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REDE ÜBER DEN ALTEN KAISER

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Kaiser Franz Joseph, der Erste, gehörte zu jenen österreichischen Gestalten, denen die Legende schneller entgegenkommt als die Geschichte. Die Legende verherrlicht sie, und die Geschichte verkleinert sie. Weder um die Gunst der Legende hat sich Franz Joseph jemals bemüht, noch hat er sich um die Ansicht der ihm fernen Historiker gekümmert und jener, die ihn bitter aus der Nähe kritisierten. Es ist nicht richtig, daß er die Wahrheit nicht vertrug. Er erlag nicht Schmeichlern, nur den Formalisten (und auch den Traditionalisten). Das Schicksal trug ihn mit einemmal auf den Thron und stieß ihn zugleich in die Revolution. Er selbst mußte sich, während er Stück um Stück der überlieferten Formen preisgab, in denen er aufgewachsen war, eine neue Tradition schaffen. Er mußte sie einfach als die wirkliche, einzig mögliche Lebensform seiner selbst, seiner Familie, seines

Sohnes, seiner Minister, seiner Völker und der Parlamente halten. Seiner Vorstellung nach kam er Zeit seines Lebens immer nur den anderen und allen Forderungen entgegen. Er begriff es vollends nicht, daß man ihm nur Forderungen in nicht genügend traditionalistischer Weise vortragen konnte. In seiner Vorstellung war er, der Kaiser selbst, bereits nachsichtig genug gegenüber der neuen Zeit. Er war eigentlich schon der „Fortgeschrittene“. Was wollte man noch mehr von ihm? Und weshalb setzte man ihm auf eine so formlose Weise zu? Hatte er selbst der immer breiter werdenden Formlosigkeit nicht allzuviel nachgegeben? Schon allzuviel? War er am Ende gar zu leutselig geworden? Hatte er nicht in seiner eigenen erlauchten nächsten Nachbarschaft entsetzliche Verstöße gegen Etikette, Sitte, Überlieferung wahrgenommen? Hatte er in dieser nächsten erlauchten Nachbarschaft nicht recht behalten mit seinen Warnungen vor jeder Abweichung vom starren Weg der Etikette? Waren die Kaiserin und der Kronprinz nicht Opfer ihrer leichtfertigen Freundschaft für diese sogenannte neue Zeit geworden? Und wer litt unter diesen Opfern? Er selbst, Franz Joseph. Er hatte keine Frau und keinen Sohn. Töchter gehörten nicht zum Ernst des Regierens. 6ie waren Ferienfreuden. Man wurde älter. Weiß man, ob man jemals die Zeit erleben kann, in der die Enkel schon als Persönlichkeiten agnoszierbar sind? Und, was wölken die Ungarn? Hat man sie nicht mit Hilfe der Kosaken rechtmäßig unterworfen? Und hat man dann nicht etwa eine großzügige Amnestie erlassen? Und kann etwa eine von den österreichischen Nationen selbständig bestehen, die ungarischen auch? Liebt man sie nicht alle mit der gleichen Liebe? Und, wünschen sie auch Reformen, weshalb so hastig? Welch eine widerliche Ungeduld ist in die Leute gefahren? Weshalb warten sie nicht auf die Entscheidung des Vater? Der Vater heißt Franz Joseph, der Erste. Er ist nachsichtig, entgegenkommend, aber er ist noch ein wenig Spanier, alter Habsburger, der Liberalismus zerstört die Formen, der Nationalismus, dessen junges Kind, noch heftiger, der Klerikalismus wird dringlich, die Familie selbst wird anarchisch. Man muß also sehr fern werden, sehr einsam, und selbst auf die Gefahr hin, ganz grausam zu erscheinen in der Umgebung, muß man diese Grausamkeit wettmachen durch eine Milde, die in der Form wirkt. So muß man ausgleichen, abwägen, beschwichtigen, zürnen und vor allem: einsam sein. Das heißt: Herrschen. Götter und Könige sind einsam.

