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„Zähneknirschende Lust“

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„Ich wurde eines Preises würdig befunden und möchte für das Zeichen der freundlichen Ermutigung danken, und zwar aus drei Gründen:

Erstens, weil in diesen Minuten etwas sehr Wienerisches, etwas sehr österreichisches, etwas sehr Mitteleuropäisches geschieht. Es wird durch eine symbolische Geste bornierter Chauvinismus überwunden. Die Familie von Franz Theodor Csokor stammt aus Kroatien. Piero Rismondo, mein Vorredner, kommt aus Triest. Ich bin in Budapest geboren. Es ist kein Zufall, daß wir einander in Wien getroffen haben: wir, Schriftsteller aus der slawischen, der romanischen und der ungarischen Kultur. In dieser mitunter orientalisch umständlichen und trägen, in dieser zuweilen allzu melancholischen Stadt sind Begriff, Lebensgefühl, Sitte der Urbs noch erhalten geblieben. Es ist Franz Theodor Csokor gewesen, der in seinem Stück „3. November 1918“ die Schicksalswende dieser Urbanität darzustellen vermochte.

Ich danke zweitens, weil die Gesten einer wärmenden Solidarität überhaupt so selten sind. Im literarischen Leben herrscht Frost, Gleichgültigkeit, Erfolgssucht, Geschäft, Verschrobenheit, Brutalität und ein geradezu stolzer Mangel an Bildung. Das zwingt uns zur Opposition. Wir befinden uns in Opposition gegenüber einem Machtgefüge, das uns “alle und auch sich selbst täglich bedroht durch die Anbetung von Geld und Gewalt. Csokor hat diese Pflicht zum Opponieren seinerzeit auf sich genommen und ein Leben lang erfüllt.

In der, wie man sagt, menschlichsten aller Welten verkümmert die erste aller menschlichen Freiheiten: die Freiheit vom Zweck. Wo aber alles vom Gedanken an die Zweckmäßigkeit beherrscht wird, kann es keine Liebe geben.

Jede unverspielte Gesellschaft muß zugleich auch lieblos sein. Liebe jedoch ist kein Begriff der albernen Rührseligkeit, sondern unter anderem ein Transportmittel geistiger Inhalte. So kann Lieblosigkeit zur Erstarrung, zur Lähmung und letztlich zum Absterben der Lebensfunktionen einer Gesellschaft führen.

In einer Gesellschaft der Kälte, die ihren eigenen Untergang mit einer merkwürdig masochisti-schen Neugier beobachtet, sind liebenswert leidenschaftliche Gestalten wie Franz Theodor Csokor als Leitbilder unerwünscht. Die Clique und' Claque der Ästheten entscheidet sich für die Herolde des- Unterganges, die die Auflö^ sung des Menschen im Tode beweinen oder die Auflösung des Menschen in der Auflösung seiner Sprache feiern.

Wir aber gehen nicht unter. Wir denken gar nicht daran, zu zerfallen. Wir sitzen von Anbeginn an in all den Höhlen, Labyrinthen und Katakomben der Menschheit, essen und trinken, singen und fluchen, denken und weinen, haben Liebschaften, zeugen Kinder, entziehen uns der Welt durch den Rausch oder ziehen auch noch die Welt in unseren Rausch hinein und brechen dann in diesem Zustand der Erleuchtung auf: zu den Gipfeln des Kaukasus, um Prometheus zu befreien und mit ihm eine wilde Utopie der kühnsten geometrischen Berechnungen zu errichten. Das Abendland mag untergehen; die Abendländer selbst bleiben erhalten. Aus ihren Hoffnungen blubbert wie aus einer wasserreichen Quelle die tägliche Revolution empor.

Franz Theodor Csokor ist ebenso ein Mann dieser Art von Menschlichkeit gewesen wie sein Freund ödön von Horväth, von, dem Csokor noch im Jahre 1961 schreiben mußte: „Die Gefahr droht, daß in unserer geistig zentrifugalen Zeit die Erinnerung an seine Bücher und an seine größtenteils noch unaufgeführten Stücke mit dem Hingang der letzten, die ihn kannten und liebten, erlösche.“ Seither ist Horväth von den Theatern erkannt, vom Publikum anerkannt und von manchen Ästheten verkannt worden. Csokor ging ihm voran, blieb nun hinter ihm zurück und wird ihn wieder einholen nach dem Zusammenbruch einer geschmäckleri-schen Ästhetik, die Vision und Emotion verachtet und dafür eintritt, die Freiheit des Spieles durch den Zwang des Kalküls, die Kunst des Lebens durch das Kunstgewerbe der Dekoration zu ersetzen.

Ich danke drittens, weil die Ehre, die mir zuteil wird, zugleich eine tiefere Bedeutung hat, da sie so verschiedene Schriftsteller wie Wolfgang Bauer, Pavel Kohout und nun mich verbindet und also ein Bekenntnis darstellt: ein Bekenntnis zur Vielfalt der Einsamkeiten, zur Toleranz unserer modernen Literatur, und dadurch zur Literatur schlechthin.

Es liegt darin aber auch ein Bekenntnis zum Schriftsteller als Person — zu seiner Stellung in der Gesellschaft. „Wie ist die Stellung des Schriftstellers? — Ich glaube, es herrscht in dieser Frage bei denen, die sie zunächst angeht, eine seltene Einmütigkeit. Die Berühmten und die Unberühmten, Freien und Unfreien, die Romane- und Stückeschreiber, die Journalisten und Essayisten — der armen Lyriker ganz zu ge-schweigen —, alle sind meines Wissens einig darüber: die Stellung eines Schriftstellers ist miserabel.“ Der Satz wurde 1891 zu Papier gebracht. Er stammt von Theodor Fontane. In den vierundachtzig Jahren seither hat sich in diesem Punkt nichts verbessen. Und damit kehren wir wieder zu Csokor zurück.

Ich fühlte mich Csokor sehr verbunden. Diese Zuneigung brachte es mit sich, daß ich ihm manches Mal an die Hand gehen konnte, zum Beispiel, indem ich helfen durfte, Tee zu kochen, den Ofen nachzulegen oder für ihn kleinere Wege erledigte. Denn als er älter war, mußte er Hilfe in Anspruch nehmen, Hilfe der Freunde, da er kein Geld hatte, um den kleinen bescheidenen Haushalt von jemandem besorgen zu lassen. Er scheute auch keine Mühe, auszugehen, um die Sache seiner Stücke und noch energischer die Sache vieler anderer Schriftsteller zu betreiben, und da er ein Taxi nicht hätte bezahlen können, fuhr er mit der Straßenbahn und fiel dann immer wieder von den Stufen des Einstiegs, richtete sich auf und fuhr dann unverzagt mit dem nächsten Zug.

In manchen Stunden des guten Rausches setzt er sich nun an unsere Tische, kostet unseren Wein, blickt uns prüfend an und zieht dann ein Manuskript aus der Manteltasche, um das neue Stück vorzulesen. Wir hören ihm zu. Dann macht er sich wieder auf den Weg durch die Bezirke Wiens, durch die Länder seiner Emigration, durch die Sprachen und durch die Zeiten.

So steht er vor uns, als Opfer und zugleich Bezwinger der Misere, den Kopf mit einer pathetischen Gebärde der Jugend emporgehoben, Hast schon gebrechlich und doch kompromißlos, Meister und Bohemien, Kämpfer gegen den Nazismus, Freund der freundlichen Tischrunden, Dramatiker des Leides und der Leidenschaft, zum Argwohn gezwungener Mensch einer frostigen Zeit, am Rand des Zynismus und dennoch voll vorsichtiger Hoffnung.

Diese Hoffnung ist es, die das Schreiben überhaupt erst ermöglicht. Hier liegt unsere einzige Chance: den Todeskampf zu bestehen — der sicheren Niederlage bewußt und dennoch mit der zähneknirschenden Lust an der allerletzten Mozartschen Pirouette.

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