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Kritik an Doktor Faustus

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Das letzte Buch Thomas Manns, „Doktor Faustus", hat, im Ausland erschienen, noch nicht den Weg zu uns gefunden, doch eilen ihm temperamentvolle Auseinandersetzungen voran. Der erste Eindruck war faszinierend, vielfach wurde diese Tragödie des deutschen Menschen unserer Tage, symbolisiert im Leben, Schaffen und Untergang des Komponisten Leverkühn, zu den Höchstleistungen schriftstellerischen Könnens gezählt.

Nun wird aber in zunehmendem Maße Kritik laut, die unter der glänzenden Oberfläche seltsame Flecken aufdeckt. Zu Thomas Manns Tadlern gehören in erster Linie jene vielen, die es ihm ankreiden, daß er vom sicheren Exil aus dem deutschen Volk in seiner bittersten Not Standreden gehalten habe. „Ihr Verdruß", meint dazu eine Schweizer Stimme („Literarische Blätter", Genf, Nr. 1 , April 1948), „ist vielleicht verständlich; doch sie vergessen, daß der alte Mann sich immerhin in die Fremde begab — und Fremde hat noch immer Elend geheißen". Gewichtiger ist schon der Einwand, daß Thomas Manns Schlüsselroman in der Darstellung des Münchner Kreises und in Berichten über musikalische und gesellschaftliche Ereignisse existierende Menschen photographisch getreu gezeidmet, aber sie mit den Geschöpfen seiner Phantasie vermischt — eine bedenkliche Methode, an der bekanntlich auch Ernst Lothars Buch „Der Engel mit der Posaune“ schlimm genug leidet.

Schärfsten Einspruch ethischer und ästhetischer Art erheben Künstler des Auslandes gegen Thomas Manns Versuch, die als außerordentlich bezeichnete Leistung seines Komponisten Leverkühn mit der Krankheit in Zusammenhang zu bringen, die er sich im Freudenhaus holte, so, als wäre Genie weiter nichts als Wirkung der — Syphilis. Wenn es auch nicht so grob und so allgemein ge meint ist, bleibt doch die Tatsache, daß Leverkühns Künstlertum seine letzte Steigerung der Krankheit verdankt. Nach Thomas Mann. Übel genug, um einen ehrlichen Widerwillen gegen sein Buch zu recht-1 fertigen. „Wenn auch sicher ist", bemerkt die Schweizer Kritik dazu, „daß gerade diese Krankheit im Leben vieler begabter Menschen, vor allem in der Zeit der Romantik, eine wichtige Rolle spielte, so i s t es doch unveranwortlich, die Schöpfungen eines großen Komponisten als von der Krankheit bewirkt hinzustellen. Das ganze Heer der gesunden Künstler muß sich dagegen auflehne n."

Schließlich sei noch als Kuriosum vermerkt, daß Thomas Mann seinem deutschen Tonhelden die moderne Erfindung der „Zwölftonmusik" zuschreibt — die Kunstgeschichte der ganzen Welt vermerkt aber seit etwa 1903 den Wiener Arnold Schönberg als ihren Schöpfer. Es mögen einige einwenden, daß auch dabei der gebildete Leser Historie und Dichterphantasie unschwer zu trennen imstande wäre. Wenn aber der Kritiker eines Züricher Konzerts kürzlich von einem Werk K?eneks schrieb, es sei in der Zwölftontechnik „in der Leverkühnschen Art“ geschrieben, fällt es bei dieser heiteren Entgleisung schwer, an eine bloße literarische Anspiegelung zu glauben; es ist vielmehr ersichtlich, daß ein Roman, der Tatsachen umdichtet, die Grenzen des Erlaubten überschritten hat und Unfug anrichtet.

So häuft sich Einwand auf Einwand gegen ein Werk, das zu einem deutschen Schicksalsepos, zu einem „Faust“ unserer Zeit hätte werden können, aber nur bis zu den Töpfen der „Hexenküche“ gediehen zu sein scheint.

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