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VON NEUEN BÜCHERN

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3. November 1918, Besetztes Gebiet, Der Verlorene Sohn. Von Franz Theodor Csokor. Paül-Zsolnay-Verlag, Wien 1952. 245 Seiten

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3. November 1918, Besetztes Gebiet, Der Verlorene Sohn. Von Franz Theodor Csokor. Paül-Zsolnay-Verlag, Wien 1952. 245 Seiten

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Csokor, mit Bruckner und Hochwälder einer aus der Großen Drei österreichischer Dramatiker der Gegenwart, hat eben die Gesdjichtstrilogie in einer Gesamtausgabe erscheinen lassen. In dieses Werk hat er sein Bestes und unserer Zeiten Schlimmstes hineingebannt. „Besetztes Gebiet“ nimmt zum Rahmen ein linksrheinisches Städtchen. Die Franzosen sind damals, im Sommer 1922 und im Frühjahr 1923, jedem unwillkommene, vielen verhaßte Herren über ältesten deutschen Raum. Keineswegs sinnlos grausame Zwingherren, doch fremde Gebieter, die der Krieg, ihr Sieg und des Reiches Niederlage hergeführt hat. Männer der mannigfachsten gesetzlichen Parteien hat der passive Widerstand vereint. Zwei Gruppen aber genügt das nicht. Sie wollen Blut und Haß, das Chaos; ohne Rücksicht auf da6 Leid der Einzelnen, der Zahllosen, die noch an den Folgen des verlorenen Krieges schwer tragen. Denn diese beiden, Nationalisten und Internationalisten der äußersten Rechten und der äußersten Linken, einander bitter feind und dennoch einander in Haltung und Methoden so ähnlich, brauchen den Kampf, um aus ihm ihre neue brdnung eistehen zu lassen; sie wollen Blut und Haß, teils weil es so in ihrer Wolfsnatur liegt, teils weil friedliche Arbeit und Eintracht, der Klassen und der Völker, nicht den ersehnten Umsturz bescheren. Geächtete gegen Geachtete; Landsknechte gegen Bilanz- knechte; Bürger, denen Ruhe erste Pflicht und höchstes Recht bedeutet, gegen Entwurzelte und Entwurzelnde, in denen die Unrast rast: Csokor berichtet ihren tragischen Widerstreit, mit Wucht und Lebenstreue, mit einer Unbefangenheit, der trotzdem nie ein fester sittlicher Standpunkt mangelt. Der tapfere Bürgermeister Monk, Offizier des ersten Weltkrieges, doch kein Mordsüchtiger unter Toten auf Urlaub, gleicht schon dem Ignatius von Loyola, „Gottes General“, den C6okor später als einen Bekenner und Märtyrer, als 6tillen, den Glanz verachtenden Helden seinem Volke, der Menschheit zum herrlichsten Beispiel gibt. „Aber vielleicht dämmert einmal eine Zeit, nicht Wenn ihr Deutschland befreit habt auf eure Art — wenn das Land da drinnen (deutet sich auf die Stirne) befreit’ ist —, von euch." So hat Franz Theodor Csokor das Problem Deutschland hellseherisch zusammen- gefaßti im Jahre 1929, dem letzten eines täuschenden Scheinfriedens.

Danh schrieb er 6ich, 1936, nicht mehr als eindringlicher Zeuge, sondern als mitleidender Mitunschuldiger, den Nachruf aufs alte Österreich vom pochenden Herzen, „3. November 1Ö18". In einem Alpenhotel der Kärntner Karawanken, das zum Rekonvaleszentenheim für Offiiziere umgewandelt ist, sind sieben Offiziere, ein Regimentsarzt, ein Unteroffizier und ein Soldat der k, u. k. Armee zu einer Gemeinschaft vereint, die ihr Oberhaupt, der Oberst von Radosin, für so unzertrennbar ansieht, wie das die Wahlsprüche der Monarchen verkündeten, „Viribus Unitis" und „Indi- visibiliter ac inseparabiliter". Doch binnen weniger Stunden werden alle erfahren, daß sie nicht mehr gewesen sind als eine jener Menschengruppen, die der Zufall, und hätte er Jahrhunderte gedauert, zusammengeschmiedet hat und die der Zerfall einander rasch entfremdet, ja, die er widereinander entbrennen heißt. Csokor hat da kaum an Jules Romains und seine Lehre vom Unanimisme gedacht; sie drängt 6ich aber dem Besinnlichen , zum Vergleich auf. Und sie wird vom österreichischen Dichter an diesem seinem Exempel widerlegt. Denn das war kein Zufall, der da Nationen zusammengefügt hat, die einander an sich nicht aus6tehen konnten und die zu bestehen nur solange vermochten, als sie für einander einstanden. Dem Tschechen Sokal, der bemerkt „in einem Jahr fragen wir uns: Wie i6t das überhaupt möglich gewesen, dieses Österreich-Ungarn?’, antwortet der Magyare Orvänyi nicht etwa mit den Worten, die einst Sokals Landsmann Palacky geschrieben hat: „Wenn es kein Österreich gäbe, müßte man es erfinden", sondern mit der Prophezeiung: „Ihr werdets mir alle noch weinen darum — schon in zehn Jahren vielleicht“. Warum? Der Slowene Zierowitz (eine unmögliche Namensform) begründet das: „In diesem Reich, das nun aus ist, da war noch ein Maß dagewesen, das für uns alle gereicht haben könnte, wenn man dort nicht zurückgeschaut hätte, statt zuvor.“ Das und noch die 6chon im Loyola-Drama ausgedrückte Leitidee „wenn man Europa eint gegen den Osten, ehe der Osten sich eint gegen uns“, sind die politischen Konzeptionen, auf denen sich da6 Dichtwerk des Denkers und Poeten aufbaut.

Er steht ja damit nicht allein. Die Landschaft und die Situation des „3. November 1918 gemahnt ja so 6ehr an die ungeheuerlichen Schlußszenen in Karl Kraus’ „Letzten Tage der Menschheit“; der Nachruf auf Österreich weckt Erinnerung an „Kakanien“ in Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Der Fluch gegen den selbstzerstöreri6chen Nationalismus ist von Joseph Roth einem Raisonneur seiner „Kapuzinergruft“ in den Mund gelegt worden. Kraus gab als Satiriker ein zorniges Zerrbild, Mu6il klagte in wehmütiger Ironie, Roth klagte pathetisch die Totengräber Österreichs an. Csokor aber hat 6ein Stück mit der ruhigen, resignierten Weisheit des Staatsmanns, des Soziologen erarbeitet, und wir fühlen bei dieser antiken Zeittragödie, darin sinnbildliche Gestalten zugleich ihre nationale Gemeinschaft und deren Ideen, doch auch lebensecht sich selbst verkörpern, das alias wirklich und eigentlich so gewesen i6t, daß es so kommen mußte und warum es 60 kommen mußte.

Unerbittlich peitscht die geschichtliche Logik, die historische Gerechtigkeit, die nun auseinandergerissenen Völker in einen Kampf ums unabhängige Dasein; gegeneinander und, hoffnungslos, wider die raumfremden Übermächte. Was daraus an Grauen entglommen ist, das malt uns in furchtbarer Vision das Spiel vom „Verlorenen Sohn“, Csokor hat es in jenem Jugoslawien erlebt, da6 die Heimat seiner väterlichen Vorfahren war. Nicht nur Volk 6teht wider Volk, die alte Schicksalsgemeinschaft verleugnend, sondern auch Brüder wider Brüder, der Blutsgemeinschaft un- eingedenk. Partisanen haben in dieser wilden Landschaft ein ganz anderes Daseinsrecht, eine ganz andere Rechtfertigung für ihre, an sich nicht geringere, Schuld als in Deutschland, beim Kampf zwischen großen gesitteten Völkern. Hier wird aus der ärgsten Not das Unrecht wirklich zum Notrecht. Doch wehe denen, durch die so herbe Not über die Menschen kam. Auch wenn sie 6ich, wie Pilatus und gleich dem faschistischen Kommandanten, der in diesem Stück das letzte Wort hat, die Hände in Unschuld waschen Und es ist doch hur das Wasser eines Kübels. Csokor pflanzt aber noch am Grabe die Hoffnung auf. Mögen die Söhne dieser Welt es mit der groben Wirklichkeit halten, die Flammenwerfer auf das im frommen Lichterglanz erstrahlende Haus schleudert. E r ist mit der blinden Seherin, die Gottes Engel nahen schaut und die noch im Sterben Seine, des Ewigen Gegenwart erspürt.

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