6537275-1946_22_09.jpg
Digital In Arbeit

Albert Georg Graf Apponyi

Werbung
Werbung
Werbung

Kaum je in meinem Leben, das mich mit vielen inländischen und ausländischen Personen des öffentlichen und literarischen Lebens zusammenbrachte, hat die äußere Erscheinung einer Persönlichkeit so tiefen und nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht wie die des Albert Georg Graf Apponyi.

Auffallend groß„ schlank, aber sportlich kräftig und ungemein beherrscht in allen ihren Gebärden, grub sich schon die Gestalt an sich für immer in das Gedächtnis. Magyarisch allerdings war sie nicht. Von dem gedrungenen Wuchs des Reitervolkes war keine Spur geblieben, obwohl sich Apponyi zu den 107 Familien zählte, die bei der Landnahme zwischen Theiß und Donau durch die Einwanderer aus Asien ugro-finnischer Herkunft die Gründer des ungarischen Staats wurden. — Noch wirkungsvoller als die Gestalt war das Haupt. Als ich Apponyi kennen lernte, war er bereits ein Greis. Altmännergesichter zeigen meist die Spuren ihres Lebens, wenn es 'voll Bewegung war wie das des Grafen. Aber dieses Antlitz zeigte nur die Züge der seelischen Harmonie, in der sein Leben von frühester Jugend bis ins höchste Greisenalter verlief. Da war keine Lini uneben, keine gestört oder gar verzerrt. Wohl fand sich Festigkeit, Entschlossenheit und Kraft in ihnen, aber alle waren vertieft durch die Milde, die Klarheit und Reinheit allein zu verleihen vermögen. Und aus diesem Gesicht, das stets frisch von leicht rosigen Wangen verschönt war, blickten zwei helle blaue Augen, die die Natur, die Schöpfungen der Menschen, die Werke der Kunst, aber vor allem die Menschen selbst, mit wirklicher Anteilnahme, mit schier unerschöpflichem Wohlwollen und stets mit einem Hauch von Liebe umfaßten. Das dünne, in reinstem Silber schimmernde Haar goß um dieses Haupt noch einen Schein, der der Persönlichkeit den letzten Zug des Majestätischen verlieh.

So sehe ich ihn heute noch vor mir, und es sind doch bald 25 Jahre her, daß ich ihn sah.

Ob das Ungarn von heute seiner gedenkt? Vielleicht ist die Not der Zeit zu groß, als daß es dies könnte, vielleicht ist das Zeitgift zu tief ins Ungartum unserer Tage gedrungen, als daß es dafür das Verständnis hätte. Dann sei es Wien erlaubt, dies für Ungarn zu tun, wo Klio scheinbar lieber verweilt denn anderswo. Viele persönliche Bande verhafteten ja den Grafen auch mit unserer Stadt. Hier war er ja geboren, vor 100 Jahren, am 29. Mai 1846. Dies der Anlaß des Gedenkens. Sein Vater, Graf Georg A. Apponyi, war damals erster ungarischer Hofkanzler und hatte damit seinen Amtssitz in unserer Stadt. Seine Mutter war eine Tochter des Grafen Albert Sztaray und zählte gleichfalls zum ältesten magyarischen Adel. Die väterliche Familie wird schon im 12. Jahrhundert urkundlich erwähnt; allerdings trug sie damals noch den Namen Pech, den sie erst unter König Sigismund, Kurfürst von Brandenburg und römischer Kaiser, nach der damals erworbenen Burg mit dem Namen Apponyi vertauschte. Seine erste jugendliche Bildung empfing der Graf in dem erst neu errichteten Jesuitenkonvikt zu Kalksburg, ohne — wie er ausdrücklich in seinen Erinnerungen betont — deswegen an seinem Ungartum Einbuße zu erleiden. Auch wiederholte Aufenthalte in Baden bei Wien, in Südtirol und in Wien selbst ließen in der Seele dieses rein ungarischen Aristokraten eine kaum verleugnete österreichische Ader fließen. Schloß Eberhard bei Preßburg, der dauernde Ansitz der Familie, lag auch Wien so nahe, daß es schwer gewesen wäre, sich der Anziehungskraft der kaiserlichen Metropole zu entziehen.

