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Erinnerungen an Heinrich von Srbik

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Heinrich von Srbik war ein Mensch von ungewöhnlichem Format. Wenn er der echteste Ranke-Schüler genannt wurde, so war er es wegen seiner Einfühlungsgabe, aber ebenso weil im geschichtlichen Urteil für ihn alle persönlichen Momente zurücktraten, auch dann, wenn es seinem tiefen Gemüt zuweilen schwer fallen mußte.

Ich lernte Srbik schon vor dreißig Jahren während seiner Grazer Lehrtätigkeit kennen, und bald verbanden uns warme Beziehungen, die uns durch das Leben begleiten sollten. Tief ausgeprägt in seiner Natur und seinem Denken war ein österreichertum, und es ist mir ein besonderes Bedürfnis, dafür Zeugnis abzulegen. Viel mochte er dann aus seinem Elternhaus — er war der Sproß einer altösterreichischen Beamtenfamilie — mitgetragen haben. Aber dieses österreichertum inkarniert in seiner Wissenschaft und seinem Werk. Mit wissenschaftlicher Überzeugung vertrat er das Existenzrecht der Donaumonarchie, deren Mission und Aufgabe er nicht für beendet hielt. „Sie hat nicht in den Abgrund sinken müssen, sie wurde in den Abgrund gestoßen, obwohl sie den Weg zur Höhe noch hätte finden können. Den Toten wird von den Lebenden das Lebensrecht allzuleicht abgesprochen“, schreibt er in einer seiner letzten Arbeiten. Daß Aufgabe und europäischer Beruf des Staates vor dem ersten Weltkrieg in den nationalen Gegensätzlichkeiten vor allem vielen Politikern aus den Augen und dem Sinn gekommen war, das wurde ja das groß Unglück. 1947 suchte ich dies in Aufsätzen und Vorträgen am Beispiel der Badeni-Krise und der damaligen Haltung der Deutschen, besonders der Sudetenländer, zu erhärten. Meine Stellungnahme fand Beifall und Widerspruch, ich sandte meine Darlegungen an Srbik. „Die Sprachengesetze Badenis, schrieb er zurück, waren nicht gut inszeniert, aber im Kern berechtigt. Die Badeni-Tage fielen in mein erstes studentisches Semester, ich erlebte sie als Augenzeuge, nicht als Teilnehmer. Die Schönerer-Rich-tung erschien mir schon damals grundverfehlt, wie auch späterhin stets. Engstirnige Bierbankpolitik der Rauschebärte! Ich denke auch bei dieser Gelegenheit an die hemmungslose Beflegelung, der ich 1942 von sehen des .Vereines der letzten Schönerianer' ausgesetzt war.“ — Als ich im Sommer 1949 den Gelehrten auf seinem Landsitz in Ehrwald besuchte, kam die Rede auf die Zeit Franz Josephs.

Kräftig widersprach Srbik, als ich, ohne beizustimmen, das bekannte Wort wiederholte, Franz Joseph sei wohl der beste Sektionschef, aber kein Regent gewesen. Nicht durch persönliche Mängel des Herrschers, nicht durch die inneren zentrifugalen Strömungen, sondern durch übermächtigen Feindesdruck sei Österreich von außen her zerstört worden. Diese Zerstörung nannte Srbik die größte Torheit und das größte Verbrechen an der Kultur.

Als diese Zerstörung Tatsache geworden war, mochte Srbik, dessen Lebenswerk der Aufgabe galt, Österreichs Bedeutung für Europa und besonders auch für die deutsche Geschichte herauszustellen, der Meinung sein, nun sei Österreichs Zukunft in einer engeren staatsrechtlichen Verbindung mit dem Deutschen Reiche zu suchen. Aber niemals war er bereit, diesem politischen Konzept höhere Werte zu opfern. In diesem Zusammenhang hörte ich schon 1937 aus einem Munde das bedeutungsvolle Wort: „Ich wünschte nicht, daß die Inngrenze jetzt verschwände und die ga n z e R o s e n b e r g i s c h e Mentalität zu uns hereinflute.“ Der Anschluß 1938 entsprach gewiß seinen Erwartungen. Manche äußere Ehrungen, die ihm zuteil wurden, wogen die Enttäuschungen nicht auf, unter denen er litt. Die nationalsozialistische Religions- und Kulturpolitik fand seine schärfste Mißbilligung. Bei einer Unterredung sprachen wir auch über die eben damals erfolgte Aufhebung des Stiftes Klosterneuburg. „Es ist betrübend, zu sehen, wie eine Kulturstätte um die andere vernichtet wird“, äußerte er tiefgedrückt. Schmerzlich bewegten ihn die Insultierungen, denen während jener Zeit Kardinal Innitzer ausgesetzt war, mit dem ihn seit' der gemeinsamen Ministerschaft im Kabinett Schober eine herzliche Freundschaft verband. Die Hoffnung auf eine Entradikalisierung des Kurses, die ihn anfangs noch beseelen mochte, gab er bald auf. Er sah die Zukunft unter düsteren Aspekten. Angesichts des Vorgehens der Besetzungstruppen in den Südostgebieten des Donauraumes tat er den Ausspruch: „Nun wird der Reichsgedanke durch den SS-Stiefel zertreten.* Und als ich ihn im vorletzten Kriegsjahr in Wien besuchte, sprach er die elegischen Worte: „Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, jetzt, wo das Belvedere ein Opfer der Boraben wird, geht auch das Werk seines Erbauers, die Gewinnung des Donauraumes für den Westen, zugrunde.“

Srbiks universales Denken disponierte ihn zu größter Achtung vor dem Wesen und den kulturellen Leistungen des Katholizismus. Nach 1938 bemerkten es viele seiner Hörer mit Genugtuung, daß sich ihr Lehrer in seinen Vorträgen völlig treu blieb; er war einer von denen, für die es nicht die geringsten Konzessionen der herrschenden Psychose zuliebe gab. Als ich ihm gelegentlich die Freude einer Gruppe von Hörern über dieses Liniehalten mitteilte, war seine Antwort: „Es würde mir nie einfallen, auch nur eine Haaresbreite meiner wissenschaftlichen Überzeugung aufzugeben.“ Ein früherer Theologe und namhafter Historiker, der sich später von der Kirche trennte und heute außerhalb Österreichs lebt, hatte sich in seinen inneren Konflikten an Srbik gewandt; dringend riet ihm dieser ab, sich aus der Gemeinschaft der Kirche zu lösen. Als im Vorstand der „Deutschen Akademie“ während des Krieges die Meinungen über die Zukunft der theologischen Fakultäten eingeholt wurden, trat Srbik für deren Belassung im Universitätsverbande mit der Begründung ein, es könne für die allgemeine Wissenschaft nur von Vorteil sein, wenn sie den Zusammenhang mit einer Wissenschaft wahre, die aus Quellen schöpfe, die einst den Heimatboden aller Wissenschaften befruchtet habe.

Die Jahre nach 1945 brachten für Srbik manche unverdiente Härte. Er sprach hierüber nur wenig und ohne Verbitterung und freute sich desto mehr an der Anhänglichkeit seiner Freunde und Schüler, die ihrem verehrten Lehrer viele Beweise ihrer Liebe und Treue gaben. — Der Historiker Heinrich von Srbik wird neben Carlyle, Thiers oder Ranke in die europäische Wertung eingehen. Dafür sorgt sein kostbares Lebenswerk und wird sorgen die Historikerschule, die das Erbe ihres Meisters und Vorbildes bewahren wird.

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