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Czernin

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Im Rahmen der österreichischen Kulturvereinigung hielt kürzlich Dr. Alfred Missong einen Vortrag über den Grafen Ottokar Czernin, Österreich - Ungarns Außenminister unter Kaiser Karl. Der Vortragende gab nicht nur ein fesselndes Porträt der überaus problematischen Persönlichkeit des Grafen Czernin, den interessanten Versuch einer Entzauberung, er bot auch einen psychologischen ' bedeutsamen Beitrag zur Geschichte der Endphase der Doppelmonarchie. Wesentlich erscheint uns vor allem der Hinweis auf den in seinem Unglauben wurzelnden Zynismus des Grafen. Ein ernstes, wohl noch nicht völlig zu lösendes Problem stellen die Beziehungen Czernins zu den deutschen Stellen ..dar; manches spricht dafür, daß .eine objektive Geschichtsbetrachtung tatsächlich im Grafen Czernin, bei aller Anerkennung spiner Begabung, einen der Totengräber der Habsburgermonarchie- sehen könnte, wenn es vielleicht auch zu.weit gehen mag, Czernin zu einem Handlanger des deutschen Nationalismus sich entwickeln zu lassen.

Aber mit Recht kann ihm nachgesagt-werden, daß er dem deutschen und in der Folge dem nazistischen Angriff auf Österreich die schwersten Waffen geliefert bat. Das Gerede von dem „treulosen Verbünde!“, von dem „Verräterkaiser“, der „österreichischen Heimtücke“ ist der Ertrag der „Sixtus*Affäre“ für die propagandistisdie Durcbwühlung unseres Landes geworden. Eine ganze Literatur ist entstanden, die später nicht mehr den toten Monarchen treffen konnte, wohl aber Österreich moralisch unterminierte und für den Nazismus reif zu machen suchte. Diese Literatur verschwieg, daß der März 1917, da die zwei Kaiserbriefe entstanden, über die Fronten hinweg gerichtet auf eine Annäherung zu Friedensgesprächen,, die letzte erfolgverheißende Phase für die Mittelmächte bedeutete, den schlimmsten Folgen der schon drohenden Niederlage zu begegnen. Der kurz zuvor begonnene unbeschränkte U-Bootkrieg hatte noch nicht seine Unwirksamkeit erwiesen, diese Herausforderung der Vereinigten Staaten hatte noch nicht den neuen mächtigen Gegner auf den Plan gerufen, die. Friedensvermittlung des Papstes Benedikt XV. war noch nidit an der Haltung des Reichskanzlers Michaelis gescheitert. Der Ausbruch der russischen Revolution hatte die Gegner geschwächt. Der Versuch des jungen unerfahrenen Herrschers, Friedensgespräche anzubahnen, seinem von Krieg und Hunger Versehrten Lande Rettung zu bringen, litt an gewichtigen Eormfehlern, denen der über die' Absichten des Monarchen unterrichtete Graf Czernin hätte vorbeugen können. Aber der Versuch war der militärpolitischen Lage nach richtig gedacht. Hätte er Erfolg gehabt,, wäre Deutschland nicht in die tiefste Erniedrigung durch den Friedensvertrag und das verbündete österreidi-Ungarn nicht in seinen Untergang gestürzt worden. Czernin mußte die Tatsachen werten. Und vor allem: Es war der verantwortliche Minister, der nach konstitutionellem Gesetz seinen, Monarchen zu decken hatte. Aber sein brennender ' Ehrgeiz, ließ ihn die erfolgte Bloßstellung durch Clemenccau, den er wenig diplomatisch gereizt hatte, nicht ertragen. So zog er vor, die Krone preiszugeben, der er alle Verantwortung anlastete. Iii dem Hause, in dem diese Zeilen geschrieben werden, gebrauchte er ein Jahr später in bewegter Auseinandersetzung das Wort: „Ich mußte für meine Familie dieEhre meines Namens retten!“ — Er spielte mit einem unerhört großen Einsatz um einen bescheidenen Preis. Die Geschichte wird sagen, daß er Einsatz und Preis verspielte.

Der aktuellste Satz in dem Vortrag Dr. Missongs wurde im Lichte dieser Zu-, sammenhänge wohl der Hinweis auf eine Äußerung, die Kaiser Franz Josef knapp vor seinem Tode zum österreichischen Landesverteidigungsminister Freiherrn von G e o r g i tat: „Drei Monate schaue ich noch zu, dann mache ich aber Schluß“. — Dieses Kaiserwort zeigt, daß im Wesen zwischen dem greisen Monarchen und seinem Nachfolger kein .Unterschied in der Auffassung von der Notwendigkeit eines baldigen Friedensschlusses bestand und daß auch Kaiser Franz Josef, an dessen in seinem Offiziersbewußtsein wurzelnder Bundestreüe wohl niemand zweifeln kann, gewillt war, eben „Schluß zu machen“, da eine weitere Kriegführung mit seinem Gewissen nicht mehr gut vereinbar schien.

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