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Also besitzt er die beiden entscheidenden Eigenschaften, um in die Legende noch bei Lebzeiten einzugehen. Er regiert über primitive Völker. Eigentlich sind sie es, die ihm die wahre Legende und Würde schaffen. Die „Wiener“ machen dann Operetten aus der Ehrfurcht und die „Tiroler“ Gschnadahüpfln aus ihrer Treue. Des Kaisers Ann reicht sehr weit. Von Triest, Sarajevo, Mostar über Budapest, Wien, Prag, Krakau, Lemberg bis nach Tarnopol und Czernowitz und noch weiter. Überall in allen Ländern finden Manöver statt. In den primitivsten Flecken feiert man am 18. August des Kaisers Geburtstag. Nasch cisar! Nasz cesarz! Eljen Kiraly! Cesar ziwiot! In allen Sprachen aller Völker lebt er vielfach, und das private, unwahrscheinliche und bereits unwirklich erscheinende Unglück läßt ihn in den Augen der einfachen, von ihm geographisch entfernten Menschen nur noch legendärer erscheinen. Vom Kaiser aus führt ein näherer Weg zum bosnischen Maronibrater und zum galizischen Talmudjuden als zum sudetendeutschen Historiker der Wiener Universität.

Sie sind es, diese Historiker, die, in preußischer Disziplin aufgewachsen, von Bismarcks Eisen und Blut hypnotisiert, in einem höchst chaotischen, aber langweiligen Rausch von Freiheitskrieg, Paulskirche, Achtundvierzig, Voltaire befangen, der Legende den Weg verstellen, den Untergang der Monarchie vorbereiten, den Weltkrieg und das Chaos.

Berauschte und verworrene Pedanten, gleichen sie etwa den bekannten zerstreuten Professoren, die aber statt der Regenschirme Pulverfässer stehenlassen. „Ich habe es nicht gewollt l“ sagte Franz Joseph, als der Krieg ausbrach.

Er hatte es wirklich gesprochen, nicht gelallt, wie die billigen Witzbolde zu erzählen pflegen. Gelallt hatten die Professoren, die aus Franz Joseph einen deutschen Fürsten im Dienste Preußens machen wollten und die slawischen Nationen zu mittelbaren Untertanen Deutschlands. Sie degradierten die k. u. k. Apostolische Majestät zu einer Art Statthalter, der die Aufgabe haben sollte, den Osten und den Südosten im Interesse der Hohenzollern zu germanisieren. Der Kaiser Franz Joseph wußte es wohl.

Er flüchtete sich zur Armee. Er war ein guter Soldat, kein soldatisches Genie. Er war tapfer. Er hat es bei Solferino bewiesen. Er war körperlich tapfer wie, nebenbei gesagt, fast alle Habsburger. Und wie jeder soldatische Mensch wollte er keinen Krieg. Er liebte Manöver. Er liebte die Form, die Zucht, die Parade, die Erziehung. Mitten in der immer chaotischer werdenden Politik der Monarchie flüchtete er sich zur Armee, wie dereinst der große Karl sich ins Kloster geflüchtet hatte. Er war der Verwirrung, die da die berauschten Historiker angerichtet hatten, keineswegs gewachsen. Beim Militär lassen sich die Anzeichen des Drohenden, Chaotischen zu allererst ermessen. Kragen, Blusen, Sterne, Kappen, Säbel, Hosen, Hosenschnallen, Stiefel haben ganz bestimmte Vorschriften. Die Kappen sind nicht höher als drei Mannesfinger, die Form ist konisch. Der Kragen ist niedrig, wie ihn die Soldaten noch bei Solferino getragen haben. Ein Offizier trägt niemals Lackschuhe, sondern blanke Zugstiefel aus Chevreau. Die Hose ist sehr eng und hat Gummischnallen. Er verliert sich in Formalismen, der alte Kaiser. Beinahe kann man sagen, daß er am Ende seines Lebens der einzige Offizier seiner Armee ist, der das Reglement heilighält. Aber die billigen Witzbolde, die zu wissen vorgeben, daß er keine anderen Interessen mehr hat, ahnen weniger von ihm als sein treuer Diener Ketterl. Und ebensowenig weiß über ihn sein getreuer Obersthofmeister.

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Der Kaiser weiß wohl, daß er unverstanden ist. Nur der Witzbold behauptet, daß man den „Alten“ über dies und jenes täuschen konnte. Man konnte ihm in Wirklichkeit gar nichts vormachen. Er war ein ausgezeichneter Schütze, einer der besten Jäger der alten Monarchie. Er besaß das harte Auge des Jägers, das gewohnt ist, lange zu spähen, den Blick, der überlegt und der sich gelegentlich auch die Großmut leistet, dem Objekt, das er visiert hat, das Leben zu schenken. Es ist eine Legende, daß man Franz Joseph das Wild vor die Flinte trieb. (Ich selbst bin in einem meiner Bücher auf diese törichte Legende „hereingefallen“.) Einen Jäger täuscht man nicht. Seine Minister, seine Sektionschefs, seine Hofräte wußten es. Nur die ewigen Witzbolde in den Cafes wußten es nicht.

Keine Menschengattung kann so weit- und wirklichkeitsfremd 6ein wie die der Witzbolde um jeden Preis.

Da sie selbst auf Gemsen nicht zu schießen vermögen, glauben sie, man müßte diese Tiere irgendwo festbinden, damit sie getroffen werden könnten. Da ihnen der Sinn für Hierarchie, Autorität, Ordnung, Überlieferung fehlt, können sie sich den repräsentativen Träger eines Symbols nur als eine Art panoptikaler Person vorstellen. Da sie die disziplinarische Notwendigkeit jener Erscheinungsformen nicht verstehen, die, wie zum Beispiel Paraden, Gewehrübungen, Wachablösung, nur scheinbar äußerliche militärische Manifestationen sind, reden sie von überflüssigen Schikanen. Und weil Kaiser Franz Joseph diese angeblichen Schikanen für notwendig hielt, hielten sie ihn für eine Art kaiserlichen Kommißknopf, und sie glaubten in der Tat, es wäre schwieriger, eine Partie Tarock zu spielen, als hier Kaiser von Österreich-Ungarn zu sein. Indessen hätte sie Franz Joseph im Tarock noch geschlagen.

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Dem flachen Witz gab der ebenso flache, ;just zu grassieren beginnende Nationalismus stete Nahrung. Ja die Leichtfertigkeit wuchs geradezu auf dem von Pathos gedüngten, von Pathos geradezu schwitzenden Boden des Nationalismus. Die durchaus natürliche Formulierung von den vereinigten Königreichen und Ländern erschien auf einmal als die Ausgeburt der Unnatur, der Widernatürlichkeit gar. Die Widernatürlichste aller neuzeitlichen Staatsformen, nämlich das Bismarcksche Reich, durch Blut und Eisen entstanden und mit Hilfe dieser zwei verfeindeten Materien „zusammengekittet“, wie die preußischen Historiker sagen (die

Preußen sind bekanntlich Meister der Metaphorik), erschien in Österreich, im deutschsprachigen Zentrum der Monarchie, als ein natürliches Glied innerhalb der von Gott gewollten Ordnung. Aus dem Deutschen Reich strömten die Professoren, blond,

bebrillt und sozusagen sendungstüchtig in die österreichischen Universitäten. Ihre Aufgabe war, den deutschsprachigen Österreichern zu zeigen, was 'ne deutsche Harke ist und wie minderwertig eigentlich unsere slawischen Brüder seien. Die Germanisierung der österreichischen Hochschulen kam der latenten Bereitschaft unserer Sudetendeutschen zur nationalen Arroganz gegen die Tschechen zuvor. Die gleichen Witzbolde, die den Kaiser lächerlich zu machen versuchten, verfaßten witzige Stücke über die Tschechen, und es ereignete sich der medizinisch absurde Fall, daß ein sprichwörtlich goldenes Wiener Herz die Fähigkeit aufbrachte zu wiehern, sobald vom „Bern aus Amerika“ oder dergleichen die Rede war.

