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Franz Joseph und seine Minister

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„Lieber Herr…! Ich ernenne Sie zu Meinem Minister …” Dies war der stereotype Wortlaut eines Handschreibens, wenn der Kaiser ein Portefeuille in einem österreichischen oder ungarischen, beziehungsweise gemeinsamen Ministerium zu vergeben hatte. Hievon wurde der jeweilige Ministerpräsident mit dem Auftrage in Kenntnis gesetzt, „das Erforderliche zu veranlassen.” Vor Übernahme der Ressortangelegenheiten hatte nämlich der neu ernannte Minister den Eid in die Hände des Kaisers abzulegen. Der Beeidigung schloß sich die „Dankaudienz” an. Dem Minister gebührte nun der Titel „Exzellenz” — wenn er nicht schon Geheimer Rat war —, er rangierte bei Hof hinter dem jüngsten Geheimen Rat. Die Gattin des neuen Ministers erhielt den Hofzutritt, selbst wenn sie von Geburt nicht hoffähig war.

Von Beginn der verfassungsmäßigen Ära in Österreich bis zum Tode des Kaisers Franz Joseph, also von 1861 bis 1916, amtierten in Österreich allein 27 Ministerien, die 157 Minister umfaßten, nicht gerechnet die ungarischen und die gemeinsamen Minister. Überblickt man diese stattliche Liste, die vom Ministerium Erzherzog Rainer-Schmerling bis zum Ministerium Koerber II reicht, so ergibt sich, daß viele der in den Rat der Krone berufenen Persönlichkeiten mehrere Male als Minister fungierten. An der Spitze steht der „unzerreißbare Minister”, wie er scherzweise genannt wurde, Landesverteidigungsminister Zeno (Aaf W elsersheimb, der sich im Besitze von nicht weniger als zehn kaiserlichen Handschreiben befand, beginnend mit mit den Worten: „Lieber Graf Welsers- heimb!”, mit denen er immer wieder mit der Leitung des Landesverteidigungsministeriums betraut wurde.

Die Lebensdauer der einzelnen Kabinette unter Kaiser Franz Joseph war sehr verschieden und schwankte zwischen 14 Jahren (Taaffe) und 26 Tagen (Holzgethan). Das Kabinett des Fürsten Adolf Auersperg blieb etwas länger als 7 Jahre am Ruder. Das erste Kabinett Koerber hat 4 Jahre, 11 Monate und 29 Tage gedauert, das zweite — allerdings bis zum Ableben des Kaisers — 29 Tage. Ein einziger Minister, Ackerbauminister Graf Falkenhayn, hat die ganze Amtsdauer mit Taaffe geteilt. Seine Ministerkollegen Justizminister Dr. P r a ž ä k und Graf Welsersheimb sind nur ein Jahr kürzer mit ihm — Taaffe — im Amt gewesen. Es waren nicht immer „Greise”, die eine Ministerstelle erhielten. Dr. Paul v. Gautsch übernahm im Alter von 34 Jahren das Ministerium für Kultus und Unterricht, Freiherr von Chlumetzky gelangte als 37jähriger in den Besitz eines Portefeuilles als Ackerbauminister und Marquis Olivier von Bacquehem war noch nicht 39 Jahre alt, als er Handelsminister unter Taaffe wurde.

Das Verhältnis, das zwischen dem Kaiser und seinen Ministern bestand, zählt zu den interessantesten Kapiteln in der Geschichte seiner 68jährigen Regierungszeit. Die eigentlichen großen Entscheidungen lagen in der Hand des Kaisers. Hier sei gleich gesagt, daß Kaiser Franz Joseph eigenes Urteil und eigene Ansichten hatte. Von den Staatsmännern, die ihn umgaben, ließ er sich beeinflussen, allerdings mehr in dem Sinne, daß er seinen Ministern freie Hand gab, auf Grund bestimmter Richtlinien nach eigenem Ermessen vorzugehen. Erst, wenn es sich zeigte, daß in der eingeschlagenen Richtung nicht weitergegangen werden könne, pflegte er einzugreifen und neue Männer mit anderen Ideen und anderen Systemen zu berufen.

Die auswärtige Politik war dabei nächst dem Heerwesen jenes Gebiet, auf dem die Krone ihren Einfluß mit Nachdruck und Ernst zu wahren wußte, dies um so mehr, als auf allen Gebieten der öffentlichen Verwaltung parlamentarische und parteipolitische Einwirkung zutage trat und, wenigstens in Zisleithanien, die Regierung nicht Miene machte, zu ihren häuslichen Sorgen sich noch jene um die auswärtigen Angelegenheiten aufzuladen. Machte doch selbst Graf Andrassy im vertrauten Kreise das Geständnis: „Der Kaiser ist sein eigener Minister des Äußern und”, so fügte er lächelnd hinzu, „nicht der schlechteste.”

Mit besonderem Eifer widmete sich Kaiser Franz Joseph vor allem den „Personenfragen”. Die Besetzung aller mittleren und höheren Beamtenstellen behielt er sich zumeist selbst vor. So lernte er zahllose Männer in den verschiedenen wichtigen Posten des Staatsdienstes nicht nur dem Namen nach, sondern auch in ihren Leistungen und ihrer Lebensbahn kennen und im Gedächtnis behalten. Die diesbezüglichen Anträge hatten die Minister in sogenannten „alleruntertänigsten Vorträgen” zu stellen. Die Vorträge gelangten, mit einer von der Kabinettskanzlei angefertigten auszugsweisen Abschrift versehen, zum Monarchen. Fand er zu einem Anträge des Ministers etwas zu bemerken, so erging eine Anfrage an den Minister, der dann seinen Antrag änderte oder neuerlich begründete. Die Zahl der Vorträge der Minister der beiden Staaten betrug etwa 4000 im Jahre, davon kamen täglich — Sonn- und Feiertage inbegriffen — zehn bis zwölf zur Vorlage, die der Kaiser in der Regel noch am selben Tag erledigte. Vorträge oder umfangreiche Gesetze, Berichte der obersten Regierungsbehörden und Budgetvorlagen der Finanzminister lagen hingegen länger auf dem Schreibtisch des Monarchen. Die Gesetzentwürfe unterlagen, einem alten Brauch entsprechend, bevor sie den Parlamenten zugingen, der Vorsanktion der Krone und wurden nach Verabschiedung in den Ver- tretungskörpern dem Kaiser zur verfassungsmäßigen Bestätigung vorgelegt, der sie in beiden Fällen einem eingehenden Studium unterzog.

Sehr oft verkehrte der Kaiser mit seinen Ministern auch mündlich. Die Veranlassung einer Ministeraudienz beim Kaiser konnte verschiedenartig sein. Entweder lag der Wunsch des Monarchen vor, über eine schriftlich vorliegende Angelegenheit oder eine gerade eingeleitete größere Aktion eingehender informiert zu werden, oder der Kaiser hegte gegen einzelne Momente in einem ihm im schriftlichen Wege unterbreiteten Vortrag Bedenken. Eine Audienz konnte aber auch über Bitte des Ministers selbst zustande kommen. Dies ist meistens der Fall, wenn der Minister es für notwendig erachtete, in einer Angelegenheit von Bedeutung und allgemeinem Interesse die Anschauungen der Krone kennenzulernen.

Die äußeren Vorgänge bei einer Ministeraudienz waren die, daß für die Audienz am zweiten oder längstens dritten Tage nach der Anmeldung eine Stunde, und zwar gewöhnlich am Vormittage, bestimmt wurde. Sie fand entweder in der Hofburg oder in Schönbrunn statt. Man tat gut daran, etwa eine Viertelstunde vor der anberaumten Zeit einzutreffen, und wartete im Dienstzimmer des Flügeladjutanten. Der iEntritt erfolgte auf ein Glockensignal des Monarcheft, das pünktlich, eher eine Minute früher als später, ertönte, worauf der Flügeladjutant den Besucher anmeldete. Der Kaiser empfing den Minister an seinem Schreibtische stehend, bot ihm einen Sessel an und nahm selbst auf einem sehr einfachen Armstuhle an der Mitte des Tisches Platz. Es war üblich, im Frack mit schwarzer Halsbinde, den Zylinder in der Hand, zu erscheinen. Ausnahmen wurden über Ansuchen vom Kaiser selbst gewährt. Eigenmächtigkeiten waren nicht nach seinem Geschmack — da konnte er auch sarkastisch werden. Eines Tages wurde Graf Julius Andrassy der Ältere, damals ungarischer Ministerpräsident, zum Kaiser nach Gödöllö berufen. Da die Berufung sehr dringlich war, fand Andrassy keine Zeit mehr, sich umzukleiden, und betrat das Arbeitszimmer des Monarchen im Schlußrock und — es war im Sommer — sogenannten Pepitahosen. Der Kaiser musterte den Grafen einen Augenblick und sagte dann scherzhaft zu Andrassy: „Sagen Sie, woher beziehen Sie diese schönen Hosenmuster?”

