ebenso berühmten älteren Bruder Heinrich gewesen. 500 Seiten umfasst Helmut Koopmanns Buch "Thomas Mann - Heinrich Mann. Die ungleichen Brüder". Man kann keine Seite überspringen, so spannend liest sich dieser Bericht über die Höhen und Tiefen einer Bruderbeziehung: "Hassausbrüche, Versöhnungsgesten, Abschiede, die am Ende doch keine sind, Zuneigung, die sich auch durch Feindseligkeiten nicht beirren lässt; es gibt Jahre, in denen die Erbitterung so groß ist, dass der Bruch endgültig und unheilbar zu sein scheint - und dann kommt doch das Gefühl brüderlicher Nähe und unauflösbarer Verbindung wieder auf, und wenn es auch nie in völliger Aussöhnung endet: man arrangiert sich, bezieht gemeinsam Front, verteidigt einander."

Kein übliches Auf und Ab

Das klingt nach dem üblichen Auf und Ab einer Geschwisterbeziehung. Doch bei Thomas und Heinrich Mann gibt es keine normale Brüderlichkeit mit ihren unvermeidlichen Spannungen und Übereinkünften. Seit die Söhne eines hanseatischen Lübecker Kaufmanns und Senators zu schreiben begonnen hatten, herrschte erbitterte Konkurrenz. Der Ältere, Heinrich (geb. 1871) schrieb schneller, schmissiger, produzierte Roman nach Roman und noch viel mehr Novellen. Er orientierte sich an der französischen Literatur, während die Vorbilder von Thomas Mann russische und skandinavische Autoren waren - und vor allem Goethe. Koopmann spricht von einem unablässigen Hinstarren auf das Werk des anderen - über Jahrzehnte. Der Jüngere war besessen von dem Wunsch, den Bruder zu übertrumpfen, ja, literarisch mundtot zu machen. 1904 schrieb Thomas Mann in einem Brief: "Seine Bücher sind schlecht, aber sie sind es in so außerordentlicher Weise, dass sie zu leidenschaftlichem Widerstand herausfordern. Dennoch ist die Empfindung, die seine künstlerische Persönlichkeit mir erweckt, von Geringschätzung am weitesten entfernt. Sie ist eher Hass." Seine lebenslängliche Überbietungs-Begierde äußerte er schon früh: "Das Bruderproblem reizt mich immer." Das wäre ein Fall für den Psychiater. Doch Koopmann ist Literaturwissenschaftler, der überzeugend zeigen kann: Hier sind zwei große Schriftsteller gegeneinander angetreten, jeder mit dem Anspruch, die Literatur allein zu vertreten.

Koopmann hat nicht zwei Parallelbiographien geschrieben; er entflicht vielmehr das erstaunliche Ausmaß an literarischen Wechselwirkungen. Während Heinrich Mann am Gegenwartsroman "Im Schlaraffenland" schrieb, arbeitete Thomas Mann an den "Buddenbrooks", gewissermaßen einem historischen Roman, der Geschichte des Niedergangs einer Familie. Dem Thema Degeneration antwortete Heinrich Mann in vier Romanen, in denen er die Aufsteigermentalität des Wilhelminischen Deutschland zeigt, Lebenszugewandtheit, pralle Erotik, Ekstase, ein a-rationales Dasein, die Jagd nach Liebe - Gegenpole zur verfeinerten Nervenkunst seines jüngeren Bruders.

Mit 28 holt Thomas Mann zu einem Vernichtungsschlag gegen den Bruder aus. Der Brief ist erhalten; er erschreckt in seiner Gehässigkeit und Kleinlichkeit: "Ich bin geworden, wie ich bin, weil ich nicht werden wollte wie Du." Heinrich Mann schlug nicht zurück. Erst viele Jahre später, als sich Thomas Mann bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Kriegsbegeisterter, ja Kriegstreiber erwies, überschritt die Auseinandersetzung das Persönliche, der Bruderkrieg wurde öffentlich geführt. Der Demokrat Heinrich Mann ertrug nicht länger die Sehnsucht seines Bruders nach dem deutschen Obrigkeitsstaat. Thomas Manns Gegenattacke in den "Betrachtungen eines Unpolitischen": ein viele hundert Seiten langer Versuch, Heinrich zu vernichten. Ironie des Schicksals: Heinrich Manns Roman "Der Untertan", unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erschienen, verkaufte sich innerhalb weniger Monate hunderttausendfach.

Bedeutende Feindschaft

Thomas Mann verstand seinen Kampf gegen den Bruder als "bedeutende Feindschaft", und doch näherte er sich in den zwanziger Jahren den Ansichten des politisch weitsichtigeren Bruders an. Als der Jüngere 1929 den Nobelpreis erhielt, war Heinrichs Rede großzügig. Später gab es im Schaffen der beiden thematische Parallelen, etwa die Gottessuche in den Josephsromanen von Thomas Mann und den beiden Büchern über den französischen König Henri Quatre von Heinrich Mann. Im Hass auf den Nationalsozialismus waren sie sich völlig einig. Beide wurden 1936 aus Deutschland ausgebürgert, beide erhielten die tschechische Staatsbürgerschaft. Das Exil in den USA führte sie scheinbar eng zusammen.

Der Einsame, der Stolze

Doch Heinrich Mann konnte außerhalb Europas nicht Fuß fassen, vereinsamte, versank in Bedeutungslosigkeit, während sein Bruder stolz von sich sagte: "Wo ich bin, ist die deutsche Kultur." Heinrich, völlig verarmt, vegetierte von den spärlichen Zuwendungen des Jüngeren verschämt dahin, dieser wurde auf dem Silbertablett der Berühmtheit herumgereicht. Koopmann hat die Mitte der siebziger Jahre geöffneten Tagebücher von Thomas Mann genau gelesen: da ist häufig die Rede vom "Problem Heinrich". Dieser schrieb im Alter Romane, in denen nur Besiegte, keine Sieger vorkamen, nur Opfer, keine Helden. Der Tod ist allgegenwärtig in seinem letzten Roman "Der Atem". Thomas Mann hingegen trumpfte ein letztes Mal gegen den Bruder auf, mit seinem Roman "Felix Krull", in dem er das Leben in Gestalt eines hinreißenden Lebenskünstlers feierte, eine strahlende Überlegenheitsgeschichte.

Diese hochverzwickte Bruderbeziehung entrollt Helmut Koopmann jargonfrei, aufregend, in eleganter Prosa. Nie bringt er Leser, die die Werke der beiden Mann-Brüder nicht kennen, in Verlegenheit, versteht er es doch, das, worum es den Mann-Brüdern ging, unaufdringlich zu vermitteln und gleichzeitig die tragische deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert lebendig werden zu lassen. Man bekommt Lust auf neue oder wiederholte Thomas-und-Heinrich-Mann-Lektüre.

Thomas Mann - Heinrich Mann

Die ungleichen Brüder

Von Helmut Koopmann

C. H. Beck Verlag, München 2005

530 Seiten, geb., e 30,80

Weitere Bücher zum 50. Todestag von Thomas Mann:

Die Erzählungen

Von Thomas Mann

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2005

992 Seiten, geb., e 10,00

Im Zaubergarten

Thomas Mann in Bayern

Von Dirk Heißerer

C.H. Beck Verlag, München 2005

304 Seiten, geb., e 22,90

Thomas Mann und die Seinen

Von Marcel Reich-Ranicki

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 461 Seiten, geb., e 23,60

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung