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Beethoven oder Faust?

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Thomas Mann, der Zweiundsiebzigjäh'rige, der nach langen Jahren freiwilliger Emigration nach Amerika in diesen Tagen wieder Europa bereist und vielleicht auch einen kurzen Ausflug in die Heimat machen wird, hat soeben seinen Roman „Doktor Faustus“ fertiggestellt. Der Roman wird in Amerika erscheinen, deutsche Fassungen sollen in Zürich und Stockholm folgen. Das Buch ist die erdichtete Lebensbeschreibung eines modernen deutschen Komponisten, dessen Leben den deutschen Nationalcharakter und das deutsche Schicksal widerspiegeln soll. Es ist zu vermuten, daß das Buch stark ausgeprägte autobiographische Züge tragen wird, denn auch die Haltung und das Schaffen des Verfassers selbst schimmert in vielem wie deutsches Schicksal und deutsche Tragik. Man fühlt das nicht nur in seiner Heimat, über die Thomas Mann bekanntlich unbarmherzig den Stab gebrochen hat. Auch das Ausland zeigt bisweilen für die Faustsecle Thomas Manns überraschend viel Verständnis. So war kürzlich in einem ernsten englischen Wochenblatt, dem „Observer“, in einem „Profil“ Thomas Manns zu lesen:

„Das Seltsame an Thomas Mann ist, daß er im ersten Weltkrieg vielleicht der beredsamste literarische Verteidiger der deutschen Sache gewesen ist. Und doch war am Ende, als er zögernd mit seinem Heimatlande brach, dieser Bruch endgültig. Thomas Mann ist nicht wie Toscanini, der begeistert zu seinem Italien zurückkehrte, als es von M-ussolini befreit war. Thomas Mann ist Amerikaner geworden. Noch mehr: er wurde ein amerikanischer Patriot, ein glühender Verfechter und Propagandist der friedlichen Weltmission. Ein Mann, geboren mit einem seltsamen Talent und einer Neigung zu ehrgeiziger und militanter Vaterlandsliebe. Und es gelang ihm noch spät in seinem Leben, diese Liebe vollständig von einem Land auf das andere zu übertragen — eine seltsame und überraschende Wandlung, die wert wäre, einen Roman über Thomas Mann selbst zu schreiben ...“

Hier ist er offenbar schon, der fällige Roman. Und gleich vom Autor selbst verfaßt. Ein kühnes Unterfangen, noch mitten im Flusse der Wandlungen,.die tausend Wandlungen des deutschen Menschen dieser Zeit selbstkritisch aufzuzeigen. Der „Observer“ ' ist auch über diese Wandlung erstaunlich gut unterrichtet. Es heißt darüber in dem zitierten Aufsatz:

„Er begann mit den .Betrachtungen eines Unpolitischen' während des ersten Weltkrieges. Darin polemisierte Thomas Mann heftig gegen die Demokratie. Er pries in diesem Essay Jene Freiheit von der Politik, die nur durch eine autoritäre Regierung gewährleistet ist. Sein politisches Schaffen endete mit den Kriegsreden über den britisehen Rundfunk, in denen er eirtem feindlichen Deutschland gegenüber für die Sache der Demokratie Propaganda machte. Wieviele Stationen liegen dazwischen! Der zögernde Friede des loyalen Monarchisten mit der Weimarer Republik, das anstKndige Werben um Frankreich im Namen des offiziellen Deutschlands, die magisterhaften und patriotischen Warnungen gegen den wachsenden Nationalsozialismus, der Bruch mit Deufsch-land in dem Brief an den Dekan der Bonner Universität, die Entdeckung Amerikas, die Entdeckung der Demokratie, der wachsende Abscheu und Zorn gegen die Gewalttaten, die von Deutschland und Deutschen begangen wurden, die Weigerung, Milde walten zu lassen, das langsame Abflauen der Unbarmherzigkeit.“

Es drängt sich hier der Vergleich mit Romain Rollands Romanwerk „Jean Christoph“ auf, in dem der Franzose und warme Anwalt Deutschlands in zwölfter Stunde deutschen Schicksals der unseligen schwankenden Gestalt des Fausttypus das dynamische, produktive, klare Beethovenbild entgegenhielt. Der Mahnruf verhallte unge-hört, das Schicksal nahm seinen Lauf. Wer wird es weiter bestimmen? Beethoven — oder Doktor Faustus? Der klare Schöpfer oder der schwankende Grübler? Die nächsten Jahrzehnte' deutscher Geschichte werden es lehren.

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