Bei der Darlegung seines Anliegens mußte der vortragende Minister darauf bedacht sein, sich kurz und präzise auszudrücken und jeden doktrinären Ton zu vermeiden.

Die Sachlichkeit des Urteils des Monarchen in Ressortfragen war erstaunlich, die Eindringlichkeit der Fragestellung von vielen Ministern gefürchtet. Ein Finanzminister, der den Staatsvoranschlag unterbreitet hatte, meinte nach der Audienz, er habe das Gefühl, ein Kolloquium hinter sich zu haben. Der frühere Justizminister Glaser erzählte, der Kaiser halbe ihn in der Vorlage einer neuen, sehr umfangreichen Strafprozeßordnung auf zwei einander widersprechende Stellen aufmerksam gemacht, die dem hervorragenden und scharfsinnigen Juristen entgangen waren.

Nicht ohne Behagen und mit vielem Eifer wies er zuweilen einem Minister einen Irrtum nach, was ihm bei seinem glänzenden Gedächtnis und der gründlichen Kenntnis der einschlägigen Fragen nicht schwerfiel. Der ungarische Ministerpräsident W e k e r 1 e berichtete dem Kaiser über die Vorstöße der ungarischen Parlamentsopposition und fügte hinzu, man könne in Ungarn keineswegs die gleichen Methoden anwenden wie in Österreich. Der Kaiser unterbrach ihn zornig: „Aber, lieber Wekerle, mich werden Sie das Regieren nicht lehren, ich betreibe das Geschäft schon seit 49 Jahren!”

Wenn der Kaiser eine ernste Angelegenheit eingehend erörtert hatte, geschah es zuweilen, daß er den Vortragenden, sich zurücklehnend, anblickte. Das wollte heißen, daß er die Audienz noch nicht aufhebe und seinem Minister, der ihm in Staatssachen Vorschläge unterbreitet hatte, Gelegenheit biete, auch einen etwaigen persönlichen Wunsch vorzubringen. Wenn hiezu kein Anlaß war, konnte man mit dem Kaiser über verschiedenste Sachen sprechen. Und wenn man mit einem geistvollen Aperęu kam, so war der Kaiser ein dankbarer Zuhörer, der über eine tref fende Bemerkung von Herzen lachen konnte.

Allgemein bekannt ist, daß der Kaiser es nicht liebte, wenn ein Minister Angelegenheiten berührte, die in den Geschäftskreis eines anderen Ministers gehörten. Mitten in der Berichterstattung über einen Gegenstand, der bloß in entferntem Zusammenhang mit den Agenden des Kriegsministers Kro- b a t i n stand, unterbrach er ihn lächelnd: „Ich glaube, das ist nicht Ihr Ressort; der hiefür verantwortliche Minister wird mir das schon auseinandersetzen.”

Zwischen den drei Ministerien, dem österreichischen, dem ungarischen und dem gemeinsamen, ergaben sich zuweilen Differenzen, über die, wenn sie nicht anders ausgetragen werden konnten, in einer Konferenz unter Vorsitz des Kaisers beraten wurde. Da konnte man dann sehen, mit welcher Sachlichkeit und Gründlichkeit der Kaiser die Verhandlungen dieses Kronrats leitete und wie er sorgsam darauf Bedacht nahm, daß dem Protokollführer genügend Zeit zur Aufnahme der Debatte und der Beschlüsse blieb.

Kaiser Franz Joseph hielt außerordentlich darauf, daß ihm nichts verschwiegen werde. Als ein Ministerpräsident einmal versuchte, dem Wissen des Kaisers einen für ihn, den Ministerpräsidenten, unangenehmen Angriff eines oppositionellen Blattes zu entziehen, kam es zu einer heftigen Szene zwischen dem Kaiser und jenem Ministerpräsidenten, die beinahe zu einer Regierungskrise geführt hätte. Es kam vor, daß dem Kaiser einmal nicht die Wahrheit gesagt wurde; in diesem Fall war er sehr ungehalten. Als der ungarische Justizminister Szilägyi nach seiner Demission beim Kaiser in Abschiedsaudienz erschienen war, äußerte sich der Kaiser einem Mitglied seines Hofstaates gegenüber: „Er ist ein Grobian, alber angelogen hat er mich nie!”

Von Albert Schäffle, der als Handelsminister zu den führenden Männern des 1871 berufenen, freilich kurzlebigen Ministeriums Hohenwart zugehörte, liegt folgende Würdigung der Persönlichkeit des Kaisers vor: „Sein Ohr war für bedeutende Sachen immer zu haben, namentlich gegen andrängende Korruption in Konzessionsangelegenheiten. Er prüft ganz selbständig und will nie etwas im voraus besser wissen …”

Kaiser Franz Joseph war — vielleicht liegt das im Wesen der konstitutionellen Monarchie — nicht der Mann, der sich seinen Ratgebern und Mitarbeitern eng anschloß; doch fiel es ihm manchmal schwer, sich, durch eine neue politische Konstellation gezwungen, von einem bewährten Staatsmann zu trennen. Als Koerber 1904 aus verschiedenen Gründen, auch aus Gesundheitsrücksichten, um seine Entlassung bat, gab der Kaiser bei dem ersten Gespräch darüber keine bestimmte Antwort, und auch bei dem zweiten kleidete er seinen zustimmenden Entschluß bloß in die rücksichtsvolle Bemerkung: einen solchen Ministerpräsidenten habe er noch nicht gehabt. Das war ebenso höflich wie deutlich.

Dankbar gedachte der Kaiser der ihm von Mitarbeitern geleisteten Dienste. Graf Taaffe war längst begraben, als ein anderer Ministerpräsident dem Monarchen über die politischen Schwierigkeiten, die durch die tschechischen Abgeordneten wieder einmal im Parlament entstanden waren, referierte und dafür die Taaffesche Politik verantwortlich machte. Der Kaiser wehrte mit einer heftigen Handbewegung ab: „Lassen Sie mir den Grafen Taaffe aus dem Spiel! Er hat mir siebzehn Jahre Ruhe verschafft!”

Am 16. Mai 1895 fand der Abschiedsempfang des Grafen Kalnoky statt, der durch vierzehn Jahre den Posten des Ministers des Äußeren bekleidet hatte. Der Kaiser und die Kaiserin, die sich sonst niemals an einem demonstrativen Akt welcher Art immer beteiligten, erwiesen bei dieser

Gelegenheit dem aus dem akjiven Dienst scheidenden Staatsmann ganz besondere Ehrungen; es sollte dadurch zum Ausdruck kommen, wie ungern und durch innerpolitische Erwägungen veranlaßt sich der Kaiser von seinem bewährten Ratgeber habe trennen mjissen.

Die ritterliche Gesinnung des Kaisers zeigte sich auch anläßlich der durch Überanstrengung im Dienste erfolgten Erkrankung des Ministerpräsidenten Baron Gautsch, dem Rotlauf das Licht eines Auges gekostet hatte. Er wurde durch einen persönlichen Besuch des Mqnarchen ausgezeichnet, der, ungeachtet er damals schon das 75. Lebensjahr überschritten hatte, die Benützung des Ajjf zuges verschmähte und die vier Treppen zur Wohnung auf der Stiege hinaufging.

Wenn auch Franz Joseph mit Verleihung von Gunstbezeigung !, wie sie in Orden, sogenannten Standeserhöhungen und auch in materiellen Zuwendungen in Horm .von Erhöhung der Pensionen zum Ausdruck kamen, nicht sparte, so hat der Kaiser andererseits wieder einen aus dem Dienst verabschiedeten Ministerpräsidenten oder Minister fast niemals über politische Angelegenheiten befragt oder zu Rate gezogen. Der Grund hiefjür ist vielleicht in der streng konstitutionellen Gesinnung des Kaisers zu suchen, dem die „Verantwortlichkeit” über alles stand. Andererseits waren die Geheimen Räte eidlich zur strengen Wahrung der Interessen der Monarchie verpflichtet, und. als solche waren sie berechtigt, Immediatanträge — also mit Umgehung des Ministerpräsidenten — an den Kaiser zu richten. Von diesem Vorrecht wur.de jedoch sehr selten Gebrauch gemacht. Und so trifft letztlich für die Entscheidungen und die Verantwortung des Monarchen das Wort von Deak zu: „Armer König! So viel Mi-” nister hat er, und wenn etwas geschehen soll, muß er es selbst machen.”

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