Aus einem durchaus politischen Familienmilieu kommend, ward auch Albert Apponyi wie jeder bedeutende Angehörige eines ungarischen Adelshauses, Politiker. Scherzhaft datierte der Graf seinen Eintritt ins politische Leben von dem Tag, an dem er im Kreise ungarischer Politiker als junger Student der einzige, der die italienische Sprache beherrschte, als Dolmetsch wirkte, als diese unvorgesehenerweise den Besuch einer Gruppe italienischer Parlamentarier erhielten, die keiner anderen Sprache mächtig waren. Aber auch formell erfolgte sein Eintritt früh genug. Mit 26 Jahren, 1872, wurde er ins ungarische Abgeordnetenhaus gewählt und gehörte ihm mit einer ganz unbedeutenden Unterbrechung bis an sein Lebensende an, das heißt durch 60 Jahre, stets als Vertreter des gleichen Wahlkreises, Jäszberenyi, in dem ihm meist gar kein Gegenkandidat gestellt wurde. Bald erlangte er eine bedeutende Stellung unter den Abgeordneten und rückte schließlich zum Führer der Nationalpartei auf. Durch drei

Jahre, 1906 bis 1909, gehörte er als Chef der Kultus- und Unterrichtsverwaltung der Regierung an. Doch sind gerade diese Wirkzeiten des Grafen die, die wit nur mit Vorbehalt erwähnen können, denn sie fallen in die Zeit der ärgsten Magyarisierungsbestre-bungen. Apponyi gehörte sicherlich nicht zu den treibenden Kräften, aber die gerade für die deutschsprachige Minderheit in Ungarn ungünstigsten Gesetze und Maßnahmen in der Zeit der Doppelmonarchie stammen aus dieser Ära und werfen einen leichten Schatten auch auf seine Gestalt. Seine im jugendlichen Eifer gegen Andrassy gerichteten Angriffe hat der Alternde oft als Fehler einbekannt und die dadurch verlorene Freundsdiaft des hervorragenden Führers in der Ausgleichsfrage verloren, was er bitter empfand und ihn veranlaßte, in der Freundschaft mit dessen Sohn Julius Ersatz zu suchen. Ob es ihm mit seinen Sprachen- und Schulverordnungen nicht ähnlich erging? Äußerungen hierüber haben wir nicht, aber wenn der Greis in Genf mit glühendem Herzen und beredter Zunge für die Magyaren eintrat, die nun ihrerseits Minderheiten in den Nachfolgestaaten geworden waren, da mag ihm manchmal in die Bitternis der Klage auch die der Reue geflossen sein. Doch diese Unvollkommenheit darf unser Urteil nicht trüben; auch Apponyi war ein Kind seiner Zeit und die Haltung seiner Mannesjahre ist eben Geist vom Geiste seiner Zeit.

Um so leuchtender erhebt sich sein Bild vom düsteren Hintergrund ab, den die Nachkriegsjahre bilden. Zusammenbruch, Revolution und Reaktion haben über die Lande der heiligen Krone Stefans hinweggefegt wie der heulende Sturm auf der Pußta. Die Nation ist zutiefst gedemütigt. Das stolze Erbe von Jahrhunderten vertan. Ungarn blutet aus tausend Wunden. Da weiß es keinen würdigeren, als den Grafen, sein Heil vor den Siegern, den Gewaltigen der Welt, zu Paris-Trianon zu vertreten. Und wahrhaftig, wenn eines der geschlagenen Länder eine gute Wahl getroffen hatte, dann war es Ungarn, das auf Albe/t Apponyi griff. Freilich, den harten Willen Clemenceaus zu brechen, war auch ihm nicht möglich. Aber das Magyarentum wußte, daß sein Vertreter das Menschenmögliche getan und dankte ihm aus vollem Herzen, dem Weltgericht aber sein unerschrockenes und unnachgiebiges nem, nem soha entgegenschreiend. Wie zur Fiedenskonferenz so entsandte Ungarn Apponyi auch in den Genfer Staatenverein, den Völkerbund. Er glaubte an den Völkerbund, nicht gerade an die Form, die aus dem Wilsonsdicn Konzept in Genf Gestalt gefunden hatte, aber an den Gedanken einer internationalen Weltfriedensorganisation, und er ist uns mit diesem Glauben als Toter noch ein Lehrer, ver-, trauensvoll an der Zukunft zu arbeiten.

Die moralische Kraft zu seinem Vertrauen schöpfte Albert Apponyi aus seinem tiefen religiösen Gefühl, aus seiner innigsten Verbundenheit mit der römischen Mutterkirche. Auch darin hat der große Ungar etwas der Welt heute zu sagen: Eine wohlgefügte internationale Organisation des Friedens ist erforderlich, aber keine wird von Bestand sein, bleibt sie nur eine Ausgeburt der kühlen Vernunft. Hinter- ihr muß ein brennendes, lebendiges, friedenheisdiendes Gefühl aller Menschen oder wenigstens der erdrückenden Mehrheit stehen. Unsere Herzen müssen für den Frieden schlagen, wie das Herz Albert Apponyis für den Frieden schlug — bis es 1933 zu Genf, mitten in der Arbeit für die Abrüstungskonferenz, seine Ruhe fand in Gott.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung