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Kaiser Franz Joseph I.

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Vor 100 Jahren, am Morgen des 2. Dezember 1848, versammelten sich im erzbischöflichen Palais zu Olmütz die Mitglieder der kaiserlichen Familie und die höchsten Würdenträger des Staates, um aus dem Munde des Ministerpräsidenten Fürsten Felix Schwarzenberg die Erklärungen zu vernehmen, nach denen Kaiser Ferdinand I. dem Throne entsagte und sein Bruder Franz Karl auf sein legitimes Thronrecht verzichtete. Es folgte dann die Großjährigkeitserklärung des Erzherzogs Franz und die Verkündigung seiner Thronbesteigung als Kaiser Franz Joseph I. — Es war eine ergreifende Szene, als der kaiserliche Jüngling niederkniete, um seinem Oheim zu danken und dieser ihm väterlich die Wange streichelte mit den Worten, die so gar nichts Majestätisches an sich hatten, aber der schlichten Einfalt seines Wesens entsprachen: „Bleib nur brav, es ist gern geschehen.”

Mit dem jungen tatenfrohen und hoffnungsvollen Monarchen sollte eine neue Ära Österreichs beginnen. Viele Erwartungen knüpften sich an diesen Thronwechsel, der zugleich ein Wechsel der Generationen war. Er sollte die durch die Revolution erschütterte Monarchie zu neuer Blüte emporführen, die auseinanderstrebenden Kräfte zu einer neuen Einheit zusammenfassen, einen Staat gestalten, der, in sich gefestigt, das alte Ansehen wiedererlangen konnte. Es war, wahrhaftig keine kleine Aufgabe, die diesem jungen, wenn auch talentierten, so doch jedenfalls unerfahrenen Kaiser auferlegt wurde, und das zu einer Zeit, als die Revolution in Österreich kaum gebändigt, in Ungarn noch in vollem Schwung war und in Italien jeden Augenblick wieder losbrechen konnte. Eines war sicher: das alte System des Fürsten Metternich konnte nicht mehr zum Leben erwachen, die neuen fortschrittlichen Kräfte mußten in Rechnung gezogen werden, eine neue Zeit verlangte gebieterisch, ihre Bestrebungen zu berücksichtigen. Würde der junge Monarch imstande sein, das mit stürmischer Gewalt in Erscheinung getretene Problem meistern können, die Einheit in der Vielheit zu wahren, das Auseinanderstrebende festzuhalten, die Stellung der Monarchie in Europa wieder zur Geltung zu bringen? Welche Einflüsse würden ihn lenken, welche Unterstützung konnte ihm zuteil werden, welche Ideen würden sich seiner jungen Seele bemächtigen? Man beobachtete ihn genau und mußte zugestehen, daß er viele Voraussetzungen besaß, die zu großen Hoffnungen berechtigten. Kaiser Nikolaus von Rußland, der mit dem jungen Monarchen 1849 zusammentraf, berichtete seiner Gemahlin: „Je mehr ich ihn sehe, je mehr ich ihn höre, desto mehr bin ich erstaunt über seine Vernunft, seine Festigkeit und die Geradheit seiner Ideen. Es ist ein Glück für Österreich, ihn zu besitzen.” Und der sächsische Diplomat Graf Vitzthum schildert 1851 seine Eindrücke: „Die entschiedene Verachtung aller Popularitätshascherei, Schweigsamkeit, über die nur die Ehrgeizigen klagen, der intuitive Scharfblick, das fabelhafte Gedächtnis für Namen, Orte, Personen, das rege Pflichtgefühl, die ans Peinliche streifende Gewissenhaftigkeit, der ritterliche Sinn und der großmütige Charakter sind Tugenden, welche zu den höchsten Erwartungen berechtigen … Seine Nerven sind wie seine Muskeln von Stahl. Sein kühles und nüchternes Temperament muß ihm seine Arbeiten erleichtern. Nichts vermag ihn aus der Fassung zu bringen … Dabei ist der Kaiser, obgleich frei von sentimentalen Illusionen, davon durchdrungen. daß er eine providentielle Mission zu erfüllen habe.” So erscheint er also den Zeitgenossen und aufmerksamen Beobachtern als ein Mensch, ausgestattet mit hervorragenden Gaben des Geistes und besonders des Charakters, selbstbewußt, tapfer, von einer angeborenen Würde und. herrscherlichen Haltung, pflichtgetreu und ungeheuer arbeitsam, erfüllt von Zuversicht und Glauben an seine Sendung als Wiederhersteller kaiserlicher Autorität und monarchischer Ordnung, als fähig, Österreich zur alten Größe emporzuführen. 70 Jahre später, zehn Jahre nach dem Tode Franz Josephs, hat unter anderem auch Graf Albert Apponyi sein Urteil über den Monarchen abgegeben, und er nennt es das Zeugnis eines Mannes, „der in entscheidenden Fragen dem verewigten Monarchen gegenüber oft in der Opposition stand, daher auf seine besondere Gunst keinen Anspruch erheben konnte”. Er bezeichnet ihn als „eine große Monarchengestalt, gewiß nicht frei von Fehlern, gewiß nicht völlig harmonisch: das gestatteten die Verhältnisse nicht; aber durchaus rechtschaffen, menschlich wohlwollend und über ein großes Kapital praktischer Weisheit verfügend”.

Zum Glück wußte der junge Kaiser nicht, was die Zukunft in ihrem dunklen Schoß barg. Aber über alle bitteren Erfahrungen, über alle herben Enttäuschungen hinweg blieb er sich selbst getreu und bewahrte die Grundzüge seines Wesens. Das fortschreitende Alter formte und reifte, die Erfahrung des Lebens begrenzte sie, aber ein Bruch, eine wesentliche Veränderung ist nicht zu bemerken. Wenn sich auch manche Züge seines Charakters verhärteten und versteiften, wenn auch allmählich eine unabänderliche Gewohnheit die Dynamik beweglicher Anpassungsfähigkeit unterband, die Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit in Routine und Pedanterie, die Würde und das Selbstbewußtsein in Unnahbarkeit, die Selbstbeherrschung und Zurückhaltung in trockene Förmlichkeit wandelte, wenn sich auch ursprüngliche Mängel, die auffallende Phantasielosigkeit und Nüchternheit, unangenehm und hemmend bemerkbar machten, so hat ihm doch die unerschütterliche Beharrlichkeit seines Wesens, die er mit so manchen seiner Ahnen teilte, die unbestechliche Rechtlichkeit seiner Gesinnung dis Liebe seiner Völker erworben oder doch wenigstens auch den Widerwilligen die Anerkennung seiner guten Absichten und jene Ehrfurcht abgerungen, die auch bei schärfsten Gegensätzen vor ungerechten Verunglimpfungen warnte.

Als Franz Joseph I. die Führung des Staatswesens übernahm, dem das ungestüme Hervorbrechen lang gebundener Freiheitsstrebungen den Untergang zu bereiten schien, hatte er keine anderen Pläne, als die Einheit seines Reiches, die Grundlage seines Bestandes, seiner Macht und Wohlfahrt zu retten. Durch sein ganzes langes Leben hielt er diese Grundlinie seiner Regierung fest. Mochte er nach Überwindung innerer Widerstände sich zu noch so großen und weittragenden Zugeständnissen bereit finden, vor den letzten Grenzen wehrte er auch die härtesten Angriffe unnachgiebig und erfolgreich ab. Zweifellos schwebte seinem Ehrgefühl und jugendlichem Selbstvertrauen mehr vor, als ihn der unerbittliche Fortgang der Ereignisse erreichen ließ. Er dachte, von seinem ersten Minister Fürsten Felix Schwarzenberg tatkräftig unterstützt, an eine Reichseinheit, die keinerlei Sonderentwicklungen duldete, an die Erhaltung und Befestigung der Stellung in Italien und im. Deutschen Bund, an eine unteilbare Macht der Krone in einem fortschrittlichen Wohlfahrtsstaat. Die großen Hoffnungen und Pläne zersplitterten eine nach der anderen durch die größere Gewalt der widerstrebenden und gegensätzlichen Kräfte. Er mußte die Lombardei aufgeben und Venetien verlassen, er mußte der Vorrangstellung im Deutschen Bund und schließlich diesem selbst entsagen. Er mußte widerwillig der inneren Umformung des absoluten Staates in eine konstitutionelle Monarchie und der Umger staltung ihrer äußeren Struktur in die dualistische Form getrennter Staatlichkeit und Souveränität seine Sanktion erteilen. Er erlebte schließlich mit Sorge die innere Auflockerung Österreichs, wie sie in der Ausbildung des inneren politischen Lebens, der Entwicklung des Parteiwesens, der sozialpolitischen und nationalen Bewegungen immer mehr und unheilvoller zutage trat. Aber die letzten Fäden staatlicher Einheit ließ er sich dennoch nicht entwinden und in der Einsamkeit seines Alters hat er sie geradezu in seiner Persönlichkeit verkörpert.

Man glaubte, Kaiser Franz Joseph insbesondere drei verhängnisvolle Mängel nadi- weisen zu kennen: die Sprunghaftigkeit und Unausgeglichenheit in den Verfassungsexperimenten im zweiten Jahrzehnt seiner Regierung, die Unfähigkeit, sich der Notwendigkeit einer inneren organischen Entwicklung der Monarchie zu beugen, und schließlich das beharrliche Festhalten der monarchisdien Gerechtsame, wodurch der Entfaltung parlamentarischen Lebens manche Hemmnisse in den Weg gelegt wurden.

Aber so einfach liegen die Dinge nicht, daß man diese Haltung des Kaisers etwa unmittelbar für den Zusammenbruch des Reiches verantwortlich machen könnte. Wie er in seiner Jugend, erfüllt von dem unauslöschlichen Eindruck der Bedrängnisse des Revolutionsjahres, die Rettung nur in der Betonung der Souveränität seines eigenen guten Willens sah, ließ auch sein ausgeprägtes herrscherliches Verantwortungsbewußtsein in späteren Jahren das völlige Aufgeben seiner persönlichen Machtstellung nicht zu, und das um so weniger, je mehr er sich selbst als den festen Halt in der fortschreitenden Verwirrung erkannte. Als dann die Zeit reif geworden war, versagte ihm sein hohes Alter die Kraft zu umstürzenden Maßnahmen und die tiefere Einsicht in die verwickelten inneren Zusammenhänge der großen Völkerprobleme, und er vermochte das Drängen der jungen Kräfte nur mehr als eine Verletzung seiner unantastbaren Würde zu empfinden. Wie diese ihn über die Parteien und Gegensätze erhob und zum letzten Bollwerk der Reichseinheit machte, so entfernte sie ihn wohl auch viel zu weit von der harten Wirklichkeit. Doch war es gewiß auch keine eitle Selbsttäuschung, wenn ihm der ganze staatliche Organismus so empfindlich erschien, daß nach seiner Meinung die geringste Veränderung sein Lebenswerk, die Erhaltung der Monarchie, zu zertrümmern drohte.

Die Erhaltung der Monarchie — das ist der durchlaufende Gedanke seiner ganzen Regierungszeit, das oberste Gesetz seines Handelns, das seine ganze Lebensarbeit erklärt. Die Monarchie aber war nicht Österreich, sondern Österreich-Ungarn. Viele begehen den Fehler, die Politik des Kaisers nur von Österreich her zu beurteilen, wobei sie ihr niemals gerecht wenden können. In Wirklichkeit ist sie von Anfang bis zum Ende von Ungarn her mitbestimmt und das beherrschende Problem ist die Erhaltung Ungarns in der monarchischen Einheit. Nur wenn man Franz Joseph als Kaiser von Österreich und König von Ungarn, also in der Ganzheit seiner Verantwortung, erfaßt, ist seine Politik so ziemlich restlos erklärbar und verständlich.

Gewiß hätte manches besser, energischer und zielbewußter angefaßt werden können, aber es bleibt doch wahrhaftig genug bestehen, was die Regierungszeit des Kaisers in hellerem Licht erscheinen läßt. In dieser Zeit sind Österreich und Ungarn moderne Staaten geworden und die gewaltigen Fortschritte der Zivilisation, an denen sie teilnahmen, kamen allen Völkern zugute, die unter dem habsburgischen Szepter standen. Fast ein halbes Jahrhundert leuchtete die Sonne des Friedens über den von Franz Joseph beherrschten Ländern, und was unter diesem Lichte gedieh, ist ein Schatz an gei- tigen Werten, der auch heute noch nicht aufgebraucht ist. Niemals hätte sich der Kaiser zu jener Kriegserklärung des Jahres 1914 herbeigelassen, wenn er nicht überzeugt davon gewesen wire, daß die Monarchie in den lebenswichtigsten Bedingungen ihres Bestandes ernstlich bedroht war. Weil das Volk seine Friedensliebe kannte, weil es in ihm den Hort des Rechtes und der Sicherheit erblickte, weil es sich durch seine untadelige Persönlichkeit würdig und eindrucksvoll repräsentiert sah, deshalb verehrte es ihn, und diejenigen, die seine Zeit miterlebt haben, werden seiner mit einem warmen Gefühl der Dankbarkeit gedenken.

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