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Lesebuch der Weltliteratur

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Band I. Für die fünfte Klasse der Mittelschulen. Herausgegeben von Dr. Werner Tschu-lik. 416 Seiten. — Band II. Für die sechste Klasse der Mittelschulen. Herausgegeben von Dr. Julia Plohovicb. 515 Seiten. — österreichischer Bundesverlag, Wien.

Was immer von pädagogischer Seite gegen Lesebücher eingewendet und wie sehr dagegen die Klassenlektüre in Einzelausgaben bevorzugt wird: der umfassende Blick, die Zusammenschau kann nur von den Lesebüchern kommen. Viele von uns Älteren haben aus den alten Büchern von Jelinek-Pollak-Streinz Ihre erste Bekanntschaft nicht nur mit der deutschen, sondern auch mit der ausländischen Literatur gezogen. Ein Vorhaben wie das angezeigte, ist daher grundsätzlich begrüßenswert. Die Gruppierung des Stoffes erfolgte nach neuzeitlichen Gesichtspunkten. Lyrik von gestern und heute eröffnet den Band I. Damit kommt sogleich der Orgelpunkt, die Musik der Landschaft Österreichs, zum Klingen. Dem Umfange sind natürliche Grenzen gezogen; immerhin vermißt man hier das Waldviertel und seinen Dichter Giebisch. Auch hätte für das .Lob der Donau zumindest ein Wahlösterreicher wie Herold (die Stadt Wien und sein Bürgermeister hoben 1904 anläßlich der kaiserlichen Ehrung das Gedicht „An der schönen blauen Donau“ lobend hervor) gewählt werden können. Die alte Lyrik steht in Übertragungen. Sie sind feinsinnig; der treuherzige Klang des Kürenbergers ist freilich nur im Mittelhochdeutsch zu fühlen. Die Volkslieder nehmen auch auf die Slawen Rüdesicht, wie überhaupt die Literatur unserer Nachbarn im Norden und Süden — nur die Ungarn fehlen — erfreulicherweise gewürdigt wird. Die Balladen bringen altbekannte Stücke; doch findet man hier auch Lulu von Strauß und Torney. Münchhausen gehörte freilich ebenfalls hierher. Unter den Versnovellen vermißt man die erste deutsche Dorfgeschichte, den .Meier Helmbrecht“ aus dem Innviertlerland.

Der zweite Band behandelt den großen Dreiklang: Humanismus — Renaissance — Barock. Hier wurde sorgfältige, und wenn man die Vielzahl der aufzusuchenden Quellen berücksichtigt, mühsame Arbeit geleistet und in durchaus lebendige Form gegossen. Vorzüglich muß vor allem die Abteilung Renaissance geheißen werden. Vom „Sonnengesang“ des hl. Franz von Assisi entfaltet sich die klassische Wiedergeburt in der Sprache Dantes, Petrarcas, Leonardo da Vincis, Michelangelos über Ariost bis zum Ubergang gegen das Empire. Die Spanier sind hier würdig und, wenn man ihren Einfluß auf das österreichische Drama berücksichtigt, nicht zu knapp vertreten. Verdienstlich ist auch die Abteilung „Humanismus in Wien. Das Drama leitet das ältere Wiener Passionsspiel (13. Jahrhundert) im Original ein.

Beiden Bänden fehlt der eingehende Anmerkungsteil; der erste hätte zumindest wie der zweite Band etwas in Fußnoten bringen können; bei 402 Seiten Text sind achteindrittel Seiten Anmerkungen zu wenig. Es wäre doch beispielsweise für den Schüler interessant zu wissen, daß das „Schloß in Österreich“ die Rosenburg im Kamptale ist. In der Fußnote zu Comenius, „Panegersia“ hätte leicht die Zeit der Entstehung, 1645, untergebracht werden können. Bei Fleming und Gerhardt (Seiten 358 und 359) fehlen die Lebensdaten. Dies und einiges andere kann eine neue Auflage wohl nachholen. Im ganzen ist zu sagen, daß mit diesen Lesebüchern ein reichhaltiger Leitfaden geschaffen wurde, so wenig dozierend, so anregend, daß er hoffentlich manchen Schüler verlocken wird, weiter in den Quellen zu forschen. Dies wäre ja das erstrebte Ziel eines jeden Lesebuches.

Hanns Salaschek

Zwiesprache mit Geihart Hauptmann. Tagebuchblätter. Von C. F. E. Behl. Kurt-Desch-Verlag, München.

Behl legt einen Band Tagebuchblätter vor, deren Aufzeichnung 1932 in Hiddensn beginnt und 1945 in Agnetendorf abbricht. Dia Blätter sind Kinder des Augenblicks, sie versuchen, „die Spontaneität Gerhart Hauptmanns, dessen Zwiesprache mit Besuchern und Freunden oft nur eine Fortsetzung des immerwährenden — scheinbar monologU sehen — Dialoges mit sich selber war“, eh zufangen. Nicht literarisch geformte .Gee spräche“ a la Eckermann, sondern Impressionen liegen hier vor, deren Summe neues, bedeutendes Licht auf Hauptmann und dessen Werke wirft. Der Gewinn des Buches besteht Vor allem in bisher unbekannten persönlichen Äußerungen des Dichters über sein Schaffen. Aus der großen Fülle neuer Ge Sichtspunkte seien nur einige der bedeutendsten erwähnt: Hauptmann bezeichnete 1933 seinen geschichtlichen Ort als die Epoche, die mit 1870 beginnt und mit dem Reichstagsbrand endet. So wird es auch verständlich, daß er In einem Teil seines epischen Hauptwerks „Der neue Christophorus“, dem in Behls Aufzeichnungen breiter Raum gegeben wird, eine Synthese aus der rapiden Entwicklung des 19. Jahrhunderts und der betrogenen Hoffnung auf ein goldenes Zeitalter im 20. Jahrhundert plante. „Mein Werk ist ein Fanal der alten Zeit“, sagte Hauptmann einmal, fügte jedoch hinzu, „aber in Erdmann (,Der neue Christophorus') verkörpert sich die ewige Neugeburt.“ — Man erkennt den grundsätzlichen Einfluß der Idee des Mimus (insbesondere durch Reichs Buch) auf Hauptmanns dramatisches Schaffen, sieht aber auch, daß der sogenannte Naturalismus des Dichters wesentlich Anschluß an die Tradition des Volksstüokes war. Besonderes Licht fällt auf alles, was mit dem Kreis von „Und Pippa tanzt“ zusammenhängt, ein Drama, das mit den Novellen „Das Meerwunder“ und „Mignon“ einen gemeinsamen magischen Kreis ergibt. Weiter ließen sich viele Einzeln heiten der Stellung des Dichters zu seinen literarischen Zeitgenossen erwähnen, wie zum Beispiel der Eindruck des amerikanischen Romans auf Hauptmann, dessen Weiträumige keit er rühmte. Eine größere Anzahl von Photographien aus allen Lebensaltern ist dem Buche eingefügt. Von besonderer biographie scher Bedeutung ist der Nachklang „Gerhart, Hauptmanns letztes Jahr und letzte Tage“,-Für eine künftige Biographie des Dichters stellt Behls Buch eine grundlegende Vore arbeit dar. Der Mensch Gerhart Hauptmann tritt hier ganz nahe an den Leser heran, ein Dichter, der so wenig Literat war, daß man fast scheut, ihn mit dem Begriff Literatur in Verbindung zu bringen. Das bisher gültigste Buch von der Hauptmannschen Existenz.

Pole der Menschheit. Dichtungen aus den Jahren 1938 bis 1945. Von Wilhelm Walde stein. Humboldt-Verlag, Wien. 141 Seiten.

Ein reifer Mensch tritt mit einem Sammelband unter die Dichter dieser Zeit. Da er sieben Jahre schweigen mußte, ist nun alles; ausgewogen und klar gegliedert. Eine Ernte, die überrascht und ergreift. Wer könnte die grundgescheiten Verse aus der Fülle heben, die da „Aus der Tiefe“ oder „Unter Mene sehen“ gesprochen werden? Im „Inblick“ stein gert sich das Gegenständliche zum allgemein' Menschlichen, im „Aufblick“ das Menschliche zum Göttlichen, um im Abschnitt „Welt und Wesen“ gleichsam geläutert wieder zu den Bildern zurückzukehren. Der „Brennspiegel“ aber bringt knappe, scharfgeformte Sprüche; Wenn ich das Buch kaum wo erwähnt finde, dann geschieht ihm unrecht, denn es hält den Vergleich mit mancher mehr rhetorischen Sammlung aus. Freilich bricht das Wort nicht aus der letzten Tiefe auf. Aber es ist immer klar und sauber gesprochen. Am reinsten gelingen daher alle beschreibenden Verse sowie alles Analytische und Psycho logische.

Doch auch der Lauschende ist nicht zu zwingen.

Aus Ahnenfernen wuchs mir, rätselhaft, Des Denkens Macht, der Dichtung Leidenschaft,

Das Duldertum, mich deutend darzubringen Dein sind die Himmel, Herr, laß mich nicht zagen,

An ihren Schmerzenssäulen mitzutragen.

Ein Mensch, den wir aus seinem tätigen Leben her kennen, tritt plötzlich als Dichter vor uns hin, als ein leidender, suchender, zweifelnder, findender Dichter, als einer, der durch seine Bildung und Intelligenz mitzu sprechen hat. Rudolf H e n z

Aber, aber, Herr Schusterl Roman von Frani J a n t s c h. Verlag Anton Pustet, Salzburg 1950. 499 Seiten.

Ein Buchhalter, der bis dahin ein nicht gerade musterhaftes Leben geführt hatte, wird von der Gnade ergriffen. In alltäglicher Umgebung sucht er nun seinen Weg der Nachfolge Christi. Aufmerksam horcht er auf die Stimme Gottes, die Bibel ist sein Buch und die Bewährung der Liebe in Gebet und Opfer wird sein und seiner „Jünger Aktionsprogramm. Also ein Erbauungsbuch? Gewiß, von der Hauptgestalt, Insbesondere Ton vielen Szenen des Buches geht eine Wirkung au, die von den Verfassern der herkömmlichen Erbauungsbücher gewünscht, jedoch nicht immer erzielt wird. Die literarische Durchführung des Themas mag da und dort zu kritischen Bemerkungen Anlaß geben. Dennoch ist die Bezeichnung Roman gerechtfertigt. Der Verfasser schöpft seine Gestalten nicht nur aus dichterischer Phantasie, sondern kann sie auch in die Atmosphäre der oft rauhen Wirklichkeit hineinstellen, die er durch seine Erfahrungen und Beobachtungen als praktischer Seelsorger kennt. Die bekannten Themen moderner Romane fehlen auch hier nicht, werden Jedoch mit kühner Unmittelbarkeit dem Glauben an Gott gegenübergestellt, so dafi neue Sichten von großer Eindruckskraft entstehen. Hierin liegt die tiefere Bedeutung dieses Werkes, die es zugleich der schönen und der religiösen Literatur zuteilt. Einige Kernsätze mögen hineinleuchten: „Heute muß jeder Christus verkünden, wo und wie er kann. „Das Außerordentliche und Wunderbare machte starken Eindruck auf das Volk. Uralte religiöse Begeisterungsfähigkeit erwachte. Nicht alle werden da mitgehen wollen, viele zu Zweifel und Widerspruch gereizt sein. Recht so; denn der Austausch des Für und Gegen wird beitragen, die Aschenschichte gedankenlosen Rationalismus' und Josephinismus wegzuschaffen, die heute noch immer in vielen Seelen das religiöse Erbe am Entflammen hindert.

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