6666354-1960_36_09.jpg
Digital In Arbeit

Wanderer zwischen den Welten

Werbung
Werbung
Werbung

DAS GÜLTIGE DRAMA DEUTSCHER ZUNGE gründet wesentlich auf sieben Namen jüngster Vergangenheit oder noch wirkender Ge;..nwart. Einer, der größte, gehört seinen Ur-sy.“.'gen nach dem bayrisch-schwäbischen Raum an: Bert Brecht; zwei andere weisen nach der Schweiz: Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Carl Zuckmayer kommt aus dem Rheinland und hat, nach einem amerikanischen Zwischenspiel, in Österreich eine neue Heimat gefunden. Diese drei aber sind ganz österreichisch von Anbeginn: Ferdinand Bruckner, Fritz Hochwälder und Franz Theodor Csokor. Brecht und Bruckner-Tagger weilen nicht mehr unter den Lebenden. Csokor aber ist es vergönnt, in ungebrochener Schaffenskraft seine hohe Begnadung noch heute auf der Bühne, in erzählender Prosa und als Lyriker zu bezeigen.

In Wien geboren, doch väterlicherseits aus einer serbischen Priesterfamilie stammend, Großneffe des Patriarchen von Karlowitz, Sohn des berühmten Mitschöpfers der modernen Tierheilkunde, Hofrat Professor Joann Csokor und einer vielbegabten Tochter der Kaiserstadt, ererbte er von den Eltern Frohnatur, Lust zum Fabulieren, Formgefühl und eine sehr reizsame Sensitivität. Kunsthistorische Fachstudien hat der Unstete nie bis zum regelrechten Abschluß fortgesetzt. Er durchbrauste eine lange, stürmische Jugend, trug im ersten Weltkrieg die Uniform, war am k. u. k. KriegsaTchiv tätig und empfing in jenen Jahren entscheidende, unauslöschliche Eindrücke: vom Untergang der, trotz allem unzerstörbar gewähnten, geliebten Habsburgermonarchie und, in Krakau, von der Auferstehung des tot vermeinten Polenstaates. Tief erschüttert geriet er völlig in den Bannkreis jener politischen, gesellschaftlich und literarischen Revolution, die den sehr zornigen und nicht mehr sehr jungen Mann noch vor der ersten Weltkatastrophe dem Expressionismus zugeführt und dem sozialen Umsturz genähert hatte. Den wilden Balladen „Die Gewalten“ (1912) folgten die Gedichte von „Der Dolch und die Wunde“ (1918), das vielumstrittene Theaterstück „Die rote Straße“, mit seiner, der Karl Kraus' gleichenden, Philosophie des erlösenden Eros, „Der Baum der Erkenntnis“ (beide 1919). Dann trat die eigene Dichtung zurück hinter einer fruchtbaren Wirksamkeit als Dramaturg an den beiden Sprechbühnen des hellsichtigen und umsichtigen Wiener Theaterdirektors Beer. Vierzigjährig, kehrte Csokor zur Aussage von dem wieder, das ihm sein Dämon eingab. Balladen vom „Ewigen Aufbruch“ (1926) — ein Hauptmotiv des ruhelosen Poeten — und die dramatische Legende vom weltlichen Heiligen Georg BüchneT „Gesellschaft der Menschenrechte“ waren Auftakt zum ersten überragenden Meisterwerk des zu sich selbst Gereiften, zur Trilogie „Besetzes Gebiet“,, ,3.Novemberl918“, „Der verlorene Sohn“. Zwischen 1929 und 1943 verfaßt, bewältigt sie ein ungeheures-ungeheuerliches Thema, das man „Die ersten Tage der entfesselten Unmenschheit“ nennen könnte. Besetztes Gebiet: Gegen die französischen Okkuppanten sind im Rheinland, Anno 1923, die gesetzlichen Parteien zum offenen passiven Widerstand verbündet. Zwei Gruppen aber begehren mehr, Blut, Haß und Chaos; ohne Rücksicht auf den einzelnen, auf die Ungezählten, die noch schwer an den Folgen des verlorenen Krieges tragen. Sie beide, Nationalisten von ganz rechts und Nationalisten der äußersten Linken, einander spinnefeind und dennoch so ähnlich, brauchen den Kampf, um aus ihm eine neue Ordnung aufkeimen zu lassen. Geächtete gegen Geachtete, Landsknechte gegen Bilanzknechte, Bürger, denen Ruhe erstes Bürgerrecht und höchste Pflicht bedeutet, gegen Entwurzelte. Zwischen allen beharrt Bürgermeister Monk, unheldischer Held auf einem verlorenen Posten, bis ihn der verlorene Haufen als Verräter den betörten Massen zur Lynchjustiz weiht.

