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PARTISAN DER MENSCHLICHKEIT

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Als wir, Heimkehrer und nun Studenten, 1919 nach Versen, Bildern, Theaterstücken und Manifesten aus waren, gleich Ertrinkenden nach Rettungsringen, Brettern und Strohhalmen, da saß auch der ältere Franz Theodor mit dem einprägsamen österreichisch-ungarischen Namen diskutierend und anfeuernd unter uns. Mit seinen 34 Jahren (ein Nachwuchsautor nach heutigen Begriffen), damals bereits arriviert und zukunftsträchtig wie sein eben gedrucktes Stück „Die rote Straße“. Der Name allein schon eine Fahne. Für die Diener im Kriegsarchiv hatten wir als junge Offiziere mit ausgiebiger Fronterfahrung nichts übrig. Csokor aber hat uns deshalb nicht beschimpft oder verachtet, er fand es auch nicht unter seiner literarischen Würde, uns beizustehen. In Versen, im Drama hatte er ja ausgesprochen, was wir, an Leib und Seele geschunden und durch den Zerfall des Reiches verstört, lange noch nicht sagen konnten. Inmitten von hysterischem Geschrei und viel Gestammel aus Berliner Cafes redete er unsere Sprache. Plakatierte Humanität gab es damals ja genug, radikal expressionistisch, dadaistisch, sehr viel ursprünglicher als aus den heutigen lyrischen Laboratorien, „tabula rasa“ in allen Bereichen des Lebens und der Kunst als Vorstufe, als Vorbedingung einer neuen, besseren Menschheit. Noch hinter der Verrücktheit stand ein heißer Glaube, nicht die Absurdität. Was freilich war gerade bei den lautesten Schreiern bald noch tatsächlich Humanität oder Dienst am neuerweckten Geiste, am neuen Menschen?

Auch das Werk des nun Achtzigjährigen wächst noch immer, mit dem gleichen Elan, aus dem gleichen Geiste. Zu jeder Auseinandersetzung mit den Mächten der Zeit bereit, ist er so viel jünger als ein Dutzend wehleidige oder in Experimente versponnene Junge und Jüngste. Noch überrascht er uns durch neue Stücke oder wie im letzten Jahr durch seine gesammelten Briefe. Was ich aber als der ein wenig jüngere Zeitgenosse und Gefährte so sehr an ihm schätze, darf ich heute schon sagen. Zum ersten: er hat den Kampf um Wahrheit und Menschlichkeit nie aufgegeben. Als viele Poeten der Schreie, Manifeste und Experimente müde, weithin jede geistige Auseinandersetzung, jeden literarischen Kampf gegen Lüge, Gewalt und Nihilismus als unpoetisch abtaten, blieb Csokor in Vers und Drama, in Rede und Essay stets bei den Engagierten, bei den Partisanen des Menschlichen, lange bereits vor der dann auch vollzogenen Emigration. Der Vorwurf, daß die Dichter in den dreißiger Jahren nicht zum Widerstand gegen die Mächte des Ungeistes aufgerufen haben, ihn trifft er nicht.

Er zählt aber auch nicht zu jenen Literaten, die (auch heute noch) mit dem Kampfruf: Humanität und Menschenrechte einer anderen Diktatur den Weg bereiten und diese Parolen nur herausrufen, wenn es in ihr politisches Konzept paßt. Er war nie, ein Wort Franz Werfeis zu gebrauchen, ein (literarischer) „Vorheizer der Hölle“. Sein Ansehen in der literarischen Welt als Präsident des österreichischen PEN-Zentrums gründet nicht zuletzt in diesem bedingungslosen Eintreten für Freiheit des Wortes, Menschenrecht und geistige Unabhängigkeit, nach allen Seiten hin. Dazu gab es gerade in den letzten Jahren Anlässe genug, und wenn es auch die Öffentlichkeit bei uns kaum zur Kenntnis genommen hat, der österreichische PEN hat sich mit seinem Präsidenten stets sehr viel entschiedener für die Freiheit engagiert als große westliche Zentren, die auf ihre Liberalität und „Fortschrittlichkeit“ so stolz sind!

Wenn so viele seiner expressionistischen Zeitgenossen entweder resignieren, sich in Formexperimenten verlieren, diese heute wiederum aus der untersten Lade hervorholen, wo ihr Humanismus vor lauter Weltbürgerlichket beim ersten Widerstand zerfällt, schreibt Csokor mit dem Drama „Dritter November 1918“ den schönsten, den reifsten Nachruf auf das alte Österreich. Für ihn lebt das alte Reich in der Idee und im Herzen, er wird zum Dichter der Wirklichkeit: Österreich. Nicht weil er irgendwie später einen patriotischen Weg einschlägt oder nur aus dem einen gesamtösterreichischen Bluterbe heraus, für ihn bleibt Österreich mit all seinen Schwächen und Fragwürdigkeiten die große Verwirklichung einer humanistisch übernationalen Idee, verklärt noch im Untergang. Genauso über alle politischen Grenzen und Zufälle hinweg wie die Idee des Glaubens, der Kirche, sein Ringen mit beiden in den meisten seiner neueren dramatischen Arbeiten vom Ignatius-Stück „Gottes General“, 1938, über die polnische Nationalheilige „Jadwiga“ zu „Pilatus“ und zu der noch unveröffentlichten Auseinandersetzung zwischen Diokletian und Konstantin in „Kaiser zwischen den Zeiten“. Auch dieser immer neue Anlauf um das Wesentliche der christlichen Haltung ist bei Csokor kein Bruch mit seinen revolutionär expressiven Anfängen oder ein spätes Einschwenken in konservative Ideen, es ist letzter Ausdruck eines hohen Ringens um den Menschen und Frucht eines franziskanischen Herzens. Auch Ignatius von Loyola ist bei Csokor ein anderer Franziskus, und bei der großen Auseinandersetzung des abgedankten Diokletian mit dem noch ungetauften Konstantin nach dessen Edikt zeigt sich, daß Konstantin die Christen mitschuldig an der Macht machen und damit die Kirche der Märtyrer verweltlichen wollte. Dazu wäre manches zu sagen. Die das christliche Abendland immer wieder erschütternde konstantinische Schenkung, das Problem von Christentum und Macht wurde kaum je so knapp gefaßt und so viel ehrlicher und tiefer als es heute auch von Katholiken oft gestellt und kritisch durchleuchtet wird, anders als in Ton und Ziel jener Nachzügler des 19. Jahrhunderts, die — als „fortschrittliche“ Menschen — jede Auseinandersetzung mit der Kirche heute noch für überflüssig halten.

Immer wieder, wenn das Gespräch um die gegenwärtige Situation des Theaters geht, erklärt er, wir werden solange kein neues großes Drama haben als wir keinen Glauben haben. Man sollte dieses Wort mit all seinen Konsequenzen durchdenken, ist es doch die stärkste Kampfansage gegen den Nihilismus auf allen Linien. Noch scheuen freilich die Theater gerade vor diesen um das Glaubenkönnen ringenden Stücken zurück. Aber da ist ein Dichter, für den — als den legitimen Nachfolger Georg Büchners — der geistige Aufbruch nach dem ersten Krieg keine Mode, keine Phrase war, der sein Leben lang für den Menschen, für die Rechte des Menschen gestritten hat, wiederum ohne sich einem Ismus oder einer Clique zu verschreiben, der diesen Kampf, den es immer lohnt, auf österreichische Art führt, als ein wahrer österreichischer Dichter, wenig begriffen und ein wenig einsam im literarischen Zeitgetümmel.

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