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Zygmunt Krasinski, der Dichter der „Ungöttlichen Komödie”

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KRASINSKIS ERDENWALLEN gleicht einer klassischen Symphonie, die, von wilden Stürmen erfüllt, letztlich zu ihrem Ausgangspunkt und zur Ruhe im ewigen Gesetz zurückfindet. In Paris, unter dem Ersten Kaiserreich — am 19. Fe- bruar 1812 — geboren, ist er dort während der Regierung Napoleons III. gestorben. Im Gegensatz zu den beiden anderen großen polnischen Romantikern, Mickiewicz und Slowacki, sehr freiwillig im Exil, das er jederzeit mit dem Aufenthalt in Warschau oder auf einem seiner polnischen Güter hätte vertauschen können. Er mied aber die Heimat, nicht nur, weil er mit deren Unterdrückern, sondern auch, da er mit den Unterdrückten keine Gemeinschaft haben konnte. Er weste zeitlebens in einer Welt, die nicht die greifbar-irdischž war. Das Besondere an diesem, so möchte es scheinen, unechten Romantiker war jedoch, daß er trotzdem die Wirklichkeit mit tiefer Einsicht durchschaute und daß er, mit grausamer Selbstzerfleischung, sich und sein Volk, seine Zeit getreu der Wahrheit schilderte.

In diesem schwarzsehenden Hellseher bestand die Zwiespältigkeit nicht etwa darin, daß — wie häufig —Jder Mensch des Alltags und der Dichter, das Leben und das Werk zueinander im Widerspruch- lagen. Sie waren bei Zygmunt Krasinski eins. Der innere Gegensatz, der sein Dasein und sein Schaffen tragisch stempelt, zeigt sich vielmehr darin, daß Mensch und Dichter erbarmungslos realistisch alles das sehen und es beschreiben, das i s t, während sie sich in die süßesten Träume nie erfüllbarer Sehnsucht verlieren, sobald verkündet wird, was sein soll.

VERGEBENS trachten Literarhistoriker, die darauf erpicht sind. Perioden des Höffens und des Verzweifelns, wortkünstlerische Gestaltungen der Zuversicht und der Düsternis fein säuberlich bei Krasinski voneinander zu trennen. In jedem Augenblick, in jedem Werk wohnen da Optimismus und Pessimismus eng nebeneinander. Doch es überwiegt in der Existenz wie in der Aussage dieses vielgeliebten Liebenden gar sehr die zu Tode betrübte Stimmung über die selteneren Momente himmelhohen Jauchzens. Der aller materiellen Sorgen bare Magnat, der schöne, geistreiche, kluge und kenntnisreiche Herzensbrecher, der ungehemmt schaffende, sprachgewaltige Poet litt an unheilbarem Weltschmerz, den wir nur zum kleinen Teil aus einer frühen Bresthaftigkeit, zumal aus der Angst vor dem Erblinden, deuten können. Gewiß, die Melancholie, die blassen Qualgedanken waren und sind eine Berufs krankheit eben der berufensten Dichter. Sie waren und sie sind, wenigstens in regelmäßiger Wiederkehr nach euphorischen Zwischenspielen, eine Zeit krankheit, von der vor allem die begabtesten Sprossen aus dem Vordergrund der politischen Szene abtretender Oberschichten befallen werden: Lord Byron, der Vicomte de Chateaubriand, der Patrizier Leo- pardi, der Bojar Puškin. Die indessen allesamt durch ihre Klagen und Anklagen nicht daran gehindert wurden, die Freuden dieses Jammertals ausgiebig zu genießen, sowenig wie den hoch- geborenen Freiheitskämpfern ihre demokratische Leidenschaft ein Hindernis war, die Vorrechte der eigenen aristokratischen Abkunft auszu- ąchopfen. Krasinski unterscheidet sich von diesen genialischen wandelnden Paradoxen dadurch, daß er wenigstens in seiner Gesinnung und in deren offenem Bekenntnis logisch und konsequent war: konservativ, antidemokratisch, den Demagogen feind und sie verachtend, sie verabscheuend, wie das zum stolzen Einsiedler im elfenbeinernen Turm paßte. Er handelte und empfand logisch und konsequent, weil er im Grunde, unter der romantischen Hülle — wir möchten nicht setzen: unter der romantischen Maske —, real die Dinge und die Menschen betrachtete. Daher auch die Echtheit seines Pessimismus, der tief im Gemüt wurzelte und neben dem die optimistischen Ansichten nur als Früchte der Erziehung, als Vermächtnis religiöser und nationaler Lieberlieferung zu begreifen sind.