3. NOVEMBER 1918; EIN NACHRUF AUFS ALTE ÖSTERREICH. In einem Kärntner Alpenhotel, das zum Rekonvaleszentenheim für Offiziere umgewandelt ist, erfahren zehn Angehörige der k. u. k. Armee binnen weniger Stunden, daß sie nur eine vom Zufall, und hätte er Jahrhunderte gedauert, zusammengeschmiedete Menschengruppe gewesen sind, die ein neuer, schlimmer Zufall auseinanderreißt und widereinander entflammt. Jules Romains Unanimisme drängt sich zum Vergleich auf. Doch Csokor leugnet das Zufällige dieser Gemeinsamkeit der im Habsburgerreich vereinten Nationen; durch den Mund seiner Gestalten. Des Slowenen: „In diesem Reich, das nun aus ist, da war noch ein Maß dagewesen, das für uns alle gereicht haben könnte, wenn man dort nicht zurückgeschaut hätte, statt zuvor.“ Der Madjare: „Ihr werdet alle noch weinen darum — schon in zehn Jahren vielleicht.“ Zuletzt der Dichtung Quintessenz: „(es) trauert die Erinnerung an ein Reich, wo Raum, Recht und Friede für sieben Völker durch Jahrhunderte gewaltet hatten, bis es von diesen Völkern in Stücke gerissen wurde, nur damit jene dann einander leichter in Stücke reißen konnten oder damit sie mächtigeren Nationen nun ungeschützt und rasch zur Beute fallen würden.“

Unerbitterlich peitschte die geschichtliche Logik die auseinandergerissenen Völker in einen Kampf ums unabhängige Dasein gegeneinander und wider raumfremde Übermächte. Das, was daraus entglommen ist, malen die furchtbaren1 Visionen im Spiel vom „Verlorenen Sohn“. In Jugoslawien, wohin der zweite Weltkrieg Csokor zeitweise verschlug, in der Heimat seiner Vorväter, wütet ein Bruderkampf, der jeder Blutgemeinschaft spottet. Aus ärgster Not wird Unrecht zu Notrecht. Doch wehe denen, durch die so harte Not über die Mensehen kam. Der Dichter aber, in schmerzlicher Entwicklung erleuchtet, verzagt nicht inmitten der Greuel des Ringens der Partisanen mit den fremden Eindringlingen. Am Grabe noch pflanzt er die Hoffnung auf. Mögen die Kinder dieser Welt sich an die grobe, trübe Wirklichkeit halten, die Flammen auf das im frommen Lichterglanz erstrahlende Haus der blinden Seherin schleudert. Er gesellt sich zu ihr, die Gottes Engel nahen fühlt und die strebend Seine, des Ewigen Gegenwart erspürt.

Für einen, der dieses christlichen Geistes geworden war konnte im Dritten Reich kein Platz oder wenigstens keine Möglichkeit sein, die Dichterstimme vernehmlich zu erleben. Um so weniger, als Csokor den Anschluß seines verkleinerten Vaterlandes ans großdeutsche Reich nicht zur Kenntnis nahm und da er hernach den Angriff auf Polen mißbilligte. Er war zu Besuch bei Freunden in Warschau, als der zweite Weltkrieg ausbrach. Von dort flüchtete er nach Rumänien, wie er das in einem Buch von epischer Größe erzählte, „Als Zivilist im polnischen Krieg“ (1939). Weiter trieb es ihn nach Jugoslawien und schließlich nach Italien. Dieses an Abenteuern reiche Entrinnen vor dem ihm durch die Gestapo drohenden Schicksal hat er in einer zweiten Schrift geschildert, „Als Zivilist im Balkankrieg“ (1947). 1946 konnte Csokor in sein geliebtes Wien zurück, endlich anerkannt und geehrt, wie er das verdiente. Präsident des österreichischen PEN-Clubs, durch den Burg-theaterring und mit dem Professorentitel ausgezeichnet, blieb er trotzdem der “ewige Bohemien, dem satte Behaglichkeit, dem jederlei Philistertum und schon gar ein otiurn cum dignitate widerstreben. Er veröffentlichte viele Dichtungen, die während seiner zehnjährigen Exilzeit entstanden waren, und er bot weitere Gaben seiner Muse dar; sich unablässig erneuernd und zugleich sich selbst getreu, hat er im „Schwarzen Schiff“ (1945) und in „Immer ist Anfang“ (1952) seine Lyrik gekrönt und dann aus ihr das Wertbeständigste gesammelt: das in sprachschöne Verse geborgene Bekenntnis eines lebenslang strebend sich Bemühenden, ein Wortkunstwerk von mitreißender Dynamik.

SPAT IST DER ERZÄHLER CSOKOR hervorgetreten, es sei denn, daß wir seine zwei Bücher des Kriegserinnerns unter die narrative Prosa einreihen. Der Wiedertäuferroman „Der Schlüssel zum Abgrund“ (195 5) besticht zunächst durch seinen Aufbau, der höchst originell die letzten Worte jedes Kapitels forthallen läßt als erste in das folgende. Durch derlei Bindeglieder werden die losen Szenen miteinander verknüpft, die sich, wie in Gobineaus „Renaissance“, zu einem harmonischen Ganzen fügen, einem im Kolorit wahren Gesamtbild einer Epoche und ihrer Menschen. Der Ausklang ist traurig und tragisch, wie bei jeder großen geschichtlichen Epik, seien es „Der Nibelungen Not“ oder die „Ilias“. Hochgesinnte Gottsucher und Menschenfreunde schreiten daran, einen Traum von Glück und Tugend zu verwirklichen in paradiesischer Unschuld, Schwärmer und Narren gesellen sich ihnen bei. Abenteurer, Betrüger und zuletzt Mörder greifen ein, die edelsten Vorhaben enden in Jammer und Blut. Die Reinen, IGuten, Gläubigen bleiben auf der Strecke. Sollen wir darum, jene Zeit und alle Zeiten verfluchen? (Der Welten Lauf ist ja nie anders ge-.wesen.) Da schaltet sich wieder Csokors mannhafte Resignation ein. Inmitten der Pein, die unser Erbteil ist. mangeln dennoch nicht die gesegneten Stunden, Tage, Jahre. Während die Wiedertäufer ihr Unwesen trieben und mit der gleichen Bestialität vertilgt wurden, die sie anderen gegenüber gebrauchten, hat man rings umher Großtaten der Wissenschaft geleistet, dank einem Kopernikus und Paracelsus. Im Zeichen der Renaissance blühten die Künste. Die Entdeckungen weiteten den Horizont. Die christliche Existenz wurde durch sittlichen Aufschwung entgiftet. Nicht dem Satan, sondern Gott gehört das letzte Wort Der „Schlüssel zum Abgrund“ öffnet so den Aufblick zu lichten Höhen. Und die unermeßlichen Schrecken der sechs Kurzgeschichten von „Der zweite Hahnenschrei“ (1959) bewähren am Leid der Unschuldigen zuletzt doch: „Helden können wir Sterbliche nur Augenblicke bleiben, jedoch ein solcher einzelner allein vermag uns so hinaufzureißen, daß wir uns reinigen in ihm zu einer Tat oder zu einem Werk, in dem wir Helden sind für alle Ewigkeit.“

Als Erzähler fesselnd und beachtlich, ist Csokor indessen vordringlich der Dramatiker, wie vom Beginn seiner Schaffenshöhe an, heute wie zuvor. In seinen der Bühne bestimmten Werken erweist er sich als der religiöse Dichter, dem die ewigen, die Letzten Dinge das vorderste Anliegen sind und der auf die dadurch gegebenen Fragen die eindeutig christliche Antwort erteilt. Die Reihe seiner diesen Problemen geweihten Stücke hebt an mit „Gottes General“ (1938), einem Spiel um Ignatius von Loyola, das - bewußt? — später an Zuckmayers ..Des Teufels General“ ein Pendant erhielt. Darin geht es darum, der „Menschheit zu zeigen, daß ihre Märtyrer und Bekenner wichtiger sind als ihre schimmernden Könige und Helden“. Das Loyola-Drama hat, wie die meisten Bühnenwerke Csokors, durch ein Erlebnis den Anstoß empfangen. Auch die Tragödie der heiligmäßigen polnischen Königin „Jadwiga“ (1939) leitet sich von einer Begegnung her: von der mit Krakau und den steinernen Zeugen seiner Geschichte. Mittelpunkt: das freiwillige Opfer, das der überragende einzelne seiner Gemeinschaft bringt, um Gottes willen.

In seiner zweiten, mächtigen Trilogie schildert der Dichter die Überwindung des müden Heidentums durch den christlichen Gedanken. Mit einer shakespearischen Mischung von erhabenem Ernst und anmutigem Scherz, denen sich geistreiche Satire aus der Zeitlosigkeit auf die heutige Zeit beimengt, um des Geschehens tiefere Bedeutung dem Fühlsamen spürbar zu machen, geleitet uns Csokor den Weg vom „Olymp nach Golgatha“ (1954) Das erste der hieT vereinten Dramen. „Kalypso“, war noch während des Exils entstanden Leicht an Offenbach gemahnende Götter und Halbgötter beiderlei Geschlechts umschweben und irniosrnen t)en

