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Vom Recht und der Gerechtigkeit in Österreich

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Neben dem Berufe des Priesters beließ die Eifersucht einer Zeit, die alles gleichmachen will, nur noch dem des Richters Jie äußeren Zeichen höherer Sendung, den feierlidien Talar und das Zeremoniell seines Waltens. Denn immer wirkt ein Göttliches von Milde und Strenge in jedem Urteil über Menschenleben, Menschenschicksal. Das Gefühl der Verantwortung vor dem höchsten Richter, der Verantwortung vor dem eigenen Gewissen, setzt alle Rechtsprechung voraus. Priesterkönigen war sie in frühesten Zeiten anvertraut. Noch die Einfalt des Mittelalters meinte, wenn sie nicht Rat wußte, im „Gottesurteil“ den Höchsten selbst urteilen lassen zu müssen. Ein jahrtausendlanger Weg führt von dem verkörperten göttlichen Recht, dem Cäsar Augustus, dem römischen Kaiser deutscher Nation, wie er auf seinem Römerzuge vom segnenden Papst die niederen Weihen, von seinen Untertanen bei der Krönung den Treueid empfing, zu dem Monardien der Neuzeit, der beim Regierungsantritt selbst den Eid ablegen muß auf die Verfassung, bis zum modernen Staat, für den das Wort Montesquieus gilt: „Politisdie Freiheit des Staatsbürgers ist diese Ruhe des Geistes, wie sie der Meinung entspringt, die jeder von seiner Sicherheit hat, und um diese Freiheit zu haben, muß die Regierung so sein, daß kein Bürger einen anderen Bürger fürditen kann.“

Als der Hohenstaufe Friedridi II. im Machtkampf mit gewaltigen Päpsten von der althergebrachten Gepflogenheit aus der Karolingerzeit abging, die Hofkanzlei den Geistlichen zu überlassen, und neben der ersten modernen Verfassung, der seines Sizilien, eine weltliche Beamtenschaft einsetzte, leitete er eine Entwicklung ein, die nach burgundisdi-niederländischen Beispielen zur Erriditung einer Staatsverwaltung durch Maximilian I. und Ferdinand I. führte und in dieser Gestalt für ganz Deutschland vorbildlich wurde. Österreich, jahrhundertelang der Sitz übernationaler monarchischer Gewalt, wurde so zum Ausgangspunkt einer Gesetzgebung und Verwaltung von überragender Bedeutung.

Wie wurde alles Wirken für die Wohlfahrt der vielen Völker immer wieder durch kriegerischen Überfall und darauffolgende Not gehemmt. Zwischen dem Zweiten und Dritten Schlesischen Krieg entschloß sich Maria Theresia, allen ihren Erblanden ein sicheres, gleiches Recht zu geben. Ihren Befehl an die Kommission hätte sie heute niederschreiben können. „Man habe“, heißt es darin, „außer der Gleichförmigkeit der Gesetze und Beschleunigung der Arbeit dafür zu sorgen, daß die in allen Erbländern eingerissenen Mißbräuche, Vorurteile, der Sdilendrian der, abusive sogenannten, Gerichtsordnung und die Verzögerung abgestellt und die angefochtene Unschuld wider die gewöhnlichen Advokatenkünste für das Künftige geschützt werde.“

Damals leitete die Kaiserin auch den Aufbau der Verwaltung in neuzeitlichem Geiste ein, der „politischen“, wie sie genannt wurde, obwohl gerade sie es nur im höchsten, im unparteiischen Sinne sein durfte. Diese Verwaltung hat sich schon damals zu bewähren begonnen, selbst in den entlegensten Bereidien, in Italien und den Niederlanden. Abgesehen vom Kampf gegen die Irredenta, den eine Staatspolizei, von Leopold II. aus Toskana mitgebracht, und ein Staatsanwalt führte, der ein Italiener aus Südtirol war, geben selbst die heutigen Historiker Italiens zu, daß kein Gebiet ihres Staates so gut verwaltet war wie die Lombardei und Venetien unter der öster-reichisdien Herrschaft. Auch in Ungarn erkennt man heute aus den Werken des Ge-schichtsforsdiers Szekfü, was das Volk der österreichisdien Monarchie verdankte.

Weltgeschichtliche Katastrophen haben uns die Heimat als Trümmerfeld hinterlassen. Sie leidet überdies sehr unter den barbarischen Einbrüchen, die in unserem Volk das Rechtsempfinden, das Gefühl für Gerechtigkeit zu zerstören bemüht waren. Hatte es doch einen tieferen Sinn, daß sich Österreich über die gemeinsame Kodifikation des Strafrechtes nicht zu einigen vermochte, weil wir die Todesstrafe ablehnten, bis Galgen und Köpfmaschine siegreich ihren Einzug hielten in unser sdiönes Land.

Wir sind daran, aus dem Wust der Kriegsnotwendigkeiten wieder unsere eigenen guten und dauernden Schöpfungen herauszuschälen und unser Recht und unsere Verwaltung von überwuchernden Willkür-vorschriften und Überorganisationen zu säubern. Sdion geht der Kampf um unser anderthalb Jahrhunderte bewährtes Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch. Wenn Stendhal, ehe er zu schreiben begann, um der clarte' seines Stiles willen im Code Napoleon zu lesen pflegte, so besteht auch unser Gesetzbuch, das früher vollendet war, neben dem französischen als Meisterwerk an Klarheit des Denkens und der Sprache. Viel wäre aufzuzählen, was noch immer weit über die Grenzen unserer kleinen Republik in Geltung steht, was auch nach dem Zusammenbruch noch aus ihr übernommen wurde. Unser Zivilprozeß, unser Verwal-tungsve^fahren wurden vorbildlich.