Allein und fremd stand er seiner Zeit gegenüber, noch fremder einer Zukunft, die er ahnte. Er wußte sich zugehörig einer untergehenden Ordnung, einer aus ihrem Vorrang geworfenen Herrenklasse. Er sah den Sieg der geschworenen Feinde dieser Ordnung und dieser Klasse unaufhaltsam nahen. Ihm aber, dem durch keine Erfolge eines Triumphierenden bestechbaren Cato, gefiel die verlierende Sache; mochte die gewinnende den Götterleugnern gefallen. Das ist der eigentliche Kern der Philosophie und der Dichtung Krasinski” Dieses Essentielle wird nun verdeckt von der noch am Grabe der sterbenden, der gemordeten besseren Welt von gestern aufgepflanzten Hoffnung aus dem Glauben. Contra spem spero. Es kann ja nicht sein, daß Wahrheit, Gerechtigkeit, heilige Ordnung verschwinden die einst herrschten, als Europa noch wirklich die Christenheit war — wie das der von Krasinski bestaunte Novalis dem Hochmittelalter nachrühmte. Hinter dem folgerichtigen Schluß der „Ungöttlichen Komödie”, seines unvergleichbaren Meisterwerks, dem Freitod des Führers der Aristokraten und hinter der Eroberung ihrer letzten Feste durch die Revolution, steht ein wenig überzeugender Epilog, in dem der Führer des Umsturzes, geblendet vom strahlenden Kreuz, seinerseits zusammensinkt: „Du hast gesiegt, Galiläer!” Du hast gesiegt! Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind. Einzig in derlei kindhafter Sphäre vermag die Krasinski teuere Sache zuletzt doch noch zu triumphieren. Wiederum eines Wunders bedürfte es, daß sich sein politischer Traum erfüllte: „Jeden tylko, jeden cud, z szlachtą polską polski lud.” „Ein Wunder nur, das eine. Daß Polens Volk sich mit dem Adel vereine!” So heißt es in einem der „Psalme”, die Zygmunt Krasinskis zweite währende Dichterschöpfung sind. Eine dritte, von einer erlebten Vision am Corner See angeregt, nennt sich „Przedswit” (Morgendämmerung). Sie bedeutet ein seltenes Gelingen: das einer Lehrdichtung, die den Zweifelnden und Verzweifelnden geschichtsphilosophischen Halt beschert und die dennoch herrliche Musik, berauschender Trunk der fühlsamen Seele ist. Grundgedanken dieses Poems sind der allen großen polnischen Romantikern, den Denkern wie Cieszkowski und den Dichtern wie Mickie- wiecz gemeinsame Messianismus, die Ueberzeu- gung, daß ihr Land, ihre Nation zum Leid auserwählt seien, um ein stellvertretendes, erlösendes Opfer darzubringen. Mickiewicz erblickt/ in seinem Volk den „Christus unter den Nationen”, der für diese alle büßt und der „leidend wieder erhöht ward; also geschah des Ewigen Wille”. Krasinski deutet das Schicksal seiner dreigeteilten Heimat dadurch, daß die von den übermächtigen Nachbarn zerstückelte Rzeczpos- polita zu edel war für diese Welt. Mickiewicz war von seiner These durchdrungen. Krasinski gestand zu, daß er eine Geschichtslegende schaffen wollte, an deren objektive Wahrheit er nicht glaubte, die er aber für geeignet erachtete, seinen Landsleuten Trost und die Kraft zur innerlichen Wiedergeburt zu spenden. Er verglich sein Volk nicht so sehr mit dem schuldlosen Heiland als mit einer, im Grunde hochgesinnten, guten Sünderin, die man für immer dem Verderben weihte, hielte man ihr schroff ihre Verfehlungen vor; die jedoch durch sanften Zuspruch zu retten und auf den rechten Weg zu geleiten wäre, wenn ihr ein weiser Seelenhirt das Zutrauen an ihre eigenen sittlichen Gaben wiederschenkte.

DASS ZYGMUNT KRASINSKI weder in bezug auf seine Nation noch auf seine Gesellschaftsschicht verblendet war, wir ermessen es an ihr, die seines Wirkens frühe Krönung, seines noch in späte Zukunft fortdauernden Nachwirkens Bürgschaft ist, an der „Ungöttlichen Komödie”. Eine hinreißende, unerhört mannigfaltige. einprägsame Dichtung. Zugleich die gültigste dramatische Vorausnahme des Klassenkampfes, noch ehe Marx dieses Totschlagwort in die politische, soziale und wissenschaftliche Arena schleuderte. Ein pathetisches, ein ironisches, ein in mystische Nebelschwaden gebanntes und von aufleuchtenden Blitzen durchzucktes Schauspiel, das die entfesselten Naturgewalten darbieten. Und anderseits die Tragödie des zweigespaltenen Einzelmenschen, des großen Einsamen, des zum Himmel Strebenden, von Dämonen Gepeinigten, des teuflisch Versuchten, Hochgesegneten, Hochverfluchten, des von seiner dichterischen und denkerischen Macht wie von seiner vor der wirksamen Tat offenbaren Ohnmacht Zerquälten. So ist die „Ungöttliche Komödie” beides, die Geschichte (und philosophische Analyse) der polnischen Nation und die des Zygmunt Grafen Krasinski, des Poeten und Politikers, des Gatten, Sohnes und Vaters, des Lieblings des Eros und der Musen, des Gefangenen finsterer, seiner Seele und seinem Leibe unholder Gewalten. Als der Autor, zwanzigjährig, noch kaum dem Hofmeister entwachsen, in Lyon die Erhebung streikender Arbeiter gegen ihre Brotherren beobachtete, als er mit den Schriften Saint-Simons und der utopischen Sozialisten widerstrebend Kontakt anknüpfte, da entrollte sich vor seinem geistigen Auge ein Bild, das drei Generationen später volle Wirklichkeit wurde. Pankracy, der im Zerstören und im Neuaufbau gigantische Führer der Revolution, ist ein dem Späteren erschreckend ähnlicher Vorläufer Lenins. In Henryk aber, dem obersten Streiter für die auf den Schanzen der Heiligen Dreifaltigkeit erliegende „agrar-feudale” — nicht etwa die kapitalistische — Welt, malt Krasinski ein Selbstbildnis, den Helmbuschritter im Jahrhundert der Maschinen und des Positivismus, den Egotisten, der weit besser zu sterben weiß als zu leben.

Um diese Gegenspieler kreist, wirbelt eine zahlreiche Schar von Schemen, Person gewordenen Symbolen, von echten Menschen aus Fleisch und blauem oder rotem Blut. Die Reihe der scheinbar losen, doch durch ein starkes inneres Band miteinander verketteten Szenen ergreift jeden Fühlsamen aufs stärkste. Hier spricht nicht der für seine Ideen werbende, ermunternde Lob- preiser vergangener Zeiten. Er hält den Abtretenden das vollgerüttelte Maß ihrer törichten Taten, ihrer Untaten, ihrer Tatenlosigkeit vor. Er schmeichelt niemandem, schon gar nicht den künftigen Siegern aus der „neuen Klasse”. Und doch breitet er über eine vielleicht nicht gute, doch schönere alte Zeit den wehmütigen Schimmer matt funkelnden Glanzes. Was tut es, daß er, in den Außenstehenden, den Heutigen kaum begreiflicher Selbstverständlichkeit, die Religion — das ist für Krasinski: der Katholizismus — mit dem Ancien regime, die Sache der Menschheit mit der Polens gleichsetzt! Die „Ungöttliche Komödie” hat ihre in sich geschlossene Logik und sie ist als Komposition, als Bewältigung ihrer zwei Hauptprobleme, als hehres Wortkunststückunübertrefflich. Jedesmal, wenn sie über die Bühne ging, auch im deutschen Sprachraum, zuletzt in Csokors ausgezeichneter Bearbeitung am Wiener Burgtheater, hat sie den nachhaltigsten Eindruck geübt, und zwar, das war die Feuerprobe, auf eine Zuschauerschaft, die nur vom Allgemein-Menschlichen und y vom Zeitlosen, nicht aber vom Polnischen-AIlzupolnischen und vom zeitgebundenen Romantischen ansprechbar war.

Aehnliches dürfen wir von Krasinskis zweitem Drama, „Irydion”, kaum behaupten. Es ist dazu prädestiniert, gelesen und behutsam überdacht, nicht aber auf die Bühne gebracht zu werden. Das hat eben erst ein Theaterexperiment im jetzigen Polen bestätigt. „Irydion” ist lehrhaft und weithin dialogisierte Geschichtsphilosophie, wie die „Ungöttliche Komödie”. Allein hier überwuchert die aufdringliche, ob auch hochgemute Tendenz zu sehr das Dichterische, dessen Niveau auch in dieser Schöpfung erlauchtester Wortkunst unbestreitbar ist. Auf dem Werk lastet seine Gleichnishaftigkeit. Die Handlung spielt im antiken Rom, zur Zeit Heliogabals, und ein Hellene, Sohn einer Germanin, ist der Held einer Mär von lange gehegten und endlich gescheiterten Vergeltüngsplänen. Irydion, des Amphilochos Sohn, trägt aber nur ein Kostüm aus dem klassischen Altertum. In Wahrheit ist er ein Pol e, der an den Römern-Russen sein unterdrücktes Vaterland rächen will. Er ist das, noch ehe zum Schluß ein göttlicher Spruch ihn auf die Erde zurücksendet und als Pole wiedergeboren werden läßt. (Die Seelenwanderung stört dem sonst sehr rechtgläubigen Katholiken Krasinski in diesem Falle nicht das Konzept.) Bei der Lektüre kann man freilich die grandiosen Schauungen, die prächtigen Panoramen des kaiserlichen Rom, die Monumentalität der wichtigsten Gestalten eines Gedankenepos vorbehaltlos bewundern, das von der Bühne herab ob seiner doppelten Kostümierung verwirrt un wenn, wo es uns ergreift, dies nicht im Sinne des Dichters tut, sondern als von Ort, Zeit und Absicht losgelöste Tragödie großer Seelen.

WAS ABER BLEIBT als Quintessenz aus Krasinskis Gesamtwerk? Die Magie seiner Sprach- gewalt erlischt an der Grenze des polnischen Raums. Damit sind „Irydion”, „Morgendämmerung”, die „Psalmen” und so viele lyrische Kostbarkeiten den Nichtpolen verwehrt. Doch es ragt Dreierlei hoch empor, strahlend über alle Bezirke der Weltliteratur: Zunächst als Ganzes die „Ungöttliche Komödie”, von der nur die unmittelbare Begegnung mit ihrem, auch der Uebersetzung standhaltenden Text das wahre, erhabene Maß zu geben vermag. Hernach die gerade an dem mit dem Antlitz rückwärts gewandten Magnaten und Poeten doppelt preisliche Abkehr von einem sturen aggressiven Nationalismus und die Einsicht, daß die innigste Liebe zu den eigenen Volksgenossen, soll sie nicht das Gewissen des Christen beschweren, auch im Kampf ums nationale Dasein den Haß und die Rache verbietet. Endlich die beglückende Erfahrung, daß die große, aus reiner Quelle ent- entspringende Dichtung unvergänglich fortlebt, mögen die Ideen, die sie verficht, mag der Rahmen, der sie umhegte, dahin und den Späteren ein Abscheu, eine Scham und vielleicht ein schmerzliches Gelächter sein. Das heutige Polen ehrt den Poeten, der ihm, weilte er noch hie- nieden. todfeind wäre. (Noch vor drei Jahren, vor dem Oktober 1956, wäre das undenkbar gewesen.) Jm deutschen Sprachraum. in Europa, in der gesamten westlichen Welt, wo keine ideologische Verketzerung der Dichtung statthat, wird man um so eher über das Unzeitgemäße des Betrachtens hinwegsehen und in Zygmunt Graf Krasinski des Dichterfürsten gedenken, dem kein Umsturz die höhere, zwar angeborene, doch nicht ererbte Krone rauben kann.

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