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Alle, alle Winde wehn ...

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Die hundert schönsten Gedichte. Von Alfons Petzold. Auswahl und Nachwort von Felix Braun. Büchergilde Gutenberg. 126 Seiten. — Immer ist Anfang. Gedichte von 1912 bis 1952. Von Franz Theodor Csokor. Oesterreichische Verlagsanstalt Innsbruck. 157 Seiten. — Gott und das Herz. Der Gesammelten Gedichte dritter Teil. Von Paula von Preradovic. Oesterreichische Verlagsanstalt Innsbruck. 124 Seiten

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Die hundert schönsten Gedichte. Von Alfons Petzold. Auswahl und Nachwort von Felix Braun. Büchergilde Gutenberg. 126 Seiten. — Immer ist Anfang. Gedichte von 1912 bis 1952. Von Franz Theodor Csokor. Oesterreichische Verlagsanstalt Innsbruck. 157 Seiten. — Gott und das Herz. Der Gesammelten Gedichte dritter Teil. Von Paula von Preradovic. Oesterreichische Verlagsanstalt Innsbruck. 124 Seiten

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Die drei Jahrzehnte deutschsprachige Literatur seit Petzolds Tod, die gerade durch ihre lyrische Verarmung die Hellhörigkeit für Bleibendes förderten, haben genügt, um das vorwiegend lyrische Werk Alfons Petzolds (die Bedeutung seiner erschütternd erlebnisgetränkten Prosa liegt mehr auf soziologischem als auf literarischem Gebiet), in der unübersichtlich versprengten Fülle zahlloser Einzelausgaben zu sichten und zu sieben. Die strengen Auslesen, von denen die jetzt vorliegende Felix Brauns wohl die einfühlendste und dem Dichter zuträglichste ist, lassen den hohen Rang und die eigenartige Stellung Petzolds im österreichischen Schrifttum klar erkennen. Von den „Arbeiterdichtern“ deutscher Zunge hat Alfons Petzold wohl am reichsten und gültigsten die gefährlichen Spannungen des Säkulums, Romantik und Realismus, Bürgertum und Sozialismus, Stadt und Land, Revolutionäres und Religiöses zu einer organischen Einheit gebunden — nicht mit überlegenem Siegerlächeln, sondern mit Leib und Seele siebenmal ans Kreuz geschlagen. Ein jeder Ton in diesem Requiem: Gesänge auf Mutter und Gattin, Mensch und Maschine, Gott und Kreatur und Ding, ist bezahlt mit tausend Einsamkeiten und röchelnden Atemzügen. Dennoch, dennoch kein qualvoller Aufschrei, dieses Leben, sondern ein strahlender Aufstieg „aus der Erde Schmutz und Not“, Fahrt im Sonnenboot, Steuer geradeaus und die Segel von kostbarer Weisheit gefüllt: „Aile, alle Winde wehn hin zur Ewigkeit“ ...

Heftigerer Atem kommt aus Csokors wallenden, stampfenden, wilde neue kühne Bilder und Formen schaffenden Versen, die jetzt in ihrer ungeheuren zeitlichen Spannung über zwei Kriege, drei Leben und tausend Tode unter dem beziehur.gs-vollen Titel „Immer ist Anfang“ vorliegen. Immer ist Anfang... In Csokors leidenschaftlichen Balladen, Klagen und Anklagen, gibt es kein Ende, keine weise Selbstbescheidung; immer ist Anfsuig, immer ist Auflehnung, herrisches Auftrumpfen. Und noch das letzte Lied ist ein Trotzgesang: „In den Tod, alter Wolf, / trabe, trabe! / Mach dein Bett, alter Wolf, / grabe, grabe! / Warst du böse, warst du gut, / immer bliebst du doch dein Blut. / Los!“ Sprache und Rhythmus dieser Verse sind von der erschreckenden Schönheit großartiger Explosionen, die Bilder tollkühn, beklemmend,befremdend, und Csokors' Gebet klingt bisweilen wie ein Schrei auf Barrikaden ...

Ach, ER versteht die Sprache: die leidgeprüfte des körperlich Gemarterten, die zuckende des seelisch Geschundenen, und den weisen, leisen Ab-gesang jener noch nicht lange verstorbenen wanderbaren Frau, in deren drittem Band des lyrischen Werks, der den Titel trägt „Gott und das Herz“, die Worte stehen: „Gott, wer wird dich lieben, wenn ich tot bin?“

Paula von Preradovics Weg durch dieselbe sengende Not des Jahrhunderts war nicht weniger hart als der Petzolds und Csokors; nur klarer, gesammelter, demütiger. Immer von Trauer und Ahnung erfüllt, und immer ergebener und gefaßter, gottnäher. So wird — im ersten Zyklus — die Geschichte vom menschlichen Herz, das Gott aus seiner selbstsatten Lauheit reißt und in Qual und Leiden zu seinem brennenden Stern macht, zum Sinnbild eines sinn- und zielerfüllten Lebens, „Ritter, Tod und Teufel“ (zweiter Zyklus) zum Sieg über den Tod, „Zuversicht“ (III) zum Sieg über den Jammer des Lebens und „Der Dichter“ (IV) zum herrlichen Aufschwung über das Irdische zu Gott hin.

Drei österreichische Menschen, drei Melodien eines not- und todgesegneten halben Jahrhunderts — und drei Wege über seine Steine hinweg, über seine Kreuze und Galgen hinaus, über seine Staubwolken hinauf: „Alle, alle Winde wehn hin zur Ewigkeit...

Der unheimliche Vorgang. Roman. Von Albert T a 1 h o f f. Rentsch-Verlag, Erlenbach-Zürich, 1952. 198 Seiten.

Der Schweizer Dichter hat sich durch seine visionäre Romantrilogie „Apokalyptische Verkündigung“ (Zürich, 1945—1951) in weiten Kreisen einen Namen gemacht. (Man erinnert sich wieder des „Totenmals“, das 1930 die europäische Presse beschäftigte.) Alle fürchterlichen Geschehnisse des jüngsten Krieges erhalten darin vom lebendigen Gewissen her ihre Sinndeutung. „Die Erscheinungen der Katastrophe haben eine Vorder- und eine Hinterseite. Und da der Mensch so geschaffen ist, daß er nur in Fragmenten erlebt und selber ein Fragment bleibt — ein nie vollendetes Bruchstück —, darum gewinnen die tatsächlichen, die sichtbaren Weltgewcbe mehr an Bedeutung als die unsichtbaren Mächte, die auch das Uebel gebrauchen, um sich hervorzuschaffen. Das ergibt die tragische Spannung zum Unheil, dem wir zu entfliehen trachten. Man sieht ihm nicht auf den Grund. Man sieht nur die Schatten, aber das Licht dahinter nicht. Dies Licht versichtbaren helfen, das ist die Aufgabe. Sie ist es für alle, die für das Gottgeistige noch empfänglich sind.“

„Der unheimliche Vorgang“ geht von der Darlegung des amerikanischen Obersten Marshall (Soldaten im Feuer. Frauenfeld, 1951) aus, der auf Grund von Massenbefragungen festgestellt hat, daß von 100 Mann im Feuer mindestens 75 nicht kämpfen, und zwar aus Angst vor “dem Töten, nicht vor dem Getötetwerden. Zwei Mentalitäten bauen im Romangeschehen auf dieser Erkenntnis weiter: der totale Militarismus, vertreten durch einen Generalstab, sucht eine „psychische Ent-mächtigung des Soldaten“ herbeizuführen, damit er zum totalen Mordmechanismus in der Hand des Kommandanten werde; die kosmische Haltung, vor allem durch einen Feldgeistlichen vertreten, sieht in dieser Erkenntnis den Entscheid Gottes im Menschen, dem in geschöpflichem Gehorsam nachzukommen erste Voraussetzung für einen wahren Frieden sei.

In vielen Bildern, die wie Tonarten ineinander übergehen, ist das Ringen dieser Mentalitäten gestaltet. Menschen, die diesen Gehorsam leben, sind solchen gegenübergestellt, die sich gegen ihre innere Stimme auflehnen. Man sieht den General an diesem Widerspruch irr werden, man sieht den Atomgelehrten, dem vor seiner Entdeckung graut, den Priester, den Historiker, den einfachen Gastwirt und seine stumme Tochter. Wie ein Leitmotiv erscheint immer wieder Jean auf dem Wege zur Frau Mutter. Er findet sie nach langer Wanderschaft in Paris unter den Türmen des Liebfrauendomes. Da liegt der Ausgangs- und zugleich Endpunkt der Spirale, die Talhoff immer wieder zieht: das matriarchale Element, der marianische Kosmos, den unsere androkratisch verzerrte Welt am liebsten totwerfen möchte.

Brevier der Lebenskunst. Aphorismen der Weltliteratur. Herausgegeben von Arthur Hübscher. 88 Seiten. Verlag Kurt Desch, München 1952. Preis 6.50 DM.

Der Herausgeber hat mit viel Verständnis Aphorismen der Weltliteratur gesammelt und nach verschiedenen Themen geordnet. Die bedeutendsten Geister sind hier vertreten und geben dem Leser wertvolle Weisungen für seine Lebensführung. Mit Recht kommen die großen französischen Aphoristiker des 17. und 18. Jahrhunderts oft zu Wort, denn ein reicher Schatz an Weisheit und Menschenkenntnis ist aus ihren Werken zu heben. Von den neueren Autoren fehlt leider Feuchtersieben. Originell ist das „Alphabet der Eigenschaften“, zum größten Teil Maximen von La Rochefoucauld. Der Leser zieht aus dem Buch einen doppelten Gewinn: die Lebensweisheit als solche und die Freude an der konzentrierten, einprägsamen Form des Aphorismus. Man muß solche Aphorismen richtig aufnehmen, sie nicht als starre Regel, sondern nur als Anregung für das eigene Denken im individuellen Fall verstehen. Das Wort Goethes, das die Sammlung einleitet: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken“, ist zu beherzigen. Das mit Geschmack ausgestattete Bändchen, als Geschenk sehr geeignet, kann vielen zu einem treuen und nützlichen Begleiter werden.

Gerhart Hauptmann. Von Thomas Mann. Verlag C. Bertelsmann. 46 Seiten

Diese Rede, gehalten am 9. November 1952 im Rahmen der Frankfurter Gerhart-Hauptmann-Woche, stellt ein etwas vetklausuliertes Bekenntnis Thomas Manns zu Hauptmann dar. Es lebt aus der vollendeten Skepsis Manns gegenüber dem Theatraliker, der sich „ohne Gedanken oder in äußerster Gedankenvagheit, nur auf der Sprache wiegt“ (S. 19). Manns Rede schöpft aus der reichen Schatzkammer von Ideenmarken und psychologischen Begrrffen, die ihm als glänzendem Kenner des „Dionysischen“ zur Verfügung stehen. Er entwickelt das Bild Hauptmanns als das eines „Traumgequälten, des schmerzhaften Dionysiers“: „Trunkenheit“, „Ueberwältigtsein von sinnlicher Herrlichkeit“, mythisch vereinigt mit der ganzen Schmerzensfülle des Lebendigen. Nicht das Mitleid, sondern das Leiden selbst und an sich, habe in Hauptmann Bildhaftigkeit gewonnen, hinwiederum gepaart mit der Festivitas des großen „Formats“, der „Persönlichkeit“. Es sei nicht versäumt anzumerken, daß Mann bestrebt ist, sein dichterisches Hauptmann-Porträt, diese „Porträtphantasie“, nämlich seinen Peeperkorn im „Zauberberg“, als „Huldigung“ zu rechtfertigen und ihn von dem Odiosen der Karikatur zu befreien. Das gelingt nicht ganz. Vielmehr klingt noch in dieser, auf wenig Seiten Vieles und Tiefes enthüllenden Rede eine schier unausrottbare Ironie mit, die uns freilich als ein Stück Thomas Mann immer wieder in ihrem elementaren Wesen packt, die aber doch vielleicht nicht die beste Voraussetzung für Festreden abgeben mag. Indes, wir schätzen Wahrheit höher als „Festivitas“, und es mag nicht eines gewissen Spaßes entbehren, daß sich diese Festrede gerade mit Hauptmanns Festivitas beschäftigt, mit seiner „wehen Festlichkeit“, gefeiert durch einen Mann, der sich mit der Festivitas auf nicht allzu frohem Fuße befindet.

Goethe in der Literaturgeschichte. Von Paul

R i 11 a. Verlag Bruno Henschel u. Sohn, Berlin. 88 Seiten.

Einen „Ausschnitt aus der tragischen Bildungsgeschichte der bürgerlichen Goethe-Interpretation“ nennt der Verfasser eingangs seine Schrift. In der Tat: oft, sehr oft, wenn man die altbekannten großen Biographien aufschlägt, eine Fülle von Umbiegen und Stutzen (Karl August; Wilhelm Mei ster; Faust) bis zum Verleugnen von Tatsachen, die nicht zur flauen Aufklärung, zum Liberalismus,. zum falschen Patriotismus passen. Hoffen wir, daß Rilla überall, wo politische Macht sich eines ewigen Dichterwortes bemächtigen will, gehört wird. Wie immer man im einzelnen zu den Ausführungen stehen mag: sie sind Diskussionsgrundlage; es weht frische Luft, keine Atelieratmosphäre, seminarkonserviert, darin. Und das ist bei einem so zerschriebenen Kapitel wie Goethe schon viel.

Du Land der Liebe. Bericht von Abschied und Heimkehr eines Deutschen. Von Bernard von Brentano. Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, Tübingen. 284 Seiten.

Bernard von Brentano, aus der berühmten Dichterfamilie stammend, Bruder des derzeitigen deutschen Botschafters in Rom, während ein anderer Bruder führend in der CDU tätig ist, emi- ' grierte zu Beginn der Hitlerherrschaft in die Schweiz. Während des Krieges fuhr er einmal nach Deutschland, um seine alte Mutter zu besuchen. Auch verlegte ein deutscher Verlag noch während der Hitlerherrschaft eines seiner Bücher. Dies trug ihm von einer Schweizer Zeitung den Vorwurf ein, daß er ein Anhänger Hitlers sei. Den großen Gerichtsprozeß, den Brentano gegen die Zeitung anstrengte, konnte er gewinnen, da er nachzuweisen vermochte, daß man Deutscher und trotzdem Gegner Hitlers sein könne. Diese Episode und vieles andere Interessante aus seiner Emigrantenzeit enthält das vorliegende Buch.

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