Die Österreicher werden nicht ruhen, bis ihr Redit und ihre Verwaltung wieder das alte Ansehen genießen. Über viele Epochen hinweg ist so manchem von den Vätern her das Gefühl für Redit und Gesetz angeboren. In der Beamtenschaft wirken bewährte und erprobte Kräfte fort. In den Randglossen, die Maria Theresia eigenhändig mit ihrer von den Zöpfen ebenso gefürchteten wie „gewohnten vivacit£“ schrieb, tauchen Namen von Hofräten, auf, die noch in den Enkeln fortleben. In der Himmelpfortgasse amtiert ein bewährter Mann im gleichen Zimmer wie vor hundert Jahren sein Vorfahre, ein anderer Diener des Staates muß beim Betreten der Kirche „Am Hof“ zum ersten dunklen Fenster im Chor aufblicken und seines Urgroßvaters gedenken, zu dessen Amtsraum das kleine Oratorium in den Zeiten des Hofkriegsrates gehörte.

Die Geschichte der österreichischen Verwaltung weist viele Namen von dauernder Bedeutung auf; sie sollen nicht vergessen werden, die Stadion, Leo Thun, Böhm-Bawerk, Franz Klein, Baron Beck, Schwarzenau, Stibral, Spitzmüller und Durig. Gewiß bedurfte der Apparat ständig der Verbesserung, der Anpassung an die geänderten Zeitläufte, aber gerade in seiner Anpassungsfähigkeit, der Treue zum Werk lag seine Stärke. Als 1938 ein Austausch öster-reichisdier und reidisdeutscher Beamter stattfand, sagte einer der letzteren, nachdem er unsere Verwaltung in allen Instanzen kennengelernt hatte, mit ehrlicher Überzeugung: „Ihr Österreich ist wahrhaftig ein Reditsstaat.“

Zu solcher Entwicklung trug nicht wenig der Verwaltungsgerichtshof bei, eine der ersten Schöpfungen des konstitutionellen Österreichs. Wahrung der Gesetzlichkeit in der gesamten Verwaltung ist seine Aufgabe. Die sogenannte Generalklausel verleiht ihm seine überragende Bedeutung, denn er ist grundsätzlich, mit geringen Ausnahmen, zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit aller konkreten Verwaltungsakte berufen. Die Ausnahmen fallen nicht ins Gewicht. Anders im Reich, noch verhängnisvoller im Krieg, als in Wien nur die „Außensenate“ mit immer beengterer Kompetenz übrigblieben. Zuletzt hatte die Bevölkerung sosehr das Vertrauen verloren und der Wirkungsbereich war dermaßen eingedämmt, daß die eingebrachten Beschwerden von 3635 im Jahre 1937 auf 115 im Jahre 1944 sanken. Den Gerichtshof neu aufgebaut zu haben, die überlieferte schöne Kameradschaft seiner Mitglieder wieder belebt zu haben, ist die Krönung der reichen Lebensarbeit eines Mannes, dessen kürzlich gemeldetes Ableben alle tief betrauern, die ihn kannten: Emmerich Coreths.

Mochten seine Vorfahren von ihrem Grafenschloß im schönen Nonstal zur Zeit des patriarchalischen Feudalismus mit der Selbstverständlichkeit eines guten und strengen Familienvaters die Ihren regiert haben, so war dieser tief verständnisvolle Sinn für das gute Redit jedes einzelnen in ihm durch tiefgründiges Wissen und reiche Erfahrung zu letzter Verfeinerung gediehen. Seine umfassende Praxis aus seiner Dienstzeit bei der Tiroler Statthalterei, als man dort ganz selbstverständlich deutsche Eingaben in deutscher, italienische in italienischer Sprach erledigte, hatte ihn befähigt, in maßgebender Weise den Entwurf der Verwaltungsverfahrensgesetze so mustergültig zu gestalten, daß auch andere Staaten, wie Polen, sie übernahmen. Ihm, dem wahrhaft frommen Katholiken, dessen Gläubigkeit auf tiefem Denken beruhte, modite wie Augustinus oder Thomas von Aquin ein Urbild der Welt vorgeschwebt haben als die göttliche Idee, nach der sie in vernunftgemäßem Aufbau geordnet und harmonisch gestaltet ist. Wenn wir solchen Gesichten hoher Kirchenlehrer folgen, fußen wir dennoch ganz in unserer Zeit, denn als Ergebnis strengster naturwissenschaftlidier Forschung hat Max Planck erklärt, wir müßten von der Voraussetzung ausgehen, es gebe außerhalb der durch unsere Sinne wahrnehmbaren Welt eine andere wirklidie Welt, die von ihnen nie erreicht wird. Der „wirklichen Welt“ immer näherzukommen, die Menschen ihr näherzubringen, war Coreths unermüdliches Bestreben noch in seiner qualvollen, jahrelang währenden Todeskrankheit. So einfach, klar und selbstverständlich war diese höhere Sendung zu Recht und Gerechtigkeit in ihm als einem der besten öster-reidier verkörpert, daß Dr. Karl Renner als Staatskanzler gerade ihn ausersah, den Verwaltungsgerichtshof im Geiste der alten Uberlieferung wiederaufzubauen. Nach vollbrachter Tat wurde er nun an einem stillen, frühen Sommermorgen inmitten seines heimatlichen Hochgebirges auf dem Höttin-ger Friedhof zur Ruhe gebettet, einer, dem das ewige Licht leuchtet, ein Erlöster, ein Vollendeter.

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