Selbst seine Gegner können dem Kaiser Franz Joseph nicht vorwerfen, daß er dem borussischen Germanismus hold war. Allerdings war er langsam von Natur, und das Alter vergrößerte noch seine Langsamkeit. Als er die Krawalle der deutschnationalen Studenten mit Polizei zu unterdrücken versuchte, war es schon halb zu spät. Man kennt seinen noblen, österreichisch gedämpften Abscheu gegen alles Preußische und insbesondere gegen seinen Bundesgenossen Wilhelm, den Zweiten. „Schulter sn Schulter“, hieß es während des Krieges; es war Franz Josephs kalte Schulter; wie wenige sahen es; wie wenige sprachen es aus. Er haßte den Größenwahn des Hohenzollern bis zu dem Grade, daß er es ablehnte, die Ausschnitte aus deutschen Zeitungen zu überfliegen. Es war einer seiner Fehler. In der alten, beinahe schon sakralen Auffasssung geboren und aufgewachsen, daß jedes Amt auch eine Berufung sei und der Amtierende also sozusagen von Natur sein Amt im österreichischen Sinn ausfüllen müsse, war er leicht geneigt zu glauben, daß die schon längst preußisch verseuchten Herren vom Kultus- und Unterrichtsministerium und die aus den. anderen Ressort, die vom Ballhausplatz schon wissen würden, wie man österreichisch bleibe. Er war in der alten Tradition aufgewachsen.- Er wußre^um nur die bedeutendsten zwei Beispiele zu nennen, daß aus dem Franzosen Prinz Eugen und aus dem Rheinländer Metternich ganz große Österreicher geworden waren. Aber er wußte nicht mehr, daß der mit überflüssiger Sorgfalt vom Kultus- und Unterrichtsminister nach Wien oder Graz berufene Professor für Althochdeutsch von der Leipziger Universität Odo Katschke erstens kein Neuhochdeutsch konnte und zweitens Österreich prussifizierte. Er glaubte, der alte Kaiser, immer noch an die Assimilierungskraft des alten universalistischen, europäischen österreichischen Gedankens.

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Kaier Franz Joseph haßte auch noch die österreichische, die bodenständige Vulgarität. So bedeutend auch die Persönlichkeit Luegers war, des ersten christlich-sozialen Bürgermeisters von Wien — und der Kaiser verkannte sie durchaus nicht —, sie kam lange Zeit für Franz Joseph nicht nur nicht in Betracht, er verbannte sie sogar aus seinem Blickfeld. Damals bedurfte der Bürgermeister der Reichs-Haupt- und Residenzstadt Wien, selbstverständlich mit Stimmenmehrheit gewählt, vor allem der Bestätigung des Kaisers. Franz Joseph weigerte sich beharrlich, den Lueger anzuerkennen. Er wußte es wohl, der noble alte Kaiser; zum erstenmal hatte ein genialer Politiker seinen Sieg mit Hilfe einer vulgären Spekulation errungen, nämlich durch eine antisemitische Propaganda.

Nun, wenn man auch nicht sagen kann, Kaiser Franz Joseph hätte die Juden geradezu geliebt, ganz gewiß ist es, daß er die Antisemiten verachtete. Und wäre selbst der Antisemitismus in der alten Monarchie legitim gewesen: in den Augen dieses noblen Monarchen verlor er seine Gültigkeit, einfach deshalb, weil die Hausmeister für die Christlichsozialen und Lueger gestimmt hatten. Wahrscheinlich freute sich der Alte über die Niederlage der Liberalen. Aber der Instinkt des großen, wahrhaft vornehmen Herrn, der den jüdischen Kleinbürger ablehnt, ist deshalb noch keineswegs bereit, die Ordinärheit des Sperrsechserl anzuerkennen. Es dauerte lange — Lueger war dreimal gewählt worden, die Sozialdemokraten sogar waren im Begriff, Lueger anzuerkennen —, da erst gab Franz Joseph nach. Er bestätigte ihn. Aber er empfing den Bürgermeister nur zweimal in Audienz. Und Kenner versichern, daß er ihn zweimal mit den Worten empfing: „Sein's stad.“

„Spartanisch“ nannten die Historiker sein Leben. „Spartanisch“, weil er ein einfaches Beinfleisch liebte, weil er um vier Uhr morgens aufstand, weil er auf einem kurzen, einfachen, harten Eisenbett schlief, in seinem Arbeitszimmer, weil er jahrelang den gleichen alten, abgeschabten Soldatenmantel trug. „Spartanisch“ war ein Lob geworden; das unbewußte Zugeständnis der Idioten an Preußen. Franz Joseph, der in Schönbrunn selbstverständlich einen Bierkeller hatte, schickte seinen Diener jeden Abend ins Wirtshaus hinüber um ein frisches Krügel Bier. Er war eben ein öterreicher. Es gilt eben, sein Andenken vor dem Vorwurf zu bewahren, er sei ein Spartaner gewesen. Er war ein strenger, großer Österreicher.

Als er begraben wurde, stand ich, ein Glied im Spalier, vor der Kapuzinergruft, namenloser Soldat der Wiener Garnison. Hinter dem Sarg schritt der Thronfolger Kaiser Karl. Auf ihn wurden wir einen Tag später vereidigt.

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