6675592-1961_20_03.jpg
Digital In Arbeit

Polizei heißt Politik

Werbung
Werbung
Werbung

Wir sind mit unserer Artikelreihe über österreichische Ministerien nun beim Innenministerium angelangt.

So seltsam uns das heute Vorkommen mag: das Wort Polizei, das aus dem griechischen P o 1 i t e i a kommt, was Staatswesen im allgemeinen bedeutet, wurde noch im Mittelalter für die Grundgedanken ständischer Verfassung benützt. Karl der Große verwendete das griechische Wort im Sinne der Sorge um gute Ordnung. Aus seinem Regime ging es als „La police“ in die französische Rechtssprache über. Von dort holten es sich Kaiser Maximilian, der Französisch konnte, und sein Ratgeber Henneberg, als sie in der ersten Reichsregierungs- Ordnung den Grundstein zum absolutistischen Regieren legten und dieses Policie nannten. Und auch zu Kaiser Karls V. Zeiten wurde unter Polizey immer noch Regierung im allgemeinen verstanden. (Im Englischen bedeutet policy heute noch Staatspolitik schlechthin.)

Je mehr jedoch Fürsten es auf sich nahmen, gegenüber der Unmasse zersplitterter feudaler Rechte, Freiheiten und Privilegien des Mittelalters staatliche Ordnung in ihrer Person zusammenzufassen, „bonne ordre et police“ — gute Ordnung und Polizey — zu schaffen, desto mehr bedurfte es auch der hierfür nötigen Gewalt und Organe. Und je umfassender diese wurden, desto nötiger wurde ihre Auf-teilung in einzelne selbständige Abteilungen: Auswärtige Politik, Landesverteidigung, Finanzen — und Innere Verwaltung, ohne die es die vorigen gar niemals geben kann.

Zahlreiche Vorläufer und Vorformen selbständiger innerer Verwaltung hat es in grauen Vorzeiten schon in asiatischen Ländern, in Indien, China und im Mittleren und Vorderen Orient gegeben. Das Vorbild heutiger innerer Verwaltung jedoch entstand mit dem absolutistischen Staat im 17. Jahrhundert im Frankreich Ludwigs XIV.

Man ist verblüfft, wenn man den Umfang staatlicher Vorsorge und die Unzahl und Art der Eingriffe durch die innere Verwaltung des absolutistischen Staates in das Leben der Bürger im 17. und 18. Jahrhundert kennenlernt: es erinnert einen sosehr an das, was es heute in dieser Beziehung gibt. Tatsächlich jedoch reicht die Reglementierung und Bevormundung des einzelnen im alten Absolutismus nur teilweise an die Praxis in den totalitären Ländern von heute heran. Nichtsdestoweniger war sie nicht von schlechten Eltern.

Die totale Einmischung

Es begann schon bei der Urproduktion. Den Bauern wurde genau vorgeschrieben, was sie anbauen sollten, sämtlichen Erwachsenen eines Dorfes wurde die Teilnahme an der Ernte zur Pflicht gemacht. Über die Erträge mußte genauestens berichtet werden. Es gab Preisregelung und Ausfuhrverbote für alle Arten von Lebensmitteln. Händlern und einkaufenden Gewerbetreibenden wurden bestimmte Ankaufskreise zugewiesen. Handwerker wurden zu festgesetzten Lieferungen ihrer Erzeugnisse verhalten — zum Beispiel mußten die Glasbläser aus der Provinz bestimmte Mengen Fensterglas in die Hauptstadt bringen. Angehörigen verschiedener Berufe wurde die Ausreise ins Ausland verboten. Der Genuß bestimmter Nahrungsmittel war eingeschränkt — zum Beispiel der von Kaffee. (Damals gab man sich noch die Mühe, den Bürgern zu sagen, daß es wegen ihrer Gesundheit geschähe — auch wenn es dem Herrscher vor allem darum ging, daß das Geld im Lande bleibe.) Es gab eine lange Liste aller Arten von Stoffen und Kleidern, welche von den Angehörigen der verschiedenen Stände getragen werden durften. Das geschah weniger um des Selbstbewußtseins als der Sparsamkeit willen. In manchen Ländern, in denen man zum Beispiel die Seidenproduktion fördern wollte, wurden die Bürger dazu angehalten, nur aus Seide hergestellte Knöpfe zu benützen. Die Zahl und Art der Edelsteine, mit denen sich Frauen schmücken durften, war genau vorgeschrieben, die Art der Wagen, in denen man fuhr, der Speisen und Getränke, die man verzehren durfte, die Zahl der Musiker und der Aufwand bei Hochzeiten, Kindstaufen und Begräbnissen. All dies wurde von eigenen Abteilungen der Polizei überwacht. Es gab eine Luxuspolizey, eine Dienstbotenpolizey, die darauf achtete, daß Bediente sich nicht dem Müßiggang hingaben, eine Sittenpolizey, die nicht nur so wie heute die Prostituierten, sondern überhaupt das gesamte Verhalten der Bürger kontrollierte und zum Beispiel das Fluchen und Schwören inhibierte. (Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde einem noch die Zunge für so etwas durchbohrt.1) Die Einhaltung der Feiertage wurde genauestens überwacht, aber manche der alten Feste wurden ohne weiteres — auch von der frommen Kaiserin Maria Theresia — aufgehoben, wenn es im Interesse der allgemeinen wirtschaftlichen Tätigkeit notwendig erschien. Überhaupt wurden die Religion und die Kirche und ihre Diener voll und ganz in den Dienst des Staates gestellt. Den Geistlichen stand es durchaus nicht immer frei, zu predigen, was ihnen ihre Lehre gebot — sie erhielten nicht selten „Anregungen“ und Hinweise von staatlichen Stellen über besonders erwünschte Themen; zudem wurde es als völlig normal, ja nützlich betrachtet, daß sie die staatlichen Anordnungen an die Bürger von der Kanzel verkündeten. So erklärte einer der Ideologen des österreichischen aufgeklärten Absolutismus, Hofrat von Sonnenfels: „Die Gesetze würden dadurch, daß sie von dem Ort vorgetragen werden, von welchem das Volk die heiligsten Lehren und Pflichten zu hören gewöhnt ist, in den Augen aller Bürger eine Ehrwürdigkeit erhalten, die zu ihrer Unverbrüchlichkeit beitragen kann.“