göttlichen Dulder Odysseus, in dessen Schicksal wir, nicht anders als auf einem einst berühmten Gemälde, Christus dem Olymp nahend vorahnen. „Casars Witwe“ zeigt Ihn schon an den Pforten der antiken Welt. Drei Themen sind hier einprägsam gestaltet: Auseinandersetzung zwischen Diktatur und Demokratie; der Große und der ganz kleine Mann als Mitschöpfer der Zeitgeschichte; der Heilige inmitten der ihm widrigen unfrommen Wirklichkeit. Und nun „Pilatus“. Da sind wir in den Kern der Dichtung Csokors eingedrungen. Er vermeidet das gefährliche, Wagnis, des Heilands Erlösungstat auf die Bühne zu bringen. Wie Homer die Schönheit Helenens aus den Reden der von ihr bezauberten Greise erstrahlen läßt, beschwört er nur den Nachhall des sühnenden Leids von Golgatha herauf. Es werden aber noch zwei Fragen erörtert: das Los eines Volkes unter fremder Besatzung — von diesem erlebten und erduldeten Problem ist unser Poet gleichsam besessen, er kann es nicht abtun aus seinem Denken — und das mystische Wirken der Gnade, der Berufung.

ES WÄRE UNBILLIG, ZU VERSCHWEIGEN, daß Csokor auch einige minder geratene Theaterstücke geschrieben hat, etwa „Wenn sie zurückkommen“ und „Treibholz“, das zwar einige ungemein lebensechte Figuren aus der Lampen-scheinweit der Bühne in die meisterhaft gezeichnete Seelandschaft österreichischer Alpen stellt, ihnen aber wenig überzeugende, schablonenhafte Schemen aus der Epoche Ibsens und des jungen Gerhart Hauptmann anfügt. Dafür ist sein vorläufig letztes großes Werk, „eine Komödie um die Letzten Dinge“ mit dem Titel „Hebt den Stein ab“ (1957) eine ungewöhnliche Dichtung. Es dreht sich da um inen modernen Lazarus, der, vom Arzt für tot erklärt, auf der Wissenschaft nicht enträtselbare Weise zum Dasein wiedererwacht, doch nur auf einen Tag. Csokor verhängt uns absichtlich Unklarheit, ob sich ein Wunder vollzogen hat oder ob die Unzulänglichkeit eines Provinzäskulaps einen Scheintod als wahres Hinscheiden mißkannt hat. Nicht das aber ist entscheidend. Wie zumeist bei unserem Dichter, richtet er an sich und an uns mehrere Fragen, deren Beantwortung er uns darbietet: Kann sich ein Wunder nur an einem dieses sittlich Würdigen ereignen; ist es denkbar, daß sich ein Bösewicht — sagen wir eher, einer der sich selbst und den die anderen dafür ansehen — in einen entsündigten, guten Menschen verwandelt; wächst, unter dem Eindruck eines starken seelischen Schocks, jemand in ein anderes Ich hinein, das er zunächst als aufgezwungene Rolle zu spielen sich weigerte, das ihm jedoch bald zur zweiten Natur geworden ist? Pirandello, Graham Greene sind in diesem Stück als Wahlverwandte Csokors besonders erschaubar. Sie und Reinhold Schneider, Papini teilen mit ihm ein christliches Ethos, das heldenhaft und trotzdem friedhaft, gewaltfeind ist, ohne sich über die Gegebenheiten unserer diesseitigen Welt Illusionen zu machen. Von einem anderen, örtlichen Standort aus ordnen wir Csokor in die glänzende Reihe der Dichter, die vom alten Österreich und für diese unverlierbare verlorene Heimat Zeugnis ablegen, zusammen mit Joseph Roth, Robert Musil, Felix Braun, Hermann Broch. Heimito von Doderer. Er hat einen weiten Weg durchmessen, vom ungebärdigen Stürmer und Dränger bis zum franziskanischen und franziszäischen österreichischen Nationaldichter, als den man ihn erkennen, anerkennen und begreifen sollte. Doch bei genauer Einsicht in sein breites und tiefes, vielfältiges Werk wird man dessen innere Logik und Geschlossenheit gewahr. Nie entbehrte es der lodernden Flamme und nie blieb es dem Vordergründigen verhaftet. Und darum ist es erfüllt von den Letzten Dingen, die für jeden echten Poeten die ersten sein müßten. Da Franz Theodor Csokor aber nicht nur, im Denken und im Fühlen, vom Hauch des Ewigen und des Großen inspiriert ist, sondern auch begabt mit der Kunst des adäquaten Ausdrucks seiner seelischen Bewegtheit, seiner Einsichten und Ansichten, hat er seinen vorderen Platz in der österreichischen, in der deutschsprachigen, in der Weltliteratur verbürgt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung