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„Das Ende Österreichs“

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Wie sehr Auffassungen und Gefühle auseinandergingen, enthüllte sich besonders deutlich, als Hitler den Staat Österreich an sich riß. Die meisten Deutschen riefen Beifall, am lautesten jene, die Österreich nicht kannten und jeden Österreicher gern als einen rückständigen Menschen bezeichneten. Die andern aber, die das Land liebten und Freunde darin hatten, merkten, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zuging. “Von einer Vereinigung des Nachbarlandes mit dem Reich hatten viele gute Deutsche seit langem geträumt, so vor allem Paul Lobe, der sozialdemokratische Präsident des deut-Redchstages zwischen den zwei Kriegen, und man konnte sich wohl Verhältnisse denken, unter denen ein organisches Zusammenwachsen erfolgt wäre, ohne daß Österreich alle Selbständigkeit und Eigenart eingebüßt hätte. Um aber einen solchen freien Bund oder gar eine Reichseinheit zu stiften, dazu wären Staatsmänner mit Fingerspitzengefühl von-nöten gewesen, große Geduldige, begabt mit einem Sinn für .Imponderabilien“, wie Bismarck die unbestimmbaren politischen Dinge nannte, brüderlich fühlende Geister, die nicht halbreife Früchte von den Bäumen herunterschlagen wollten. Mir erneuerte sich in jenen Tagen des deutschen Einmarsches die Erinnerung an meinen Urgroßonkel, den großen Zauberer meiner Kindheit, der zwar Deutschland hoch ehrte, aber nur in

Österreich die wunderbare Gestalt hatte werden können, die mir unvergeßlich blieb. Er war so dicht mit der Atmosphäre dieses Landes umgeben, daß ich sie noch in seinen Sterbewochen, ja noch nach seinem Tode in Haus und Garten überall spürte. Was aber nun der entschlossene Mann aus Braunau tat, der die Länder Europas nur aus Zeitungen kannte und auf die atmosphärischen Unterschiede nicht achtete, war ein Gewaltstreich mit dem Ziel, die österreichische Judenschaft zu vernichten, die christliche Gesinnung zu unterhöhler, die gegnerisch Empfindenden in Straflagern zu züchtigen, die gesamten Mittel des Staates der Kriegsrüstung dienstbar zu machen und für künftige Feldzüge das

Tor zum Balkan aufzustoßen. In die politischen Szenen jener Zeit soll aber, hier nicht hineingeleuchtet werden; sie sind bekannt und klar beschrieben, vielleicht am aufrichtigsten in dem Buche .Die Wahrheit über Österreich“ von Guido Zernatto, dem bäuerlichen Lyriker aus Kärnten.

Da wir nah der Grenze wohnten, konnten wir von dieser sogenannten „Heimkehr ins Reich“ einiges wahrnehmen. Mir war neben München und Landshut immer Passau die liebste der bayrischen Städte gewesen, nicht nur wegen ihrer unvergleichlichen Lage und ihrer Verbundenheit mit meinem Leben, sondern auch gerade, weil sie eine Grenzstadt war; denn obgleich hüben und drüben sich verwandt wußten, so genoß doch eins am andern den Reiz der Fremdheit. Mir jedenfalls war es immer sehr fühlbar gewesen, daß jenseits des Inns ein anderes Land begann, ein heimatlich anmutendes, aber mit eigenster Melodie begabtes, das Land Haydns, Mozarts, Schuberts und Bruckners, das Land, in dem ein Beethoven, ein Brahms, ihr Schöpfertum entwickeln konnten, das Land Stifters, Grillparzers, Raimunds, Hofmannsthals, Trakls und Kubins, das Land der Salzburger Festspiele. Alles hatte drüben einen eigenen Stil, war weniger starr, war schwingender, die Luft bewegt von romanischen, slawischen und ungarischen Klängen, die Weine feurig süß, die Speisen würziger. Nicht umsonst pilgerten Passauer Pilger, wenn sie sich und ihren Familien einen hochfestlichen Tag bereiten wollten, nach Schärding, nach der Maut oder nach Freinberg. Ging man durch Wien oder andere österreichische Städte, so glaubte man noch immer das Walten der geistesmächtigen Kaiserin zu spüren, die einstmals die Länder der Donaumonarchie regiert hatte, mütterlich groß im Glück und Unglück und schon in unerfahrener Jugend manchmal weiser als ihre klügsten Berater.

Nun aber hatte Hitler die Grenze gesperrt, um den schwächeren Nachbar durch wirtschaftliche Verelendung mürbe zu machen. Auch die Schwierigkeiten und die Fehler der Regierung Dollfuß arbeiteten für ihn; seine Sendlinge fanden drüben Unzufriedene und Bestechliche genug. Eine wilde Werbung mit unbeschränkten Geldmitteln, unterstützt von Uberfällen und Sprengstoffanschlägen, hetzte das Volk in einen Taumel von Angst, Wut und Erwartung hinein und schuf die Spannung, die sich schließlich in der Ermordung des Bundeskanzlers entlud. Der Sterbende bat um Arzt und Priester; beides verweigerten ihm die Mörder, dafür schoben sie ihm auf einem Schemel Papier, Tinte und Feder hin, damit er seinen Rücktritt unterzeichne. Er blieb aber fest, widerstand und starb.

In den kalten Märztagen 1938 sahen wir nun mit Beklemmung unendliche Heereszüge mit Kanonen, Panzern und Maschinengewehren in das Zauberflötenland hinüberziehen, als gälte es, einen Gürtel waffenstarrender Festungen zu durchbrechen. Ich nahm Abschied vom Genius der Grenze, die mir immer nur ein Symbol gegenseitiger Achtung gewesen war, eine goldene Naht, eher verbindend als trennend, und erinnerte mich, daß Hugo von Hofmannsthal zu einem Freunde geäußert hatte, er werde in die Schweiz übersiedeln, sobald sich die Unterwerfung Wiens unter Berlin vollzöge. Wer es weiß, wie dieser Dichter sein Heimatland liebte und dessen besondere Sendung verstand, wie er aber auch in seinen seismographisch empfindlichen Nerven jede nahende Katastrophe bis zur Qual vorausspürte, der wird ermessen, was ein solches Wort aus seinem Mund bedeutete. Als dann die schwerbewaffneten deutschen Truppen in Salzburg einrückten, da war es wirklich eine ihrer ersten Taten, daß sie das Denkmal des Jedermann-Dichters beseitigten; vielleicht handelten sie damit unfreiwillig in seinem Sinn. Es war wie eine Fügung, daß mir gerade damals die „Gesammelten Briefe“ eines Österreichers in die Hände fielen, an dessen deutscher Gesinnung so wenig zu zweifeln war wie an seiner politischen Vernunft, und daß mein Blick beim ersten Durchblättern auf eine Stelle traf, die mir meinen stillen Widerstand erklärte und mich darin bestärkte. Am 27. März 1924 richtete Anton Wildgans an Dr. Hermann Kienzl einen Brief, den er freilich nicht absandte: darin standen diese Sätze: „Immerhin haben wir österreichische Deutsche durch die jahrhundertelange Zwangsgemeinschaft mit Slawen, Italienern, Magyaren, Rumänen usw. gelernt und sind bei allem Deutschtum ein übernationaler Typus geworden, der vielleicht eine höhere Form des deutschen Menschen bedeutet. Wir haben keinen Grund, diese höhere Form deutschen Menschentums aufzugeben, um uns neuerlich in die Wirmisse des militanten Nationalismus zu stürzen. Fast möchte ich sagen, wir können in unserer Staat-* liehen Selbständigkeit, in ihrer durch den Beschluß der ganzen Welt (in Gestalt des Völkerbundes) garantierten Unabhängigkeit dem Deutschtum mehr leisten, denn als Appendix eines Reiches, in dem wir den höchst unverdienten Ruf von sentimentalen Schlappschwänzen haben.,, Pro domo will Ich nur sagen, daß ich all diesen parteimäßigen Anschlußbestrebungen mit gleichem Mißtrauen und gleich ferne gegenüberstehe; denn mir geht es um die geistig kulturelle Brüderschaft, die durch das Blut ohnehin gegeben wäre und die in keinem deutschen Herzen hüben und drüben Widerstand fände, wenn eben diese Herzen zur Entsdieidung zugelassen würden und nicht statt ihrer die jeweiligen Interessen.“

Die Besetzung war vollzogen; die Geheime deutsche Staatspolizei durchdrang, mit schwarzen Listen versehen, den kleinen Staat und vereinigte sich mit ihrer österreichischen Genossenschaft zu finsteren Taten: der Trieb, zu verfolgen, zu strafen, zu enteignen, tobte sich aus, und schon kündigte Göring ein Gerichtsverfahren gegen den eingesperrten Bundeskanzler an, das nur auf Mussolinis Wunsch unterblieb; die Täter zeigten ihr wahres Gesicht. Als aber nun in Österreich selbst Historiker und Schriftsteller in ausführlichen Abhandlungen erklärten, der ganze Vorgang sei nur eine deutsche Familienangelegenheit gewesen, die endlich einmal habe geordnet werden müssen, als die Zeitungen von dem unermeßlichen Jubel der Wiener und Innsbrucker Bevölkerung berichteten, die doch vor kurzem erst dem Schuschnigg zugejubelt hatte, da mußte ich mich fragen, ob das Österreich, um das ich trauerte, am Ende nur in meiner Phantasie bestünde. Und mit einer unendlichen Traurigkeit im Herzen wandte ich mich von den Geschehnissen ab.

Aus „Ungleiche Welten“, Insel-Verlag, 1951.

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