Der gute Kaiser Joseph

Diese utilitaristische Haltung ist überhaupt in vielen Hinsichten charakteristisch für den absolutistischen Polizeistaat. Irrtümlich wird heute die durch Metternich repräsentierte Periode von 1809 bis 1848 als Höhepunkt polizeistaatlicher Bevormundung angenommen. In einzelnen Fragen, zum Beispiel in der Unterdrückung der Presse und des Schrifttums, traf das zu. Im allgemeinen jedoch erreichte die Reglementierung, die schon unter Maria Theresia eingesetzt hatte, einen bis dahin in ganz Europa unbekannten Höhepunkt durch die Herrschaft Kaiser Josephs II. Die vordem selbst in Frankreich unbekannte Zentralisierung und Bevollmächtigung der Polizei durch Joseph II., insbesondere der Geheimpolizei, ist nur ein Ausdruck für den ungeheuren Umfang staatlicher Eingriffe und Maßnahmen auf allen Gebieten des Lebens. 1793 wird zum erstenmal in Österreich ein richtiger Polizeiminister eingesetzt — es ist der Graf von Pergen; es geschieht drei Jahre, bevor in Frankreich Joseph Fouche das gleiche Amt übernimmt, um zuerst der Revolution, dann Napoleon und später der Restauration, im ganzen aber einer völlig neuen Gesellschaft zu dienen, deren Kommandohöhen vom Bürgertum besetzt wurden. Davon konnte in Österreich keine Rede sein Joseph ging es um eine Revolution von oben, um die Erzwingung eines Status von staatlicher Entwicklung — der in mancher Beziehung noch nicht einmal hundert Jahre später in Österreich erreicht werden konnte, ja vielleicht erst 150 Jahre später, nach 1945, erreicht wurde.

Blüte des Denunziantentums

Gerade aber der Versuch, zu erzwingen, was nur immer erst wachsen kann, Fortschritt und Bürgersinn durch die Beamten zu ersetzen, hemmte den Fortschritt und depravierte die Bürger. Das geschah insbesondere durch das Denunziantentum, zu welchem weite Bevölkerungskreise verhalten wurden. So heißt es unter anderem damals in der geheimen Dienstinstruktion des Polizeiministers an die Länderchefs und Polizeidirektoren:

„Paragraph 4. Es darf nicht unberührt bleiben, welchen großen Vorschub die Polizey gewinne, wenn sie sich der Dienstbothen mit Vorsicht zu ihrem Zweck zu bedienen weiß. Wenn die Polizey ein sogenanntes Dienstanweisungs- (Stellenvermitt- lungs-) Bureau sich zueignet und das Dienstvolk dadurch unabhängig macht; so ist sie nicht nur imstande, diese Klasse in besserer Ordnung zu halten, welches von selbst ohne Erläuterung einleuchtet, sondern kann auch auf allen Fall hierunter nach ihren Absichten Subjekte aussuchen, die unter der Hand ihr Polizey-Nachrichten aus den Häusern mitteilen, wo sie im Dienste stehen. Nur müßte man sich gegen solche Leute niemals bloßgeben und es so einleiten, daß sie von selbst Nachrichten bringen, mithin auch nur sich verfänglich machen, um zu keiner Zeit Veräther werden zu können. Übrigens lassen sich durch diesen Weg wesentliche Entdeckungen machen."

Nicht anders wurden Angehörige zahlreicher Berufe, wie Gastwirte, Mautbeamte, Fuhrwerker, Postkutscher, Magistratsbeamte, aber auch Berufsgenossen und Konkurrenten von Gewerbetreibenden zu Denunzianten gemacht. In gewissen gehobenen und sogar in intellektuellen Kreisen wurde während der josephinischen Periode das Denunzieren geradezu als Ehrensache betrachtet. Aus jener Zeit stammt auch die Verpflichtung jedes Einwohners, einen Meldezettel auszufüllen — eine Einrichtung, die es bekanntlich in zahlreichen anderen Ländern bis zum heutigen Tag nicht gibt, weil die Bürger es ablehnen, sich dermaßen unter behördliche Kontrolle zu begeben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung