6630668-1956_35_08.jpg
Digital In Arbeit

Was die Töchter erzählen

Werbung
Werbung
Werbung

Das Mannsche Haus war kinderreich. Drei „Pärchen“ wuchsen dort auf und starteten, zu verschiedenen Zielen, in die Welt. Klaus und Erika, die beiden Aeltesten, haben da und dort einiges Familiäre zum besten gegeben (Klaus vor allem, das Sorgenkind, in dem Lebensbericht „Der Wendepunkt“). Von Monika Manns Schriftstellerei war bisher nichts bekanntgeworden. Sie nennt ihr Buch „Vergangenes und Gegenwärtiges“ und meint damit das eigene Leben. Aber es ist ganz natürlich, daß sie vor allem vom Vater berichtet. Wichtig zu wissen ist jedenfalls, daß dieses Buch vor Thomas Manns Tod begonnen, also nicht „in memoriam“ konzipiert wurde.

Was hat sie also vom Vater zu erzählen? Sie erlebt das dichterische Dasein schon in ihrer Kindheit als „Unleben“. Der starke, um Selbstbefreiung inständig ringende väterliche Geist durchweht das warm-bürgerliche Haus wie ein Spuk. Ein sanft-fanatischer Sinn für Gleichmaß und Sichgleichbleiben kennzeichnen das väterliche Wesen. Noch nach zwanzig Jahren ist ihr das Erlebnis „der Vater geht durchs Zimmer“ athmosphärisch gegenwärtig. Das Haus wirkte oft wie ein Hotel, aber das unstete Treiben ist nur Oberfläche. Der Geist des Vaters wird als zugleich gefügig und dominierend geschildert. Seiner Teilnahme ist immer ein wenig Ironie beigemischt, aber „auf ihn, den eher Fernen, war im Elementar-Menschlichen immer zu zählen“. Ein Streit mit ihm ist undenkbar, schon weil er keine Argumente bei der Hand hat und ihm das logisch-dialektische Denken fremd ist. Hierzu stimmt Thomas Manns tiefe Neigung zur Musik, der er so wissend und leidenschaftlich gehuldigt hat, daß er im Kreis der Fachmusiker als Ehrenbürger ihrer Fakultät gilt. Für Leben und Werk ihres Vaters findet Monika Mann einige einfache, aber treffende Formulierungen. Sein Menschentum, meint sie, sei mehr gelebte Form als geformtes Leben; sein Werk mehr vergeistigte Form als geformter Geist gewesen. Das ist, so scheint uns, auch ein wellig Revanche für den Ausspruch des Vaters, „Moni ix schalkhaft, nichts weiter“. Das Wichtigste in diesem Büchlein steht auf den Seiten 130 und 131 und ist „bloß zvyischen den Zeilen“ gesagt. Monika Mann meint, daß der Aufenthalt in Amerika, in Kalifornien, größere Bedeutung für das Spätwerk Thomas Manns habe, als bisher angenommen wurde. Die entrückte Eleganz der kalifornischen Küste, ihre beinahe abstrakte Schönheit und mondäne Oede hätten ihn aus eigenen bürgerlich-hanseatischen Traditionen ins Stilistisch-Waghalsige geführt und ihm den Mut sowohl für die sprachlichen Experimente als auch für die abgründige Polemik und die Selbstparodie verliehen. (Es ist die Rede von den letzten Joseph-Romanen, vom „Erwählten“, vom ii Doktor Faustus“ und vom „Krull“.) Er habe sich stets gewundert über seine kalifornische Existenz, und den Alternden habe es immer stärker ins alte Europa zurückgezogen.

In Thomas Manns letztes Lebensjahr fällt auch —• worüber sich Erika Mann merkwürdigerweise ausschweigt — der Besuch Roms und die Papstaudienz. Auf dem Aventin sagt der norddeutsche Protestant zu seiner Tochter: „Wenn ich hier leben würde, würde ich wahrscheinlich katholisch werden.“ Und Monika deutet das Wort so, als wollte er damit sagen, daß hier, inmitten einer zerrinnenden Welt, eine einzige hohe Festung stand. Dann folgt, an einem der nächsten Tage, die Audienz beim Papst, um die Thomas Mann nachgesucht hatte und die gewährt wurde. Darnach: „Im schwarzen Kleid... wirkte er wie einer, der eben eine hohe Prüfung abgelegt hat... Er erzählte wie ein Knabe, der einen schönen Traum erlebt oder vielmehr, dem ein schöner Traum in Erfüllung gegangen war.“ Thomas Mann berichtet: „Er kam mir entgegen, nicht ich sollte auf ihn zutreten, und er stand während der Unterhaltung. Er hält immer stehend Audienz. Es kam mir vollkommen natürlich vor, beim Abschied vor ihm ins Knie zu gehen und den Fischerring zu küssen. Ich beugte mich vor den Jahrtausenden.“ Der weitere Kommentar zu dieser Szene stammt, nota bene, von Monika, nicht von Thomas Mann. Das letzte uns von der Tochter überlieferte Wort des 80jährigen Geburtstagskindes: „Ich habe das Gefühl, mein Leben löst sich in Festlichkeit auf und (humoristisch-beschwichtigend), ich hoffe, es setzt sich noch einmal.“ (

Hier, an diesem Punkt, beginnt Erika Manns Bericht. „Das letzte Jahr“, das war, neben den gewohnten Ablenkungen: die Vorbereitung der großen Schiller-Rede und die Schiller-Feiern in West- und Ostdeutschland; die Arbeit an dem „Versuch über Tschechow“ und an einem Theaterstück („Luthers Hochzeit“); das war die Reise nach Lübeck und die Versöhnung mit der Vaterstadt; schließlich die Feier des 80. Geburtstags und die Vorbereitung eines großen Friedensmanifestes, für das Thomas Mann die bedeutendsten Geister - Dichter, Philosophen, Künstler, Historiker — der Alten und der Neuen Welt (mit Ausschluß der Sowjetunion und ihrer Verbündeten) gewinnen wollte.

Das Zeugnis Erika Manns ist gewichtiger als das der Schwester, wenn auch vielleicht durch die grenzenlose Verehrung, die sie zeitlebens für ihren Vater hegte (dessen Vertraute und Mitarbeiterin sie war), nicht für jedermann verbindlich. Einige Wesenszüge Thomas Manns: Die Unzufriedenheit mit sich selbst und dem Geleisteten, das Grundelement jedes -wirklichen Talents; das ungeheure Ernstnehmen der Arbeit, die „religiöse Verpflichtung, die schlummernde Materie mit Geist zu durchdringen“; dazu die Klage des Dichters während der Vorbereitung der Schiller-Rede (aus der an Stelle der geplanten 20 Maschinschriftseiten um ein Haar wieder ein dickes Buch geworden wäre wie seinerzeit bei den „Buddenbrooks“, beim „Zauberberg“ und beim „Joseph“): „Die Arbeit macht mir solche Sorge.“

Weiter sein fast grenzenloser Respekt vor Fachwissen und „Gescheitheit“, sein eigener Humor und die Freude daran, wenn andere lustig waren, das „Tränenlachen“; eine bis ins hohe Alter sich erhaltende Naivität und Unkenntnis der Publicity, die ihm immer wieder Ungelegenheiten bereitete. (Thomas Mann sagte oder schrieb jemandem „offen und unverblümt“ seine Meinung, und am Tag darauf wurde diese von den internationalen Agenturen in sämtlichen Metropolen der Welt verbreitet. Schließlich das Zeugnis: „Er liebte die Menschen“, und zwar auf der Basis der sympathievollen, brüderlich-mitbeteiligten Erkenntnis ihrer fast hoffnungslos schwierigen Situation. Das hat ihm auch der Freund Hermann Hesse bestätigt: „Was hinter seiner Ironie und Virtuosität an Herz, an Treue, Verantwortlichkeit und Liebesfähigkeit stand, jahrzehntelang völlig unbegriffen vom großen deutschen Publikum, das wird sein Werk und Andenken weit über unsere verworrene Zeit hinaus lebendig erhalten.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung